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AVIVA-BERLIN.de im Oktober 2024 - Beitrag vom 16.04.2020


Maja Göpel - Unsere Welt neu denken. Eine Einladung
Helga Egetenmeier

Die Einladung der Mitbegründerin der "Scientists for Future" und Honorarprofessorin an der Leuphana Universität in Lüneburg für ein Umdenken zu Gunsten der Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft fällt in eine Zeit, die durch die Corona-Pandemie weltweit eine Aufgabe und Herausforderung für Solidarität geworden ist. Ob der fortschreitende Klimawandel...




...mit dem Ausmaß der Virusinfektion in Zusammenhang gebracht werden kann, lässt sich heute noch nicht sagen. Doch der Appell der Autorin, dass wir uns auf die vor uns liegenden krisenhaften Zeiten vorbereiten müssen, erhält durch die aktuellen Kontaktbeschränkungen, die Einschnitte in das Wirtschaftsleben und die steigenden Zahlen der Verstorbenen eine erschreckende Realität.

Die Autorin beschreibt in ihrem, für dieses komplexe Thema leicht lesbar verfasstem Buch, dass ein globales solidarisches Handeln nötig ist, um das Auseinanderbrechen der Weltgesellschaft durch die Auswirkungen des Klimawandels zu verhindern. Denn: "In unserer heutigen Welt kommen nahezu gleichzeitig überall Systeme unter Druck, die über Jahrzehnte verlässlich funktioniert zu haben scheinen und die Menschheit Tag für Tag und immer umfassender mit Energie, Nahrung, Medikamenten und Sicherheit versorgten. Sie prägten eine Epoche, in der es, grob gesagt, von allem immer mehr gab."

Ist die Menschheit bereit zum "Aufstand gegen das Aussterben"?

Wie auch Maja Göpel zweifelt die Mehrheit der Wissenschaftler*innen seit längerem nicht mehr daran, dass die Menschheit auf eine selbstgemachte Klimakatastrophe zusteuert. Dass dies weltweit Einschnitte von noch nicht denkbarem Ausmaß in der menschlichen Lebenswelt mit sich bringen wird, zeigen aktuell die Auswirkungen der Corona-Pandemie.

Dennoch scheinen grundsätzliche Verhaltensänderungen, weder in der Politik, noch in großen Teilen der Gesellschaft, auf Interesse zu stoßen. Besonders die Menschen in der westlichen Welt möchten sich ihre Form des Wohlstands als gewohntes Privileg erhalten. Am Beispiel einer Demonstration in London im Oktober 2019 zeigt die Autorin in ihrem Buch, dass sich leichter darüber aufgeregt wird, wenn der Zug zur Arbeit nicht pünktlich abfährt, anstatt sich dem dahinter stehenden Protest gegen die tägliche Luftverschmutzung anzuschließen.

Die Autorin, deren Buch am 28. Februar 2020 veröffentlicht wurde, konnte darin die Auswirkungen der Corona-Pandemie noch nicht berücksichtigen. Nun, Mitte April, sind die Straßen weitestgehend menschenleer und es gibt nur noch wenig Flugverkehr. Maja Göpels Plädoyer dafür, zur Abwendung von Katastrophen Wege zu finden, die durch heutiges Wissen auch bereits gangbar wären, bekommt damit einen Nachdruck, den sich niemand gewünscht hat. Die aktuelle Krise bekräftigt ihre Argumentation, dass wir die Freiheit haben, uns für ein anderes Gesellschaftsmodell zu entscheiden - dies geschieht in kleinen Ansätzen weltweit gerade durch die Zunahme von solidarischem Verhalten.

