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Beitrag vom 10.03.2025
Frauenfußball auch 2025 im Spannungsfeld von sportlichen Erfolgen und strukturellem Sexismus
Sylvia Rochow
Während Israel in der Nations League verdient zwei Siege einfährt, fällt der spanische Staatsgerichtshof nach dem sexualisierten Übergriff des ehemaligen RFEF-Präsidenten gegen Mittelfeldspielerin Jennifer "Jenni" Hermoso von 2023 sein Urteil. Japan …
… triumphiert erstmals beim SheBelieves Cup, in dessen Zuge sich Australiens Fußballerinnen mit sexistischen Entgleisungen und Herabwürdigungen eines Radiomoderators konfrontiert sehen. AVIVA gibt einen Überblick zum turbulenten Geschehen.
In der traditionellen ersten Länderspielpause des Jahres standen Ende Februar und Anfang März 2025 zahlreiche internationale Frauenfußball-Begegnungen auf dem Programm.
Beim zum zehnten Mal ausgetragenen SheBelieves Cup sicherte sich erstmals Japan den Titel. Die "Nadeshiko" traf vom 20. bis 26. Februar 2025 im Modus "jede gegen jede" auf Australien, Kolumbien sowie Weltmeisterin und Gastgeberin USA. Gespielt wurde in Glendale (Arizona), Houston (Texas) und San Diego (Kalifornien). Nach jeweils zwei Siegen Japans und der USA war das direkte Aufeinandertreffen gleichbedeutend mit einem Endspiel um den Turniersieg. Angeführt von Kapitänin Saki Kumagai (London City Lionesses) bestimmte die "Nadeshiko" über die gesamten 90 Minuten das Geschehen und besiegte die favorisierten US-Amerikanerinnen verdient mit 2:1. Yūka Momiki (Leicester City) brachte ihr Team bereits in der 2. Spielminute in Führung, Ally Sentnor (Utah Royals) konnte zwischenzeitlich ausgleichen (14. Minute). Tōko Koga (Feyenoord Rotterdam) gelang zu Beginn der 2. Halbzeit (50. Minute) der umjubelte Siegtreffer zum 2:1. Nach 5 Titeln in Folge wurden die USA somit entthront. Auch die Torschützenkönigin kommt aus Japan: Mina Tanaka, die wie Kontrahentin Sentnor für Utah in der National Women´s Soccer League (NWSL) aufläuft und 2021 in der Bundesliga 10 Spiele für Bayer Leverkusen absolvierte, gelangen im Turnierverlauf 4 Treffer.
Die "#SheBelieves-Initiative" wurde im Vorfeld der WM 2015 vom US-amerikanischen Fußballverband U.S. Soccer gestartet, um junge Frauen und Mädchen mit Hilfe der US-Nationalspielerinnen darin zu bestärken, dass sie ihre Träume und Ziele erreichen können.
Dass solches Empowerment nötiger denn je ist, zeigt ein Eklat, der sich am Rande des SheBelieves Cup in Australien ereignete. Radiomoderator Marty Sheargold sorgte mit mehreren sexistischen Entgleisungen und Herabwürdigungen gegen die "Matildas" für Empörung. Sein Arbeitgeber, der Sender Triple M, entließ Sheargold Medienberichten zufolge daraufhin. Auch der australische Premierminister Anthony Albanese verurteilte die Äußerungen. Im Radiosender Nova100 betonte er: "Das waren schockierende Kommentare."
Nach der Einführung einer UEFA Women´s Nations League in der Vorsaison werden die traditionellen europäischen Frühjahrsturniere von Algarve-Cup über Tournoi de France bis Arnold Clark Cup nicht mehr ausgetragen. Stattdessen treten 53 europäische Teams von Albanien bis Wales 2025 in der zweiten Auflage der Frauen-Nations League in drei Ligen an. Die am höchsten angesiedelte Liga A umfasst ebenso wie die mittlere Liga B vier Gruppen à vier Länder. In Liga C gibt es je drei Vierer- und Dreiergruppen.
Mit besonderer Spannung wurde das Aufeinandertreffen zwischen Europameisterin England und Weltmeisterin Spanien in der Gruppe A3 erwartet. In London gelang den "Lionesses" von Trainerin Sarina Wiegman vor heimischem Publikum ein knapper 1:0-Sieg und damit eine kleine Revanche für die Niederlage im WM-Finale 2023 gegen "La Roja".
Der erste Titelgewinn der Spanierinnen wurde seinerzeit vom sexualisierten Übergriff des damaligen Präsidenten des spanischen Fußballverbandes (RFEF), Luis Rubiales, überschattet. Der mittlerweile 47-Jährige hatte Mittelfeldspielerin Jennifer "Jenni" Hermoso während der Siegerinnenehrung nach dem Finale im Australia Stadium in Sydney am 20. August 2023 ohne deren Zustimmung auf den Mund geküsst. Zuvor war er auf der Tribüne bereits mit obszönen Gesten aufgefallen. Der Skandal schlug in Spanien wie international hohe Wellen. Der sozialistische spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez übte beispielsweise beim Empfang der Weltmeisterinnen in Madrid scharfe Kritik an Rubiales´ "inakzeptabler Geste" und dessen zwischenzeitlicher vermeintlicher Entschuldigung, die Sánchez als "unangemessen" bezeichnete. Die RFEF hatte daraufhin für fünf Tage nach dem WM-Endspiel eine außerordentliche Generalversammlung anberaumt. Dort rief Rubiales den Zuhörer*innen in einer dubiosen Rede mehrfach zu, er werde nicht zurücktreten und stellte sich als Opfer einer Intrige dar.
