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Beitrag vom 10.08.2017
Elena Ferrante - Die Geschichte eines neuen Namens
Doris Hermanns
Es geht weiter mit der Neapolitanischen Saga von Elena Ferrante ("Meine geniale Freundin"): Endlich erfahren wir, wie die Freundschaft der beiden Mädchen während ihrer Jugendzeit weiterentwickelt.
Neapel in den 1960er-Jahren und die beeindruckende Geschichte einer Freundschaft zweier Mädchen, die zu jungen Frauen heranwachsen. Lila hat mit fünfzehn geheiratet und muss noch am Tag ihrer Hochzeit erkennen, wie wenig sie sich auf ihren Mann verlassen, wie wenig sie auf ihn vertrauen kann. Dass die Ehe nicht von Dauer sein wird, ist offensichtlich und im Laufe des Romans wird sie ihren Ehemann dann auch verlassen. Ihren gemeinsamen Sohn nimmt sie mit. Und lernt mit einem anderen Mann, was Liebe für sie bedeuten kann. Ihrer Freundin Elena sagt sie dazu: "Ich hab dich lieb, Lenù, und das wird immer so sein, darum wünsche ich dir, dass du wenigstens einmal im Leben das erlebst, was ich gerade erlebe." Das Problem ist allerdings, dass Elena in den gleichen Mann verliebt ist: "Ich liebte sie beide, daher gelang es mir nicht, mich selbst zu lieben, mich zu spüren, mich mit meinem Bedürfnis nach Leben zu behaupten, das die gleiche blinde und taube Kraft hatte wie ihres."
Bereits in diesem Roman wird Lilas Faszination zur Selbstauslösung deutlich. Sie möchte Schluss machen, mit allem was gewesen ist – was, wie wir bereits seit Anfang des ersten Bandes wissen, ihr letztendlich gelingen wird.
Aber die ganze Sommergeschichte entwickelt sich natürlich nicht zu einer Liebesromanze, nichts liegt Ferrante ferner. Der gemeinsame Urlaub mit anderen Freundinnen nimmt zwar einen relativ breiten Raum im Roman ein, aber er macht auch die Vorstellungen der Freundinnen über ihr Leben deutlich. Trotz aller Männermacht wollen sie sich nicht wirklich anpassen, sondern suchen ihren eigenen Weg.
Eine Zeit der Distanz bricht zwischen den beiden Freundinnen an. Während sich Lila als junge Ehefrau mit ihrer Situation im Rione auseinandersetzen muss, widmet sich Elena weiterhin ihrer Schulausbildung und hat immer mehr das Bedürfnis, Neapel zu verlassen. Ihr Abitur wird für sie zum Wendepunkt: Sie geht zum Studium nach Pisa, auch wenn sie sich deswegen Vorwürfe ihrer Mutter anhören muss. Auch wenn sie sich anfangs wie im Paradies auf Erden fühlt – zum ersten Mal hat sie ein eigenes Zimmer, ein eigenes Bett, einen eigenen Schreibtisch, einen eigenen Stuhl, Bücher, ganz viele Bücher, eine Stadt, die "das ganze Gegenteil vom Rione und von Neapel war" und um sie herum nur Leute, die studierten und darüber sprechen wollten – so hat sie Angst, denn sie fällt auf. Zum einen ist es ihr Dialekt, über den sich andere lustig machen, zum anderen hat sie Angst zu versagen und somit ihr Paradies zu verlieren. Sie muss erst einmal lernen, die geschriebenen und ungeschriebenen Verhaltensregeln, die alle anderen bereits zu kennen scheinen, zu verinnerlichen. Wo die anderen ihr Sicherheits-Wissen aus ihren Familien mitbringen, merkt sie, "ich dagegen, wusste nichts." Trotzdem gelingt es ihr, ihren Abschluss zu erreichen. Die Angst, etwas nicht zu wissen bzw. können, sollte sie allerdings auch weiterhin begleiten, sie hatte immer nur das Gefühl "fast" dazuzugehören. So auch in ihrer Beziehung mit einem Mitstudenten, der aus einer wohlhabenden Familie stammt. Dessen Mutter wird allerdings dafür sorgen, dass sie nicht wie geplant Lehrerin wird, sondern Schriftstellerin. Inspiriert wurde sie dazu allerdings von Lila, auch wenn sie zu dieser Zeit keinen Kontakt miteinander haben: "Ja, es ist Lila, die mein Schreiben mühsam macht. Mein Leben treibt mich dazu, mir vorzustellen, wie ihres wohl gewesen wäre, wenn ihr zuteilgeworden wäre, was mir zuteil geworden ist, welchen Gebrauch sie wohl von meinem Glück gemacht hätte. Und ihr Leben taucht beständig in meinem auf, in den Worten, die ich gesagt habe und in denen häufig ihre Worte wiederklingen (…)."
