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Beitrag vom 13.10.2022
Ulrike Ottinger – Publikationen und Ausstellungen in Berlin und Paris im Jahr 2022
Sharon Adler
Zum 80. Geburtstag der Foto- und Filmkünstlerin, Malerin und Regisseurin Ulrike Ottinger sind 2022 mehrere großartige Bildbände erschienen, die ihr vielfältiges Schaffen eindrucksvoll dokumentieren, darunter die Kataloge "Cosmos Ottinger" und "ZusammenSpiel | Tabea Blumenschein – Ulrike Ottinger".
Der Katalog ZusammenSpiel | Tabea Blumenschein – Ulrike Ottinger erschien im Rahmen der gleichnamigen Ausstellung in der Berlinischen Galerie, die bis zum 31. Oktober 2022 läuft. Durch Ulrike Ottingers Schenkung der Arbeiten von Tabea Blumenschein an die Berlinische Galerie wurde die öffentliche Würdigung ihrer Kunst erst möglich.
Tabea Blumenschein (1952–2020) war in den 1970er- und 80er-Jahren eine der Kultfiguren des West-Berliner Undergrounds und Teil des Avantgarde-Punk Kollektivs "Die tödliche Doris". Bekannter ist sie heute einem breiten Publikum vor allem als Darstellerin in den Filmen der international renommierten Regisseurin Ulrike Ottinger. Rund zehn Jahre spielte sie als Hauptdarstellerin in Ottingers Filmen und war als Kostümbildnerin maßgeblich anderen Umsetzung beteiligt. Blumenscheins künstlerische Kreativität fand in ihrer zweiten Lebenshälfte in der Zeichnung eine starke weitere Ausdrucksform. Es entstanden hunderte fiktive und stilisierte Porträts in einem an Comic-Zeichnungen erinnernden Stil, in denen die Künstlerin vermischte, was sie liebte: Mode, Folklore, Kitsch und Pop-Kultur. "Ornamentenkanon" nennt Ulrike Ottinger Tabea Blumenscheins Zeichnungen, die sie häufig aus Schrift Text, Emblemen und aus Fernsehbildern aufgenommenen Fotos zusammensetzte. Die Personen, die Blumenschein darstellte und die nicht zuletzt als vielfältige Selbstporträts aufzufassen sind, zitieren durch ihre Attribute wie farbige Tattoos und Kostümierungen die Ästhetiken von Queer- und Subkulturen.
"Sie, eine Frau von hoher Schönheit, geschaffen wie keine andere, Medea, Madonna, Iphigenie, Aspasia zu sein, beschloss an einem sonnigen Wintertag, ihrer Einsamkeit zu entfliehen und La Rotonda zu verlassen. Sie löste ein Ticket ´Aller jamais retour. Berlin Tegel´." Damit begann im Jahr 1979 Ulrike Ottingers Film Bildnis einer Trinkerin – die Frau von hoher Schönheit war Tabea Blumenschein. Neun Jahre lebten und arbeiteten die beiden im West-Berlin der 1970er zusammen.
In hunderten Fotosessions spielten die Künstlerinnen mit Identitäten und Rollenbildern und offenbarten in einer unverwechselbaren, avantgardistischen Ästhetik Geschlecht als eine performative Konstruktion. Erstmals verbinden die beiden Bände des Katalogs "ZusammenSpiel | Tabea Blumenschein – Ulrike Ottinger" Blumenscheins zeichnerische Arbeiten mit Ottingers Fotografien aus der Zeit der gemeinsamen Performance-Sessions und lassen beide Perspektiven einander begegnen.
Im August 2022 erschien bei Hatje Cantz zudem der Katalog Cosmos Ottinger, herausgegeben von der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden, die vom 18.2.-19.6.2022 nach der Neuausrichtung als erste Einzelausstellung die Werke von Ulrike Ottinger zeigte.
"Cosmos Ottinger" ist zugleich eine Visualisierung des Lebens der Künstlerin, ihres aufmerksamen Blicks in die Welt. In "Cosmos Ottinger" führt Ulrike Ottinger selbst in acht Stationen durch ihr das von ihr erschaffene künstlerische Universum. Drehbücher, Filmrequisiten, Objekte, Kostüme, Stoffcollagen, und Fotografien gewähren Einblick in ihr Wirken als visionäre Künstlerin und Pionierin queerer Kunst, der post-kolonialen Kritik und der Auseinandersetzung mit Faschismus und Verfolgung der vergangenen 60 Jahre.