Der komplette 23-köpfige WM-Kader sowie zahlreiche weitere spanische Fußballerinnen forderten im Anschluss an das Meeting in einer Stellungnahme der Spielerinnenvereinigung FUTPRO vom 25. August 2023 Konsequenzen für den RFEF-Präsidenten, warben um Unterstützung und brachten ihre Solidarität mit Hermoso zum Ausdruck. Die heute 34-Jährige äußerte sich im gleichen Communiqué auch selbst: "Ich möchte klarstellen, dass ich, wie auf den Bildern zu sehen ist, zu keinem Zeitpunkt in den Kuss eingewilligt habe, den er mir gegeben hat [...]. Ich dulde nicht, dass mein Wort in Frage gestellt wird und noch weniger, dass Worte erfunden werden, die ich nicht gesagt habe."
Am 20. Februar 2025 fällte der Staatsgerichtshof in Madrid nun sein Urteil und belegte Rubiales wegen des sexuellen Übergriffs mit einer Geldstrafe in Höhe von 10.800 Euro. Die Staatsanwaltschaft hatte eine Haftstrafe von insgesamt zweieinhalb Jahren für den 47-Jährigen gefordert. Das Gericht untersagte dem ehemaligen RFEF-Präsidenten außerdem, sich Hermoso in einem Umkreis von 200 Metern zu nähern und sprach ein einjähriges Kommunikationsverbot aus. Nach dem Urteil äußerte sich die Weltmeisterin in einem Instagram-Post: "Schließlich wird damit ein wichtiger Präzedenzfall in einem sozialen Umfeld geschaffen, in dem noch viel zu tun ist. Mein Herz ist voll von jedem einzelnen Menschen, der mich in diesem Kampf begleitet hat, begleitet und weiterhin begleiten wird. Und nun ist es vorbei." Es ist jedoch zu erwarten, dass sowohl Hermoso und die Staatsanwaltschaft als auch Rubiales gegen das Urteil in Berufung gehen werden. Der Internationale Sportgerichtshof CAS entschied derweil einen Tag nach dem Spruch des spanischen Staatsgerichtshofs, dass die durch den Fußball-Weltverband FIFA gegen den 47-Jährigen verhängte dreijährige Sperre bis Oktober 2026 "angemessen und verhältnismäßig" sei. Laut CAS stellte Rubiales´ Verhalten "einen mehrfachen und schweren Verstoß gegen das FIFA-Disziplinarreglement (Art. 13)" dar.
Vize-Europameisterin und Olympia-Dritte Deutschland musste am 1. Spieltag der Gruppe A1 auswärts in Breda gegen die Niederlande antreten. Die "Oranje Leeuwinnen" und das DFB-Team trennten sich 2:2. Am 25. Februar 2025 gelang der deutschen Elf um die neue Kapitänin Giulia Gwinn (FC Bayern München) und Vize-Kapitänin Janina Minge (VfL Wolfsburg) in Nürnberg ein 4:1-Erfolg gegen Österreich.
Die Französin Eugénie Le Sommer fügte ihrer langen und überaus erfolgreichen Karriere einen weiteren Meilenstein hinzu. Durch die Einwechslung in der 79. Minute des Nations League-Spiels von "Les Bleues" gegen Island in Le Mans überflügelte die 34-Jährige Ende Februar 2025 den bisherigen Rekord von Sandrine Soubeyrand (198 Länderspiele) und ist mit 199 Einsätzen nun französische Rekordspielerin. Schon länger führt sie die ewige Torschützinnenliste ihres Landes an (94 Tore).
Grund zur Freude hatte auch das in Liga C eingeteilte israelische Nationalteam. In der Gruppe C5 gelang zum Auftakt ein 3:1-Auswärtssieg gegen Bulgarien in Sofia. Wenige Tage später folgte gegen Estland ein weiteres 3:1, bei dem sich die Bundesliga-Spielerinnen Noa Selimhodžić und Irena Kuznetsov (beide 1. FFC Turbine Potsdam) in die Torschützinnenliste eintragen konnten. Die Partie wurde Ende Februar 2025 im ungarischen Győr ausgetragen. Israels Fußballer*innen spielen seit den Massakern am 7. Oktober 2023 aufgrund des anschließenden Kriegs anstatt in heimischen Stadien Tel Avivs oder Haifas auf neutralem Grund wie beispielsweise in Ungarn. Die etatmäßige israelische Kapitänin Sharon Beck (SV Werder Bremen) laboriert weiter an den Folgen eines im Mai 2024 erlittenen Kreuzbandrisses und stand in dieser Saison bisher noch nicht auf dem Platz.
Mehr Infos unter: www.ussoccer.com, uefa.com/womensnationsleague, FUTPRO und Jennifer Hermosos Instagram-Account
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Copyright Text und Foto: Sylvia Rochow