Nach ihrer Rückkehr in den Rione muss sie feststellen, dass sie dort alles stört. Ihre mühsam erlernte Sprache ist zu einem Zeichen der Fremdheit geworden und als sie einen Vertrag für ihr Buch erhält, gab es niemand, der/dem sie sagen konnte, dass sie etwas Besonderes geschaffen hatte, niemand mit der oder dem sie ihre Freude hätte teilen können und auch ihre Begegnung mit Lila nach langer Zeit verläuft anders, als sie sich erhofft hatte.
Es sind die Dinge, die Ferrante eher beiläufig und nur am Rande erwähnt, die ein sehr klares Bild des Lebens in Italien in den 1960er-Jahren ergeben, vom Alltag, der Gewalt, den Klassenunterschieden, den Machtverhältnissen, dem Sexismus, und die vielschichtig beschriebenen Personen, die sie zu einer großartigen Erzählerin machen.
AVIVA-Tipp: Eine großartige Fortsetzung der Tetralogie, die genauso gut und spannend das Leben der beiden Freundinnen beschreibt, wie dies im ersten Band der Fall war. Und zum Glück lässt der dritte Band nicht mehr lange auf sich warten, denn die Geschichte hat absoluten Suchtcharakter.
Zur Autorin: Elena Ferrante ist die große Unbekannte der Gegenwartsliteratur. In Neapel geboren, hat sie sich mit dem Erscheinen ihres Debütromans im Jahre 1992 für die Anonymität entschieden. Die Geschichte eines neuen Namens ist der zweite Band der Neapolitanischen Saga, der erste war Meine geniale Freundin. Die übrigen zwei Bände – Die Geschichte der getrennten Wege und Die Geschichte des verlorenen Kindes – werden im August 2017 und im Februar 2018 im Suhrkamp Verlag veröffentlicht werden. 2018 sollen auch ihre früheren Romane Lästige Liebe, Tage des Verlassenwerdens und Frau im Dunkeln in neuer Übersetzung wieder erscheinen. Ebenfalls geplant ist ihr neuer Band Frantumaglia.
Mehr Infos zu Elena Ferrante unter: www.elenaferrante.de
Zur Übersetzerin: Karin Krieger, geboren 1958 in Berlin, übersetzt vorwiegend aus dem Italienischen und Französischen, darunter Bücher von Claudio Magris, Anna Banti, Armando Massarenti, Margaret Mazzantini, Ugo Riccarelli, Andrea Camilleri, Alessandro Baricco und Giorgio Fontana. Sie war mehrfach Stipendiatin des Deutschen Übersetzerfonds und erhielt 2011 den Hieronymusring.
Elena Ferrante
Die Geschichte eines neuen Namens
Band 2 der neapolitanischen Saga: Jugendjahre
Originaltitel: Storia del nuovo cognome
Aus dem Italienischen von Karin Krieger
Suhrkamp Verlag, erschienen am 10. Januar 2017
Gebunden mit Umschlag. 624 Seiten
ISBN 978-3-518-42574-9
Euro 25,00
Zum Buch: www.suhrkamp.de
Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:
Elena Ferrante - Meine geniale Freundin
Am 27. August war es endlich so weit: Der erste Band der Neapolitanischen Saga von Elena Ferrante erschien auf Deutsch – lange nachdem alle vier Bände in anderen Sprachen bereits weltweit bejubelt wurden. (2016)