Die Textbeiträge von Çağla Ilk, Misal Adnan Yıldız, Katharina Sykora, Hannelore Paflik-Huber, Johanna Sentef, Hannah Black und Katharina Müller beleuchten dieses vielschichtige Werk und zeigen, wie Ottinger experimentierend Machtstrukturen hinterfragt und aufbricht, und Zeichen für Solidarität setzt. Der Katalog dokumentiert dies nicht nur, sondern widmet sich auch den theoretischen und kunsthistorischen Fragen, die Ottingers suchende, recherchierende Arbeitsweise aufwirft.
Außerdem erschien 2022 bei Hatje Cantz die Edition Straußenfeder von Ulrike Ottinger. Sie zeigt Tabea Blumenschein bei einer der zahlreichen Fotosessions mit Spiegeln, in denen die beiden Künstlerinnen mit Identitäten und Rollenbildern spielten und in einer unverwechselbaren, avantgardistischen Ästhetik Geschlecht als eine performative Konstruktion offenbarten.
Auch bei Hatje Cantz erschienen ist der Band Paris Calligrammes. Eine Erinnerungslandschaft von Ulrike Ottinger
Die Filmemacherin, Fotografin und Weltensammlerin Ulrike Ottinger verknüpft in diesem autobiografischen Band historisches Archivmaterial mit eigenen künstlerischen und filmischen Arbeiten zu einem Soziogramm der Zeit ihres Coming of Age als Künstlerin. Von der Librairie Calligrammes, einem Treffpunkt deutscher Intellektueller im Exil, bis zur Cinémathèque française, die ihre Liebe zum Kino entzündete, entsteht die Kartografie einer Stadt und ihrer Utopien, die in Ulrike Ottingers Film Paris Calligrammes (2019) als collagierte Erinnerungslandschaft fortleben.
Ulrike Ottinger, am 6. Juni 1942 in Konstanz geboren, lebte von 1962 bis 1969 in Paris, arbeitete als freie Künstlerin und ließ sich im Atelier von Johnny Friedländer in Radiertechniken ausbilden. Sie gehörte zum Kreis der "Nouvelle Figuration", besuchte Vorlesungen von Claude Levi-Strauss, Louis Althusser und Pierre Bourdieu. Nach ihrer Rückkehr in die Bundesrepublik gründete sie 1969 in Konstanz den "filmclub visuell" und eröffnete die Galerie und Edition "galeriepress". 1973 ging sie nach West-Berlin, wo sie mit der Multi-Künstlerin Tabea Blumenschein ihren ersten Film "Laokoon und Söhne" realisierte, weitere Spielfilme drehte und sich dokumentarischen Filmprojekten widmete. Sie wurde damit zur Pionierin der avantgardistischen Filmkunst. Daneben arbeitete sie als Regisseurin am Theater und an der Oper und als Fotografin. Die fotografischen Arbeiten, Spiel- und Dokumentarfilme von Ulrike Ottinger wurden auf den wichtigsten internationalen Festivals und zahlreichen Retrospektiven gezeigt und an verschiedenen großen Häusern gewürdigt, u.a. im Centre Pompidou, Paris, im Museo Reina Sofia, Madrid, oder im MoMA, New York. Mit ihren Fotografien war sie auf der documenta und der Biennale di Venezia vertreten. Für ihr Filmwerk erhielt sie zahlreiche Preise, darunter den Hannah-Höch-Preis und die Berlinale Kamera.
Auf der Homepage von Ulrike Ottinger finden Sie neben Infos zu ihren Filmen und dem Filmprogramm auch Infos zu ihren Ausstellungen und weitere Veranstaltungen im Netz: www.ulrikeottinger.com und www.facebook.com/ulrikeottinger
Tabea Blumenschein, geboren am 11. August 1952 in Konstanz, wurde in den 1970er- und 80er-Jahren zur Kultfigur der queer-feministischen Bewegung und des West-Berliner Undergrounds. Rund zehn Jahre spielte sie als Hauptdarstellerin und Kostümbildnerin eine tragende Rolle in Ottingers Filmen und war Teil des Avantgarde-Punk Kollektivs "Die tödliche Doris". In den 1990er-Jahren zog sie sich aus der Öffentlichkeit zurück, blieb jedoch bis an ihr Lebensende künstlerisch tätig. Doch Tabea Blumenschein war nicht nur eine begnadete Künstlerin und Schauspielerin, so schreibt Ulrike Ottinger Grabrede "Es folgten Irrwege, die selbstzerstörend waren, unter anderem in die rechtsextremistische Szene, an deren Schlusspunkt ihr Film "Zagarbata" stand."