Solidarische Gemeinschaft - Wirtschaften in den Grenzen des Planeten

In zehn thematisch abgegrenzten Kapiteln zeigt die Autorin an bekannten Beispielen, dass durch einfache Veränderungen in den Rechtssystemen genügend Geld vorhanden wäre, um klimaschützende Maßnahmen einzuleiten. So hinterlassen, nach ihren Berechnungen, reiche Vielflieger*innen mit ihren Privatjets einen weit größeren ökologischen Fußabdruck als der weniger finanzstarke Teil der Bevölkerung. Wie sie am Beispiel von Bill Gates zeigt, der die von dem Ökologen Stefan Gössling 2017 zusammenstellte Liste der Vielflieger anführt, hat dieser „in einem Jahr das Lebensbudget an Kohlendioxid von 38 Menschen verbraucht". Auch an weiteren Beispielen macht Göpel deutlich, dass die ökologische Krise nur gemeinsam mit der sozialen Frage angegangen werden kann.

Gerechtigkeit ist ein zentrales Thema bei der Diskussion um den Klimawandel. Maja Göpel widmet deshalb dieser Frage nach der Verteilung von Besitz und Ressourcen ein Kapitel ihres Buches und führt darin den US-amerikanischen Philosophen John Rawls mit seinen Ausführungen des "Gerechtigkeitsdilemmas" an. Damit erklärt Rawls, dass die individuellen Lebensmöglichkeiten qua Geburt bestimmt werden und deshalb das Dilemma besteht, dass dadurch die Chancen auf eine gerechte Verteilung minimal sind. Eine internationale Künstler*innengruppe in Berlin hat dies bereits im Jahr 2018 mit ihrer mehrsprachigen Plakataktion "Auf welcher Seite du bist ist reiner Zufall durch Geburt" aufgegriffen. Doch dieser Verweis auf geerbte Privilegien ist immer noch so unpopulär, wie Diskussionen um ungleiche Entlohnung und Einkommensverteilung, bis zu den kaum sanktionierten Steuervermeidungstricks weltweit agierender Firmen. Eine solidarische Gemeinschaft sieht anders aus, oder, wie Maja Göpel schreibt: "Das geht doch besser."

Nicht so ausführlich wie Kate Raworth in "Die Donut-Ökonomie. Endlich ein Wirtschaftsmodell, das den Planeten nicht zerstört", geht Göpel auf ökonomische Theorien ein, die hinter heutigem wirtschaftlichen Handeln stehen. Am Beispiel eines wissenschaftlichen Experiments zeigt sie, dass die weit verbreitete Idee des rational-ökonomisch handelnden Menschen, des "homo oeconomicus", nicht mit realem Verhalten übereinstimmt. Wer genauer erfahren will, wie es zur reduzierten Verbreitung von historischen ökonomischen Gedankengebäuden kam und wie ein nachhaltiges ökologisches und solidarisches Wirtschaftsmodell aussehen könnte, denen sei das oben genannte Buch von Kate Raworth zur Lektüre eindeutig empfohlen.

Fortschritt als gesellschaftlicher Lernprozess

Maja Göpels Kindheit und Jugend sind, wie sie auch schreibt, nachhaltig geprägt von der Umwelt- und Friedensbewegungen in den 1980-90er Jahren. Mit diesen Erfahrungen im Hintergrund fragte sie sich, warum sich viele Menschen "Liebe, Frieden, die Überwindung von Armut und eine schöne und sichere Umwelt" wünschen, aber nichts dafür tun. Und so fing sie an, nach Antworten zu suchen, die sie prägnant und realisierbar formuliert in ihr Buch aufgenommen hat.

Bei ihrer Auseinandersetzung um die verschiedenen Bedeutungen von "Fortschritt" stellt sie fest, dass auf technische Innovationen und ihre ökonomische Nutzbarmachung große Hoffnung gesetzt wird. Für sie gehört zu Vorstellungen von Fortschritt die Entwicklung gesellschaftlicher Werte, wie sie durch die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die gesetzliche Verankerung der Gleichberechtigung und den siebzehn Nachhaltigkeitszielen der 2030-Agenda für Nachhaltige Entwicklung ausgedrückt werden.

