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Beitrag vom 12.06.2021
Audre Lorde – Sister Outsider. Essays
Silvy Pommerenke
Audre Lorde: Schwarze lesbische feministische Sozialistin und Ikone des Schwarzen Feminismus hat vor vierzig Jahren mit "Sister Outsider" ein eindringliches politisches Werk herausgegeben, das in deutscher Neuübersetzung im April 2021 erschienen ist. Die antirassistischen und antisexistischen Texte sind aktueller denn je!
Charismatisch und ein wahres Energiebündel
Audre Lorde gilt als eine der bedeutendsten afroamerikanischen Stimmen des 20. Jahrhunderts. Neben einem autobiographischen Roman ("Zami"), zehn Gedichtsammlungen und drei Essaybänden gibt es noch den überaus sehenswerten Film "Audre Lorde - Die Berliner Jahre 1984 - 1992" von Dagmar Schultz. Audre Lorde war in diesen Jahren häufig in Berlin, hatte eine Gastprofessur am John F. Kennedy Institut der Freien Universität und initiierte eine neue Schwarze politische und kulturelle Bewegung, die letztendlich zur Gründung der ISD (Initiative Schwarze Deutsche), von ADEFRA (Afrodeutsche Frauen) und zu dem im Orlanda Frauenbuchverlag erschienenen Buch "Farbe bekennen. Afro-deutsche Frauen auf den Spuren ihrer Geschichte" führte. Der Film schildert nicht nur das charismatische und mitreißende Wesen Lordes und die Vielzahl an Begegnungen mit Afrodeutschen Frauen (unter ihnen auch die Berliner Lyrikerin May Ayim), sondern auch ihre Krebserkrankung und ihren Kampf dagegen.
Wut und Schweigen
Audre Lorde setzt sich in ihrer Essaysammlung - in der Neuübersetzung durch Eva Bonné und Marion Kraft – zum großen Teil mit Wut und Schweigen auseinander: "Meine Wut ist eine Antwort auf rassistische Einstellungen und die daraus resultierenden Taten und Vermessenheiten". Für Lorde ist es wichtig, diese Wut auszuleben, denn "zielgerichtete Wut setzt Kraft und Energie frei, die dem Fortschritt und der Veränderung dienen". In dem Aufsatz "Die Verwandlung von Schweigen in Sprache und Handeln" aus dem Jahr 1977 erläutert sie, wie überlebensnotwendig es ist, das Schweigen zu kanalisieren. Der Bruch des Schweigens ist ein Akt der Selbstoffenbarung, durch den letztendlich auch Wut und Angst wie in einer Art Katharsis nach außen transportiert werden können.
Audre Lorde hat neben ihren politischen Schriften immer auch Lyrik verfasst, die für sie ein Lebenselixier war, und die sich ebenfalls mit dem Kampf gegen Rassismus auseinandersetzen:
"Ich sehe Hass
ich werde darin gebadet, ertrinke darin
fast seit Beginn meines Lebens
ist er die Luft, die ich atme
die Nahrung, die ich zu mir nehme, der Inhalt meiner Wahrnehmung;
das einzig Beständige in meinem Dasein
ist ihr Hass...
Ich bin zu jung für meine Geschichte"
Wut wird von ihr nicht als unkontrollierter Ausbruch definiert, sondern als Quelle des Empowerment, und nicht zuletzt als eine Reaktion auf den Hass, den weiße Menschen Schwarzen gegenüber empfinden. Sie hat aber immer auch die Weißen aufgefordert, in einen Dialog auf Augenhöhe zu gehen, damit sich ein gesellschaftlicher Wandel vollziehen kann.
Sexismus und Misogynie
Ein weiteres wichtiges Thema ist für sie der Sexismus und die Misogynie innerhalb der Schwarzen Community, dem sie sich unter anderem in dem Essay "Sexismus: Eine amerikanische Krankheit in Blackface" 1979 gewidmet hat. Dies war eine Antwort auf die Polemik "Angry Black Feminist" von Robert Staples. Das Phänomen, dass innerhalb einer Minderheit Unterdrückung stattfindet, fasst Audre Lorde folgendermaßen zusammen: "Die Art der Unterdrückung mag eine andere sein, aber die Verletzlichkeit bleibt. Wer als Gruppe unterdrückt wird, verfügt über zusätzliche Waffen, die im Verborgenen gegen einen gemeinsamen Feind geschmiedet wurden, die aber auch gegeneinander gerichtet werden können."
