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Beitrag vom 27.08.2019
Kate Raworth - Die Donut-Ökonomie. Endlich ein Wirtschaftsmodell, das den Planeten nicht zerstört
Helga Egetenmeier
Aktueller könnte Kate Raworth mit ihrer Kritik am vorherrschenden Wirtschaftsmodell und ihren Vorschlägen zum Umdenken nicht sein. Ganz im Sinne der Fridays-for-Future-Bewegung und deren Engagement für sofortige Klimaschutz-Maßnahmen, stellt sie die veralteten Lehren...
... der Wirtschaftswissenschaften fundiert in Frage. Mit ihrem "Donut-Modell" diskutiert sie Alternativen und plädiert für eine ökologische und menschenfreundliche Ökonomie, die an vorhandene Konzepte anknüpfen kann.
Die auffallende Bezeichnung ihres Wirtschaftsmodells entspringt Kate Raworth Ansatz, gleichzeitig mit ihrer Erneuerung der ökonomischen Theorien ein einprägsames Gegenbild dafür aufzustellen. Zu ihrer umfassenden Kritik an der vorherrschenden Lehre wurde sie durch ihr Wirtschaftsstudium in Oxford motiviert. Dort musste sie feststellen, dass nur die konservativen Theorien des vergangenen Jahrtausends gelehrt wurden, die auf die heutigen gesellschaftlichen Fragen an die Ökonomie keine Antwort geben können.
Das "Donut-Modell": gesellschaftliches Fundament und ökologische Decke
Mit ihrem dreidimensionalen Donut-Modell verbildlicht Kate Raworth gut nachvollziehbar die komplexen Zusammenhänge zwischen Mensch, Natur und Marktwirtschaft. Gleichzeitig spricht sie sich für eine breite Diskussion der von ihr fokussierten Inhalte aus, da ihr nur gemeinschaftlich getragene Änderungen zukunftsweisend erscheinen. Deshalb fordert sie auch, die hierarchischen Verhaltensmuster, wie sie Universitäten, Staaten und Unternehmen über Jahrhunderte geprägt haben, abzulösen.
Fünf kreisförmige, miteinander verbundene Zonen unterscheidet ihr Donut-Modell. Im Inneren erfasst sie die menschlichen Lebensbereiche, wie Wasser, Nahrung und soziale Gerechtigkeit, die sie aus den Zielen der UNO für eine nachhaltige Entwicklung ableitet. Sie bilden die Grundlage des zweiten Bereichs, dem "gesellschaftlichen Fundament". Dieses sollte keinem Menschen vorenthalten werden, weißt jedoch in seinem aktuellen Zustand große Mängel auf. Beispielsweise ist global - das Donut-Modell hat immer die gesamte Welt im Blick - der gleiche Zugang zu Bildung nicht gewährleistet.
Die äußere Grenze, den vierten Kreis des Donuts, bezeichnet Raworth als "ökologische Decke". Außerhalb derer befindet sich im fünften Bereich, unter anderem, die Luftverschmutzung, der Verlust der Artenvielfalt und der Klimawandel, und damit die für die Menschheit schädlichen Entwicklungen des Anthropozän. Dazwischen, in der gebackenen Mitte des Donut, liegt als dritter Bereich der "sichere und gerechte Raum für die Menschheit" und die "regenerative und distributive Ökonomie", also der anzustrebende Zustand für die menschliche Gemeinschaft, um ihr Überleben zu sichern und die Menschenrechte für Alle zu gewährleisten.
Der Mensch: Wirtschaftsfaktor oder Lebewesen
Nach der kurzen Darlegung ihres Wirtschaftsmodells geht Raworth zurück in die Geschichte der klassischen Wirtschaftstheorie. Ihr Anliegen dabei ist, die Entstehung des vorherrschenden Bildes des rationalen, ökonomischen Menschen zu hinterfragen und dadurch diese destruktive Sichtweise aufzubrechen. Sie zeigt, dass der Begründer der klassischen Nationalökonomie, Adam Smith, den Menschen noch als vielfältiges soziales Wesen sah, der nicht auf eine Identität verengt werden sollte.
