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Beitrag vom 16.02.2019
Elena Ferrante - Frau im Dunkeln. Verlosung
Doris Hermanns
Ein Urlaub wird für eine Anglistik-Professorin in Ferrantes neuem Roman zu einer Reise in die Vergangenheit, in der sie sich mit sowohl mit ihrer Rolle als Tochter als auch der als Mutter auseinandersetzt. AVIVA verlost 2 Bücher
Die bald 50-jährige Anglistik-Professorin Leda aus Florenz hat Lust auf Urlaub und macht sich mit einem Auto voller Bücher auf den Weg an die ionische Küste. Seit ihre beiden Töchter zu ihrem Vater nach Kanada gezogen sind, hat sie einen anderen Lebensrhythmus für sich gefunden und ist gelassener geworden. Früher ist sie mit ihren Töchtern zusammen in Urlaub gefahren, später zu Hause zu geblieben. Nun reist sie zum ersten Mal alleine. Es scheint ihr ein idyllischer Urlaub bevor zu stehen.
Dass dieser nicht so idyllisch enden wird, ist gleich von Anfang an deutlich: Nach einem Autounfall auf der Rückfahrt liegt sie im Krankenhaus, zwar ohne schwere Verletzungen, aber mit der Erkenntnis: "Die Dinge, die wir selbst nicht verstehen, sind am schwierigsten zu erzählen." Der Roman Frau im Dunklen ist dann der Versuch, genau dies, also das Unverständliche, zu erzählen.
Am Strand trifft Leda eine Familie, die aus Neapel stammt, wo auch sie aufgewachsen ist. Ihrer eigenen Familie wollte sie als Mädchen nur entfliehen, aber "Ich hielt sie nicht aus und doch ließen sie mich nicht los, ich trug sie alle in mir." Jetzt fällt ihr besonders eine junge Frau, Nina, und deren etwa dreijährige Tochter, Elena, auf. "Die junge Frau war schön, doch erst ihr Muttersein machte sie zu etwas Besonderem."
Leda erinnert sich daran, dass ihr eigenes Muttersein keineswegs von Perfektionismus bestimmt war. Nicht nur denkt sie an den Kummer, den sie mit ihrer Mutter, aber auch mit ihren Töchtern hatte, sie sieht ihre Töchter durchaus auch kritisch. Als junge Mutter hatte sie das Gefühl, festgefahren zu sein: Sie hatte zwei kleine Kinder, um die sie sich allein kümmern musste, da ihr Mann beruflich ständig unterwegs war. "So war mit fünfundzwanzig für mich jedes andere Spiel gelaufen."
Aber damit will sie sich nicht abfinden, will ihre eigenen Bedürfnisse wieder dringlicher wahrnehmen als die anderer. Nachdem sie sich bereits gewünscht hatte, die Töchter mit deren Bedürfnissen unsichtbar machen zu können, verlässt sie ihre Familie – auch wenn es ihr in erster Linie darum ging, ihren Mann, nicht aber ihre Kinder zu verlassen - und kümmert sich um ihre Karriere. "Manchmal ist einfach alles zu viel." In dieser Zeit war es für sie die richtige Entscheidung: "Es war, als hätte ich mich völlig aufgelöst, als würden meine tausend Einzelteile in alle Richtungen auseinanderfliegen, frei und zufrieden." Nach drei Jahren kehrt sie zu ihren Töchtern zurück, weil sie gemerkt hat, "dass ich nicht in der Lage war, etwas zu schaffen, das ihnen wirklich ebenbürtig gewesen wäre."
Inzwischen ist sie jedoch an einem anderen Punkt in ihrem Leben angelangt. Die Töchter sind erwachsen, sie selber zufrieden, ihre Pflichten als Mutter erfüllt zu haben. Beide scheinen zu einer anderen Zeit zu gehören, sie scheint sie an die Zukunft verloren zu haben. Zu Ferrantes Stärken gehört es, dass sie ihre Charaktere auf vielschichtige Weise beschreibt, schwarz-weiß-Malerei liegt ihr fern.
Das Unsichtbarwerden, das Auflösen zieht sich bekanntlich durch Ferrantes Werk, handelt doch z. B. auch die Neapolitanische Saga genau davon. Aber auch andere Motive, wie etwa eine Puppe, kommen in diesem Roman wieder an zentraler Stelle vor. Elena verliert ihre Puppe, an der sie sehr hängt – als das Mädchen eines Tages verloren geht, ist es die Puppe, die sie vermisst, nicht die Mutter – und ist untröstlich. Und hier geschieht nun das Unfassbare, als die Erzählerin diese findet, was sie selber nicht verstehen kann. Leda versucht, Ordnung zu schaffen und zu verstehen: "Ich dachte, dass eine unerklärliche Handlung weitere Handlungen von immer größerer Undurchsichtigkeit nach sich zog, das Problem war also diese Kette aufzubrechen". Durch dieses Aufbrechen kommt jedoch die Annäherung von Leda und Nina, die sich für kurze Zeit fast aneinander gespiegelt hatten, abrupt zum Ende. Beide verstehen, dass ihre Lebenssituationen, auch wenn sie eine Zeitlang ähnlich erschienen, doch sehr unterschiedlich sind, dass das Verständnis füreinander geringer als gedacht ist. Auch hier gilt wieder "Manchmal muss man fliehen, wenn man nicht sterben will." Dass sie die Konsequenzen ihres Handelns auch diesmal wieder mitnimmt, merkt Leda allerdings erst unterwegs.