"In memoriam Tabea Blumenschein" Die Grabrede von Ulrike Ottinger. Eingeführt und gesprochen von Elfi Mikesch am 24. September 2020 auf dem St.-Matthäus-Kirchhof Berlin ist online unter: www.ulrikeottinger.com
Cosmos Ottinger
Hrsg. Çağla İlk, Misal Adnan Yıldız, Text(e) von Hannah Black, Çağla İlk, Katharina Müller, Hannelore Paflik-Huber, Johanna Sentef, Katharina Sykora, Misal Adnan Yıldız, Gestaltung von Matter Of, Mark Julien Hahn
Deutsch, Englisch
2022. 276 Seiten, 245 Abb., Freirückenklappenbroschur, 22,00 x 31,00 cm
ISBN 978-3-7757-5328-9
54 Euro
Mehr Infos zum Buch: www.hatjecantz.de/cosmos-ottinger
ZusammenSpiel
Tabea Blumenschein – Ulrike Ottinger
Hrsg. Berlinische Galerie, von Ulrike Ottinger, Text(e) von Annelie Lütgens, Ulrike Ottinger, Katharina Sykora, Gestaltung von Tobias Honert / zentrale
Deutsch, Englisch
2022. 576 Seiten, 500 Abb.
Zwei Bände im Schuber
Band 1: Tabea Blumenschein
Band 2: Ulrike Ottinger
20,00 x 29,00 cm
68 Euro
ISBN 978-3-7757-5243-5
Mehr Infos zum Buch: www.hatjecantz.de/zusammenspiel
Paris Calligrammes
Eine Erinnerungslandschaft von Ulrike Ottinger
Hrsg. Bernd M. Scherer, Haus der Kulturen der Welt, Text(e) von Aleida Assmann, Laurence A. Rickels, Marguerite Vappereau, Gestaltung von Tobias Honert / zentrale, Jan Wirth
Deutsch, Englisch, Französisch
2019. 192 Seiten, 167 Abb., gebunden, 16,00 x 23,00 cm
ISBN 978-3-7757-4637-3
Mehr Infos zum Buch: www.hatjecantz.de/paris-calligrammes
Ausstellung in Berlin
ZusammenSpiel. Tabea Blumenschein. Ulrike Ottinger.
15. Juli – 31. Oktober 2022
Mit einer Auswahl von etwa 40 großformatigen, farbigen Blättern stellt die Berlinische Galerie das bisher wenig bekannte zeichnerische Werk von Tabea Blumenschein vor. Ergänzt um eine etwa gleichgroße Anzahl von Fotografien von Ulrike Ottinger, die Tabea Blumenschein in verschiedenen Filmprojekten zeigen, feiert die Schau zugleich die künstlerische Zusammenarbeit und Verbundenheit dieser beiden wichtigen Protagonistinnen der Berliner Kunstszene der 1970er und 1980er Jahre.
Die Ausstellung findet aus Anlass der umfangreichen Schenkung von Werken Tabea Blumenscheins aus dem Besitz Ulrike Ottingers an die Berlinische Galerie statt. Damit vertieft die Berlinische Galerie ihr grundlegendes und beständiges Interesse an den Lebensleistungen von Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts.
Berlinische Galerie
Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur
Alte Jakobstraße 124 –128
10969 Berlin
Eintritt 10 €, ermäßigt 6 €
Mi – Mo 10 – 18 Uhr, Di geschlossen
Mehr Infos: berlinischegalerie.de
AVIVA-Tipp Kongenial begegnen sich die Perspektiven der Ausnahmekünstlerinnen Ulrike Ottinger und Tabea Blumenschein in diesem wunderschön gestalteten Doppelband, der damit ein wichtiges Zeitzeugnis des Schaffens und der persönlichen Beziehung der beiden kunstschaffenden und epochemachenden Frauen darstellt. Ob Momentaufnahmen und/oder sorgsam inszenierte und komponierte Settings, die intensiven Fotos von Ulrike Ottinger dokumentieren die enorme Bandbreite ihres fotografischen und filmischen Schaffens. Die Arbeiten von Tabea Blumenschein zeugen von einer überbordenden Phantasie und genreübergreifenden Produktivität.