Doch die nachfolgenden Ökonomen, wie Jon Stuart Mill, Alfred Marshall und Milton Friedman, strebten ein Modell des ökonomischen Menschen an, das zur unabhängigen Stellung einer klar abgrenzbaren Wirtschaftswissenschaft passen musste. Kate Raworth sieht so bereits Ende des 19. Jahrhunderts die Karikatur eines vereinzelten Menschen entstehen, "der stets seinen Nutzen berechnet und unersättlich ist in seinen Wünschen." Weiter führt sie gegen dieses vereinfachte Menschenbild aus, dass damit "aus einem Modell des Menschen allmählich ein Modell für den Menschen" wurde.
Ebenfalls eine Unredlichkeit der Wirtschaftswissenschaften weist sie in der gegenwärtigen Verwendung der Umwelt-Kuznets-Kurve nach. Diese wird dazu herangezogen, um vermeintlich zu zeigen, "dass das Wachstum am Ende die Umweltprobleme wieder behebt, die es verursacht". Die beiden US-amerikanischen Ökonomen Gene Grossman und Alan Krueger, die die Studie durchführten, machten zwar darauf aufmerksam, dass sie nur über lokale Daten zur Luft- und Wasserverschmutzung verfügten und keine globale Aussage machen könnten, doch wie Raworth beschreibt, wurde "ihre Hypothese bald zu einem weitverbreiteten ökonomischen Glaubenssatz". Und damit verweigern sich die Wirtschaftsunternehmen den an sie gestellten Forderungen nach ökologischem Verhalten. Raworth widerlegt die Umwelt-Kuznets-Kurve mit anderen Studien, wie der von Mariano Torras und James K. Boyce, die aus ihren Erhebungen schließen, dass die Umweltqualität höher ist, wenn es weniger Einkommensunterschiede gibt.
Nachdem die Wissenschaftlerin deutlich gemacht hat, wie es bis heute zu dieser hartnäckig verteidigten und eingeschränkten Sicht der Ökonomie auf den Menschen kommen konnte, führt sie Nachweise aus unterschiedlichen Lebensbereichen an, in denen die Menschen die soziale Gemeinschaft pflegen. Als ein Beispiel gilt ihr der "Malala-Effekt", benannt nach der pakistanischen Bildungsaktivistin Malala Yousafzai. Er bezeichnet das mutige Verhalten von Millionen von jungen Mädchen weltweit, die ihr Recht auf Bildung einfordern. Diese positiv besetzten Vorbilder sind für sie der Beweis für die Veränderungen, die bereits begonnen haben, und dazu führt wie weitere Beispiele aus dem open source-Bereich an, der Allmende, regionalen Gemeinschaften und kleinen Unternehmen.
Die Staatsaufgabe: regenerative statt degenerative Wirtschaft
Raworth stellt sich in ihren Thesen wiederholt die Frage, in wessen Sinn die gewählten Politiker*innen handeln und als Vertreter*innen der Bevölkerung Steuergesetze erlassen, um den Regierungsgeschäften nachzugehen. Die Frage beantwortet sie auch, indem sie eine alte Forderung anführt: Die Arbeit der Menschen darf nicht besteuert werden, damit der Stundenlohn kein Ziel von Einsparungsmaßnahmen wird. Dagegen appelliert sie dafür, nicht-erneuerbare Ressourcen durch entsprechende Steuergesetze zu beschützen.
Damit ist sie in ihrer Auseinandersetzung mit der historischen ökonomischen Entwicklung und den Bemühungen der Menschen um alternative Lebensweisen bei der staatlichen Politik angekommen. Dass deren Fokus weiterhin auf den falschen Prämissen veralteter Wirtschaftstheorien beruht, hat Raworth in ihrem Buch umfassend und kenntnisreich herausgearbeitet. Aber dass sich Politiker*innen selten von der mächtigen Wirtschaft zugunsten der Gesamtbevölkerung abwenden, zeigten bereits Kathrin Hartmann in ihrer Auseinandersetzung "Die grüne Lüge", Rana Foroohar mit "Makers and Takers", ihrer Kritik am überdimensionierten Finanzsektor und Naomi Klein in "Die Entscheidung. Kapitalismus vs. Klima", als die politische Wahl, der Ausbeutung der Natur und der zunehmenden Umweltverschmutzung zuzustimmen. Elisabeth Kolbert beschreibt die Vernichtung der Umwelt durch den Menschen in "Das 6. Sterben. Wie der Mensch Naturgeschichte schreibt" und wurde dafür mit dem Pulitzer-Preis in der Kategorie Sachbuch ausgezeichnet.