"Selbst eine Mutter ist nur eine spielende Tochter."
Um eine Puppe, die über Nacht verschwindet, geht es auch in Ferrantes als Kinderbuch angekündigten Erzählung Strand bei Nacht. Die fünfjährige Mati spielt solange mit ihrer Puppe, bis sie von ihrem Vater eine kleine Katze, Minú, geschenkt bekommt, über die sie ihre frühere Spielkameradin völlig vergisst und sie am Stand liegen lässt. Celina, die Puppe, erzählt nun was ihr über Nacht passiert, am Strand und im Meer, wunderbar illustriert von Mara Cerri. Am nächsten Tag wird Celina ausgerechnet von Minú gefunden, und die drei versöhnen sich.
AVIVA-Tipp: Frau im Dunkel ist ein beeindruckender Roman, der sich nicht nur mit Mütter-Tochter-Beziehungen und der Doppelbelastung von Frauen beschäftigt, sowie dem Bedürfnis, es "anders machen zu wollen als die Mutter", sondern auch mit grundlegenden Entscheidungen, die nicht immer nachvollziehbar sind. Strand bei Nacht ist wunderbare kleine verspielte Geschichte, die sich gut als Ergänzung zu den anderen Romanen lesen lässt. Nur wäre dem Buch ein größeres Format zu wünschen gewesen, in dem die Illustrationen besser zur Geltung gekommen wären.
Zur Autorin: Elena Ferrante hat sich mit dem Erscheinen ihres Debütromans im Jahr 1992 für die Anonymität entschieden. Ihre vierbändige Neapolitanische Saga –Meine geniale Freundin, Die Geschichte eines neuen Namens, Die Geschichte der getrennten Wege und Die Geschichte des verlorenen Kindes - ist ein weltweiter Bestseller und hat sich millionenfach verkauft. Ihr Kinderbuch Der Strand bei Nacht ist im Oktober 2018 erschienen. Von ihren drei früheren Romanen sind Lästige Liebe in neuer Übersetzung, sowie Frau im Dunkeln bereits wieder erscheinen, im Herbst 2019 folgt Tage des Verlassenwerdens, sowie voraussichtlich im April 2019 die Übersetzung von Frantumaglia. Mein geschriebenes Leben.
Mehr Infos zu Elena Ferrante unter: www.elenaferrante.de
Zu den Ãœbersetzerinnen:
Anja Nattefort, übersetzt aus dem Italienischen und Französischen, darunter Bücher von Alessandro Baricco, Bernard-Henry Lévy und Faïza Guène.
Karin Krieger, geboren 1958 in Berlin, übersetzt vorwiegend aus dem Italienischen und Französischen, darunter Bücher von Claudio Magris, Anna Banti, Armando Massarenti, Margaret Mazzantini, Ugo Riccarelli, Andrea Camilleri, Alessandro Baricco und Giorgio Fontana. Sie war mehrfach Stipendiatin des Deutschen Übersetzerfonds und erhielt 2011 den Hieronymusring.
Elena Ferrante
Frau im Dunkeln
Originaltitel: La figlia oscura
Aus dem Italienischen von Anja Nattefort
Suhrkamp Verlag, erschienen am 11. Februar 2019
Gebunden mit Umschlag. 188 Seiten
ISBN 978-3-518-42870-2
Euro 22,00
Zum Buch: www.suhrkamp.de
Elena Ferrante
Der Strand bei Nacht
Originaltitel: La spiaggia di notte
Aus dem Italienischen von Karin Krieger
Insel-Bücherei im Suhrkamp Verlag, erschienen am 22. Oktober 2018
Gebunden. 48 Seiten
ISBN 978-3-458-19458-3
Euro 14,00
Zum Buch: www.suhrkamp.de
AVIVA-Berlin verlost 2 Bücher. Bitte senden Sie uns dazu die Anzahl aller Werke von Elena Ferrante, die auf AVIVA-Berlin bisher rezensiert wurden und senden uns Ihre Antwort bis zum 30.04.2019 per Email an folgende Adresse: info@aviva-berlin.de
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