Beiden Künstlerinnen gemein ist das Spielerische, der grenzenlose (und humorvolle!) Umgang mit Material und mit Themen. Leichtigkeit und Tiefe in ihrer Solokunst, aber auch in ihren gemeinsamen Werken und Projekten bilden keine Gegensätze, sondern eine künstlerische einzigartige Einheit. Schrankenlose feministische Avantgarde-Kunst par excellence.
Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:
Das AVIVA-Interview mit Ulrike Ottinger aus dem Jahr 2016 über ihre Dokumentation "Chamissos Schatten", ihre jüdische Familiengeschichte und gesellschaftliche Rollenbilder in ihren Filmen.
PROGRAMM PARIS
EXPOSITION
20 octobre – 17 décembre 2022
Ulrike Ottinger
Empreinte
To look more closely at the old and new rituals to determine what is old in the new and new in the old.
Cahn Contemporary
2 Rue Jean Baptiste Clément, 93170 Bagnolet
vernissage jeudi 20 octobre 18h-21h
mardi – samedi de 14h à 19h
Entrée libre
M 11 Mairie des Lilas, T3 Adrienne Bolland
Plus d´informations: cahncontemporary.com
PERFORMANCE
Dimanche 23 octobre 17h
Teresa Vittucci
RIDE
Centre Pompidou
Dans le cadre du festival Move !
Entrée libre dans la limite des places disponibles
Centre Pompidou
Place Georges Pompidou, 75003 Paris
M Rambuteau, Hôtel de Ville, Châtelet
Plus d´informations: www.centrepompidou.fr
RENCONTRE
Lundi 24 octobre 2022 20:00
Projection de Paris Calligrammes
suivie d´une rencontre avec Ulrike Ottinger
Goethe Institute
Goethe Institute
17 avenue d´Iéna, 75116 Paris
M Iéna
Plus d´informations: www.goethe.de/paris
CYCLE DE FILMS
Cinémas l´Archipel et Reflet Médicis
25 octobre - 8 décembre 2022
Rencontre avec Ulrike Ottinger mardi 25 octobre au Cinéma L´Archipel
Des rencontres autour de l´œuvre d´Ulrike Ottinger seront proposées tout au long du cycle. Tous les films sont projetés en VOSTFR.
Cinéma L´Archipel
20h sauf le dimanche
Mardi 25 octobre : Aller Jamais Retour (1979, 1h47) en présence d´Ulrike Ottinger
Lundi 31 octobre : Johanna d´Arc of Mongolia (1989, 2h45)
Mardi 1er novembre : Superbia (1986, 15 min) suivi du film d´Anne Faisandier Tournage de Superbia (1986, 24 min), Laocoon & Sons (1972, 50 min)
Dimanche 6 novembre à 17h : Countdown (1990, 1h28)
Lundi 7 novembre : Madame X (1978, 2h21)
Reflet Médicis
20h
Jeudi 10 novembre : Aloha (2016, 25 min), The Enchantment of The Blue Sailor (1975, 50 min)
Jeudi 17 novembre : Freak Orlando (1981, 2h06)
Jeudi 24 novembre : Under Snow (2011, 1h43)
Jeudi 1er décembre : Dorian Gray dans le miroir de la presse à sensation (1984, 1h30)
Jeudi 8 décembre : Paris Calligrammes (2020, 2h10)
Cinéma L´Archipel
17 Bd de Strasbourg, 75010 Paris
Le Reflet Médicis
3 Rue Champollion, 75005 Paris
Mehr Literatur (Auszug)
ZwischenWelten
Ulrike Ottingers Filme im Spiegel der transatlantischen Kritik
Herausgegeben von Katharina Sykora
Reihe: Konstanz University Press
736 S., 200 farb. Abb., geb., Schutzumschlag, mit Farbschnitt & Lesebändchen, 15,5 x 23 cm
ISBN 978-3-8353-9144-4 (Juni 2022)
€ 38,00 (D) / € 39,10 (A)
Mehr Infos zum Buch: www.wallstein-verlag.de
Beate Ochsner (Hg.), Bernd Stiegler (Hg.)
AugenBlick [84]
114 Seiten
1. Auflage, April 2022
Buch 12,90 € / E-Book 12,80 €
ISBN 978-3-7410-0212-0
Mehr Infos zum Buch: www.schueren-verlag.de
Quelle Text: Hatje Cantz Verlag, Berlinische Galerie, AVIVA-Berlin
Copyright Foto von Ulrike Ottinger: Sharon Adler