AVIVA-Tipp: Auch vierzig Jahre nach seiner Erstveröffentlichung hat "Sister Outsider" nichts an Aktualität verloren. In der Neuübersetzung von Marion Kraft und Eva Bonné erscheinen die antirassistischen und antisexistischen Essays von Audre Lorde, als würden sie sich unmittelbar auf #MeToo und #BlackLivesMatter beziehen. Gerade für weiße Menschen ist dieses Standardwerk ein absolutes Muss, um sich mit ihren eigenen – wenn auch nicht immer bewussten – rassistischen Anteilen auseinanderzusetzen.
Zur Autorin Audre Lorde: geboren am 18. Februar 1934 in New York City als Tochter karibischer Einwanderer*innen. Sie wurde zur führenden afroamerikanischen Dichterin und Essayistin, die sich mit Rassismus und Sexismus auseinandersetzte. 1961 erwarb sie einen Master in Bibliothekswissenschaft an der Columbia University und war mehrere Jahre Bibliothekarin, bevor sie 1968 ihren ersten Gedichtband "First Cities" veröffentlichte. Danach gab sie ihre Stelle als leitende Bibliothekarin an der Town School Library in New York City auf und unterrichtete am Tougaloo College in Mississippi sowie am John Jay College und Hunter College in New York. Für ihren dritten Gedichtband "From a Land Where Other People Live" im Jahr 1973 wurde sie mit dem National Book Award nominiert. Neben der Poesie veröffentlichte sie auch Essays und andere Schriften. In "The Cancer Journals" (1980) thematisierte sie ihren eigenen Kampf mit Brustkrebs. Sie kämpfte mehr als ein Jahrzehnt lang gegen den Krebs und verbrachte ihre letzten Jahre auf den amerikanischen Jungferninseln. Ungefähr zu dieser Zeit nahm sie einen afrikanischen Namen an, Gamba Adisa, was "diejenige, die ihre Bedeutung deutlich macht" bedeutet.
Lorde starb am 17. November 1992 auf der Insel St. Croix, der größten der Amerikanischen Jungferninseln. Im Laufe ihrer langen Karriere erhielt Lorde zahlreiche Auszeichnungen, darunter 1989 den American Book Award für "A Burst of Light".
Audre Lorde
Sister Outsider. Essays
Hanser Literaturverlag, erschienen 04/2021
Aus dem Amerikanischen von Eva Bonné und Marion Kraft
Mit einem Nachwort von Nikita Dhawan, Marion Kraft
Originaltitel: Sister Outsider. Essays and Speeches
Originalverlag: Crossing Press
Fester Einband, 256 Seiten
ISBN 978-3-446-26971-2
Euro 20,00
Mehr zum Buch unter: www.hanser-literaturverlage.de
Buchpräsentation im Literarischen Colloquium Berlin (LCB)
Das LCB hat im April 2021 "Sister Outsider" vorgestellt. Mit dabei waren die Übersetzerin Marion Kraft, die Kommunikationswissenschaftlerin und Aktivistin Natasha A. Kelly sowie die Schauspielerin Agnes Lampkin. Das Video zur Buchpräsentation ist online unter: YouTube
Marion Kraft spricht darin unter anderem von der Schwierigkeit den Text ins Deutsche zu übertragen, da diese Sprache über zu wenige Worte verfüge, um den Text angemessen oder adäquat zu übertragen und für einen Kulturtransfer zu sorgen. Die Lösung lag für sie darin, mit Anmerkungen zu arbeiten. Neben den Übersetzungsschwierigkeiten sprechen Kelly und Kraft von eigenen Rassismus-Erfahrungen, wie sehr sie sich in den Texten von Audre Lorde wiederfinden, und wie wichtig es ist, dass der Dialog zwischen Schwarz und weiß nie aufhört.
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