Was ist nun anders an Kate Raworth Ausführungen? Als Ökonomin zeigt sie, wie wichtig es ist, dass eine umfassende Veränderung bei den Wirtschaftswissenschaften erfolgen muss, um den Klimawandel aufzuhalten - aber auch, weil sich deren ökonomische Theorien bei genauer Betrachtung als fragwürdig erweisen. Manchmal wirken ihre Ausführungen etwas ausgreifend, denn sie geht auch ins Detail, um sich verständlich zu machen. Zusammen mit ihrem ansprechenden Schreibstil und ihrem positiven Blick nach vorn verhilft ihr Buch damit auch ökonomisch weniger Geschulten, einen guten Einblick in dieses Themengebiet zu bekommen.
AVIVA-Tipp: Kate Raworth erklärt verständlich und detailreich, wie wichtig es für das Abwehren des Klimawandels ist, die veralteten Ansätze der Wirtschaftswissenschaften aufzugeben und sie mit Blick auf das 21. Jahrhundert ganz neu zu denken. Sie plädiert für eine breite kommunikative Auseinandersetzung, um durch zukunftsweisendes gemeinschaftliches Handeln zu einer gerechten globalen Gesellschaft zu gelangen - deren Ansätze sie bereits sieht. Ihre aussagekräftigen Ausführungen mit der Betonung des debattierenden Miteinanders sind sowohl für Schüler*innen ab der 7. Klasse geeignet, wie auch für alle Erwachsenen ein breiter Informationsgewinn.
Zur Autorin: Kate Raworth ist eine britische Wirtschaftswissenschaftlerin. 1970 geboren, schlug sie zunächst den klassischen akademischen Weg über ein Wirtschaftsstudium ein, war aber schon bald von den veralteten Modellen enttäuscht und wurde darüber zum "Bad Girl" der anglo-amerikanischen Ökonomie. Sie lehrt in Cambridge und am Enviromental Change Institute in Oxford, wo sie auch studierte. Vorher arbeitete sie 20 Jahre für Oxfam und die UN. Sie ist, wie auch Vandana Shiva und Naomi Klein, Mitunterzeichnerin eines im Dezember 2018 veröffentlichten offenen Briefes, in welchem der Politik ein Scheitern bei der Thematisierung der Krise vorgeworfen wird und dazu aufgerufen wird, sich Bewegungen wie Extinction Rebellion (Rebellion gegen das Aussterben: weltweit aktive Bewegung, die in der Klimakrise zu zivilem Ungehorsam zwecks Beendigung des Massenaussterbens aufruft) anzuschließen, wie dort auch zum Konsumverzicht aufgerufen wird.
Mehr zu Kate Raworth im Netz: www.kateraworth.com und auf Twitter: twitter.com/kateraworth
Zur Übersetzerin: Sigrid Schmid, übersetzt u.a. Bücher von Hannah Fry, Souad Mekhennet und Jaron Lanier. Gemeinsam mit Hans Freundl übersetzte sich auch Jon Krakauer "Die Schande von Missoula. Vergewaltigung im Land der Freiheit".
Zum Übersetzer: Hans Freundl übersetzt Sachbücher aus dem Englischen, u.a. von David Graeber, Nelson Mandela und Bob Woodward.
Kate Raworth
Die Donut-Ökonomie. Endlich ein Wirtschaftsmodell, das den Planeten nicht zerstört
Originaltitel: Doughnut Economics. Seven Ways to Think Like a 21st-Century Economist.