Der gewöhnlich damit assoziierte technische Fortschritt, der rein profitorientiert ausgerichtet ist, führte zu den aktuellen globalen Umweltproblemen, indem unter anderem, wie Göpel formuliert, die Erdatmosphäre als Müllhalde für Kohlendioxid genutzt wurde und wird. Sie spricht sich deshalb nachdrücklich für einen Begriff von Fortschritt aus, der in Einklang mit der Umwelt und der Gesellschaft gedacht werden muss, auch und besonders bei technischen Entwicklungen.

Für eine solidarische Lebensweise

"Die Summe des Ganzen ist mehr als seine Teile". Mit diesem Zuspruch entlässt Maja Göpel ihre Leser*innen aus dem Buch, nachdem sie in den vorhergehenden Seiten bekräftigte, dass jegliches Handeln für eine solidarische, statt einer profitorientierten Zukunft, ein kleiner, aber wichtiger Baustein für eine krisenfestere, menschliche Welt ist. Wie wir in Zeiten der Corona-Pandemie erleben, ergibt sich aus dem rücksichtsvollen und solidarischen Verhalten vieler Einzelner eine Verbesserung der gesundheitlichen Lage der gesamten Gesellschaft. Vielleicht ist das für die Menschheit der erste Schritt, einer neuen Idee von Wohlstand den Vorrang zu geben.

AVIVA-Tipp: Maja Göpels Buch steckt voll Anregungen, sich eine andere Welt nicht nur zu denken, sondern sie auch zu wagen. Mit viel Hintergrundwissen und Beispielen, die im Gedächtnis bleiben, schreibt sie ermutigend für ein globales, solidarisches Umdenken und gegen die Vorherrschaft von Profitdenken. Ein kleines, handliches und äußerst lesenswertes Buch, das die Vermeidung der großen globalen Klimakrise erreichbar erscheinen lässt.

Zur Autorin: Maja Göpel wuchs in einem Dorf in der Nähe von Bielefeld auf, ging dort in eine Reformschule und kam bereits als Kind und Jugendliche mit der Ökologie- und Friedensbewegung in Kontakt. Sie diplomierte 2001 als Medienwirtin, promovierte 2007 in politischer Ökonomie, arbeitete als Ehrenamtliche für den Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland und von 2006 bis 2012 für die Stiftung "World Future Council". Als sie Mutter wurde, entschied sie sich beruflich für das Wuppertal Institut, einer Forschungseinrichtung für Umwelt, Klima und Energie und leitete deren Berliner Büro von 2013 bis 2017. Sie ist Mitglied des Club of Rome, des World Future Counicil, der Balaton Group sowie des Wissenschaftlichen Beirats der Stiftung Entwicklung und Frieden. 2016 veröffentlichte sie ihr Buch "The Great Mindshift" in dessen Zentrum Vorschläge zur Veränderung der Mindsets und Kompetenzen stehen, die technische, ökonomische und gesellschaftliche Institutionen prägen. Seit September 2017 arbeitet sie als Generalsekretärin des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung für Globale Umweltveränderungen und ist dadurch Mitglied im Fachausschuss Wissenschaft der Deutschen UNESCO-Kommission. Sie ist Honorarprofessorin an der Leuphana Universität in Lüneburg. Im März 2019 gründete sie mit einer Gruppe von Wissenschaftler*innen die "Scientists for Future".

Am 27. Februar 2020 erhielt Maja Göpel den "Adam-Smith-Preis für marktwirtschaftliche Umweltpolitik 2019 " vom Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft. In ihrer Laudatio thematisierte Prof. Dr. Angelika Zahrnt, Ehrenvorsitzende des Bunds für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V., auch den Gender Bias dieser Disziplin, der sich in drei Preisträgerinnen gegenüber zwölf Männern ausdrücke.

Die Autorin auf der Webseite des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen www.wbgu.de

Maja Göpel
Unsere Welt neu denken. Eine Einladung

Ullstein-Buchverlage, Februar 2020
Hardcover, gebunden, 208 Seiten
ISBN-13: 783550200793
17,99 Euro
Mehr zum Buch unter: www.ullstein-buchverlage.de

Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:

Kate Raworth - Die Donut-Ökonomie. Endlich ein Wirtschaftsmodell, das den Planeten nicht zerstört
Aktueller könnte Kate Raworth mit ihrer Kritik am vorherrschenden Wirtschaftsmodell und ihren Vorschlägen zum Umdenken nicht sein. Ganz im Sinne der Fridays-for-Future-Bewegung und deren Engagement für sofortige Klimaschutz-Maßnahmen, stellt sie die veralteten Lehren der Wirtschaftswissenschaften fundiert in Frage. Mit ihrem "Donut-Modell" diskutiert sie Alternativen und plädiert für eine ökologische und menschenfreundliche Ökonomie, die an vorhandene Konzepte anknüpfen kann. (2019)

Naomi Klein - Warum nur ein Green New Deal unseren Planeten retten kann. On Fire. The (Burning) Case for a Green New Deal
Die kanadische Klimaaktivistin Naomi Klein (Die Entscheidung. Kapitalismus vw. Klima", "Die Schock-Strategie. Der Aufstieg des Katastrophen-Kapitalismus", "No Logo!") ist keine Freundin der leisen Töne. Sie fordert radikales Umdenken in Bezug auf unseren Umgang mit dem Planeten Erde und bietet ein klares Konzept, wie der Klimakollaps aufzuhalten ist. Ihre Antwort ist der Green New Deal. (2019)

The Green Lie - Die grüne Lüge. Buch Kathrin Hartmann, Dokumentarfilm Werner Boote unter Beteiligung von Kathrin Hartmann
Dem Greenwashing der großen Konzerne, die Nachhaltigkeit versprechen und dabei Menschenrechte verletzen, gehen Autorin Kathrin Hartmann und Regisseur Werner Boote gemeinsam auf den Grund. Der Dokumentarfilm über falsche Produktversprechen und untätige Politiker*innen hatte auf der 68. Berlinale seine Welturaufführung. Inhaltlich ergänzt das im Februar 2018 im Blessing-Verlag erschienene gleichnamige Buch die im Film vorgestellten Beispiele. Damit belegen Hartmann und Boote eine erschreckende Ignoranz und Arroganz von Manager*innen und Politiker*innen gegenüber den internationalen Menschenrechten. (2018)

Weitere Infos unter:

www.zdf.de
Maja Göpel im ZDF-Gespräch mit Richard David Precht zum Thema "Ökonomie und Ökologie - Ein Widerspruch?" am 15. März 2020, Länge: 42 Minuten.

Laudatio von Prof. Dr. Angelika Zahrnt bei der Preisverleihung des Adam-Smith-Preis für marktwirtschaftliche Umweltpolitik an die Nachhaltigkeitswissenschaftlerin Prof. Dr. Maja Göpel vom Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS).

Charta der Scientists for Future, einem überinstitutionellen, überparteilichen und interdisziplinären Zusammenschluss von Wissenschaftler*innen, die sich für eine nachhaltige Zukunft engagieren.

The Clube of Rome: Open Letter to Global Leaders - A Healthy Planet for Healthy People
Der Club of Rome ist ein Zusammenschluss von Expert*innen verschiedener Disziplinen aus mehr als dreißig Ländern. 1968 gegründet, setzt sich die gemeinnützige Organisation für eine nachhaltige Zukunft der Menschheit ein und erlangte mit seinem 1972 veröffentlichten Bericht "Die Grenzen des Wachstums" weltweit große Beachtung.


Literatur

Beitrag vom 16.04.2020

Helga Egetenmeier