Ãœbersetzer*innen: Sigrid Schmid, Hans Freundl
Carl Hanser Verlag, März 2018
Hardcover, gebunden, 416 Seiten
ISBN-13: 978 3446258457
24,00 Euro
www.hanser-literaturverlage.de
Das Buch ist auch erschienen bei der Landeszentrale für politische Bildung, Baden-Württemberg
Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:
The Green Lie - Die grüne Lüge. Buch Kathrin Hartmann, Dokumentarfilm Werner Boote unter Beteiligung von Kathrin Hartmann, Kinostart: 22. März 2018
Dem Greenwashing der großen Konzerne, die Nachhaltigkeit versprechen und dabei Menschenrechte verletzen, gehen Autorin Kathrin Hartmann und Regisseur Werner Boote gemeinsam auf den Grund. Der Dokumentarfilm über falsche Produktversprechen und untätige Politiker*innen hatte auf der 68. Berlinale seine Welturaufführung. Inhaltlich ergänzt das im Februar 2018 im Blessing-Verlag erschienene gleichnamige Buch die im Film vorgestellten Beispiele. Damit belegen Hartmann und Boote eine erschreckende Ignoranz und Arroganz von Manager*innen und Politiker*innen gegenüber den internationalen Menschenrechten. (2018)
Rana Foroohar - Makers and Takers. Der Aufstieg des Finanzwesens und der Absturz der Realwirtschaft
Der erste G20-Gipfel 2008 in Washington war die Antwort auf die globale Banken- und Finanzkrise. Nun fand in Hamburg ein G20-Gipfel mit einem US-Präsidenten statt, der den US-Banken mehr Freiheiten gewährt. Dagegen schreibt die angesehene US-Wirtschaftsjournalistin Rana Foroohar mit ihrem (2017)
Elizabeth Kolbert - Das 6. Sterben. Wie der Mensch Naturgeschichte schreibt
Eisbären, Elefanten, Großer Panda, die Kegelrobbe, Menschenaffen, Nashörner, Tiger, Löwen ... dies sind nur einige der Säugetiere, die gegenwärtig vom Aussterben bedroht sind. Laut WWF gelten zurzeit 22.413 Arten auf der Roten Liste der Weltnaturschutzunion (IUCN) als gefährdet. (2016)
Global Gardening. Bioökonomie - neuer Raubbau oder Wirtschaftsform der Zukunft? Aus kontrolliertem Raubbau. Wie Politik und Wirtschaft das Klima anheizen, Natur vernichten und Armut produzieren.
Glyphosat und Palmöl, TTIP und gentechnisch veränderte Lebensmittel, diese Begriffe wirken polarisierend, doch kaum jemand weiß, was genau dahinter steckt. Die beiden Autorinnen Christiane Grefe und Kathrin Hartmann füllen diese Begriffe auf verständliche Weise und untersuchen dabei mit detailgenauen Recherchen, wer durch die Entwicklungen in der Bioökonomie zu den Gewinner*innen und Verlierer*innen gehört. (2016)
Naomi Klein - Die Entscheidung. Kapitalismus vs. Klima
Die kanadische globalisierungskritische Aktivistin, Schriftstellerin und Journalistin fordert eine Entscheidung: ein konsumorientierter Lebensstil, der das Leben auf der Welt in naher Zukunft unmöglich machen wird, oder ein Kurswechsel, der eine emanzipierte, klimafreundliche Gesellschaft etablieren kann. (2015)
Good Food. Bad Food. Anleitung für eine bessere Landwirtschaft
Coline Serreau zeigt in ihrer visionären Dokumentation Menschen, die Antworten auf die drängendsten Probleme unserer Zeit gefunden haben: Sie leben vor, wie unsere Ressourcen effektiv genutzt werden können, ohne dabei die Natur zu zerstören und Menschen in bitterste Armut zu treiben. (2011)
Weitere Informationen:
www.isipe.net
Webseite der International Student Initiative for Pluralism in Economics, die sich gegen eine verengte und ideologisch voreingenommene Perspektive der Lehrbücher und Lehrveranstaltungen an Universitäten wendet.
www.fridaysforfuture.de/scientists-for-future
Webseite der Bewegung "Fridays for Future", mit Verweis auf die Unterstützung von Wissenschaftler*innen.
www.scientists4future.org
Webseite von Wissenschaftler*innen mit ihrer ersten Stellungnahme in verschiedenen Sprachen, mit über 26.800 Unterschriften, die auf drei parallel stattfindenden Pressekonferenzen in Berlin, Wien und Graz am 12.3.2019 vorgestellt wurden.
www.plurale-oekonomik.de
Das Netzwerk Plurale Ökonomie setzt sich für ein neues ökonomisches Denken ein und will der Vielfalt ökonomischer Theorien Raum geben, die Lösung realer Probleme in den Vordergrund stellen und Selbstkritik, Reflexion und Offenheit in der VWL fördern.
Aufzeichnung der Heinrich-Böll-Stiftung
Buchvorstellung von Kate Raworth mit anschließender Diskussion in den Räumen der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin.