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Beitrag vom 11.01.2005
Interview mit Liliana Seelmann
Julia Richter
Dem Einsatz der Chilenin ist es zu verdanken, dass ein ARD-Team die Drehgenehmigung auf der KZ-Insel Dawson erhielt, wo politische GegnerInnen Pinochets festgehalten und gefoltert wurden.
AVIVA-Berlin: Wie kam es zu der Zusammenarbeit zwischen Ihnen und Klaus Bednarz?
Liliana Seelmann: Auf Empfehlung eines Kollegen mit dem Klaus Bednarz jahrelang im Programm Monitor gearbeitet hatte und den ich seit sehr vielen Jahren kenne, hat er mich im August letzten Jahres in Chile angerufen und mich gefragt ob ich daran interessiert wäre mit ihm zu arbeiten. Natürlich fühlte ich mich sehr geehrt. Ich kannte ihn vorher nicht persönlich, aber sein Programm Monitor kannte ich gut. Wir telefonierten sehr oft und lernten uns dann persönlich kennen als er nach Chile kam - kurz bevor die Dreharbeiten begannen. Wir verstanden uns auf Anhieb sehr gut. Es war für mich eine ganz tolle Erfahrung mit ihm zusammen zu arbeiten. Seine Bescheidenheit und Feinfühligkeit haben mich tief beeindruckt.
AVIVA-Berlin: Hat die Reise Ihr Verhältnis zu Ihrer Heimat verändert? Wenn ja, inwiefern?
Liliana Seelmann: Es ist nicht das erste Mal, das ich mit dem deutschen Fernsehen arbeite. Im Laufe der letzten 4 Jahre habe ich bei einige Dokumentarfilme mitgearbeitet, bei denen ich das Privileg hatte mein Land und Leute so kennenzulernen wie wenige Menschen in Chile die Möglichkeit haben. Das Wichtigste dabei ist allerdings die Tatsache, dass bei mir ein Versöhnungsprozeß mit den Streitkräften meines Landes im November 2003 begonnen hat, als ich mit einem Teams des SWRs einen Film über die damalige Verteidigungsministerin Michele Bachelet - deren Vater während der Militärdiktatur an den Folgen der Folter durch die Militärs ums Leben kam - gedreht habe. Dieser Prozess wurde noch weiter durch die Vorbereitungen und die Dreharbeiten für den Film von Klaus Bednarz verstärkt. ch hatte die Möglichkeit so viele interessante Menschen kennenzulernen, weiterhin die Realität meines Landes ganz nah zu erleben und vor allem einige der letzten UreinwohnerInnen von Patagonien und Feuerland. Das alles ist für mich ein großes Privileg!
AVIVA-Berlin: Wie war die Reaktion Ihrer Eltern, speziell Ihres Vaters, als sie von Ihrer Idee erfuhren, auf der ehemaligen KZ-Insel Dawson zu recherchieren?
Liliana Seelmann: Das fanden sie absolut interessant. Die Tatsache, dass auf Initiative der ehemaligen chilenischen Verteidigungsministerin Ende 2003 ein Besuch ehemaliger KZ-InsassInnen auf Dawson stattgefunden hat, erleichterte uns sicherlich - trotz der Auflagen - die Erlaubnis dahin zu fahren. Ich möchte noch erzählen, dass mein Vater zusammen mit meinem Schwiegervater letztes Jahr ein Buch über ihre Zeit im KZ der Insel Quiriquina herausgegeben haben, das trotz der harten Erfahrungen eine positive Botschaft hinterlässt. usserdem hatten sie und andere ehemalige Mitgefangene der Insel Quiriquina ebenfalls die Idee, einen Besuch an dem Ort ihrer Gefangenschaft zu organisieren.
AVIVA-Berlin: Was haben Sie empfunden, als Sie die Insel betreten haben, und mit welchem Gefühl sind Sie von dort wieder abgefahren?
Liliana Seelmann: Es war schon ein komisches Gefühl mit der Marine dorthin zu fahren. Ich hatte einen Kloss im Hals als ich daran dachte wieviele Menschen dort gefangen gehalten wurden. Ausserdem hatten wir schon vorher Talo Mansilla kennengelernt, der auch dort gesessen hatte...
Aber als ich bei dem Gespräch mit dem Offizier, der uns dort begleitet hatte, von der Inhaftierung meines Vaters erzählte und ihn fragte, wie er zu diesem Teil der Geschichte unseres Landes stand, und er antwortete: "Man kann nicht rechtfertigen was nicht zu rechtfertigen ist. Man muss die Verantwortung übernehmen", merkte ich, dass der Versöhnungsprozess bei mir im Gange war. Heute kann ich sagen, dass bei den Streitkräften meines Landes auch Menschen vorhanden sind!!!
AVIVA-Berlin: Klaus Bednarz beschreibt in "Am Ende der Welt", dass Sie nach der Rückkehr von der Insel Dawson sehr lange mit Ihrem Vater telefoniert haben. Worüber haben Sie gesprochen? Hat dieses Gespräch das Verhältnis zwischen Ihnen und Ihrem Vater verändert?
Liliana Seelmann: Das Gespräch mit meinem Vater drehte sich nicht nur um die Insel Dawson, sondern auch um ein anderes Erlebnis, dass ich kurz zuvor in einer unseren Unterkünfte während der Reise mit Klaus Bednarz hatte: Ich lernte einen Mann kennen, der als junger Soldat auf die Gefangenen auf der Insel Quiriquina aufpassen musste - dort war mein Vater 8 Monate inhaftiert.... Wir alle, die am Tisch saßen, waren sprachlos. Er erzählte, wie er dazu trainiert wurde, ohne zu wissen, dass mein Vater dort gesessen hatte.... Er schämte sich ein wenig, zeigte irgendwie Reue und sagte nur, er sei jung gewesen und dazu gezwungen worden...
Ich habe mit meinen Eltern ein sehr gutes und enges Verhältnis, aber all diese Erfahrungen, die ich während der Dreharbeiten gemacht habe, haben mich an meinem Vater noch viel näher gebracht.
AVIVA-Berlin: Wie ist es um die Aufarbeitung der politischen Vergangenheit Ihres Landes unter Pinochet bestellt - wie wird mit den unter der Diktatur begangenen Verbrechen heute umgegangen?
Liliana Seelmann: Ich denke, das ist ein schwieriger Prozess. Aaasllerdings glaube ich, dass die Aufbereitung der politischen Vergangenheit im Jahre 2003 zum 30. Jahrestag der Militärdiktatur verstärkt wurde. Es erschienen mehr als 100 Bücher über die Zeit, es wurden Filme gezeigt, die bis dahin unbekannt waren, es wurde diskutiert. Es war DAS Thema. Anfang Dezember 2004 ist der Valech-Bericht erschienen, in dem alle Menschen aufgeführt werden, die unter der Pinochet-Diktatur gefangen gehalten, gefoltert oder ermordert wurden. Dieser Bericht hat auch großes Aufsehen erregt, obwohl eigentlich nichts Neues darin steht. Es gibt noch immer Militärs, die keine Verantwortung übernehmen wollen und die Diktatur weiterhin rechtfertigen, aber man muss erkennen, dass Schritte in Richtung Versöhnung unternommen wurden und werden.
AVIVA-Berlin: Sehen Sie die -wenn auch eingeschränkte - Erlaubnis, als Journalistenteam auf der KZ-Insel Dawson zu recherchieren, als ersten Schritt zur Aufarbeitung der Geschichte Ihres Landes?
Liliana Seelmann: Ich denke schon, aber nicht unbedingt als erster Schritt. Es ist zwar ein langsamer Prozess, aber er hatte schon längst begonnen. Vor allem beginnen die Streitkräfte, die Verantwortung für die von ihnen begangenen Verletzungen der Menschenrechte zu übernehmen.
AVIVA-Berlin: Welche Schritte müssen Ihrer Meinung nach noch folgen?
Liliana Seelmann: Ich denke, es fehlt noch an Wahrheit, wir müssen genau wissen was passiert ist. Das ist absolut notwendig, um den Prozess der Aufbereitung weiterführen zu können. Wie ich schon vorher sagte, es ist ein sehr, sehr langsamer Prozess, und es wird lange dauern bis die Wunden geheilt sind.
AVIVA-Berlin: Sehen Sie für sich selber eine Rolle in diesem Aufarbeitungs-Prozess vor dem Hintergrund Ihrer eigenen Vergangenheit und nach Ihren Erfahrungen während der Drehreise mit Klaus Bednarz?
Liliana Seelmann: Eine Rolle als solche vielleicht nicht, aber da der Versöhnungsprozess bei mir begonnen hat, kann ich heute mit den Wunden der Vergangenheit besser umgehen kann und somit darüber mit anderen Menschen sprechen kann, die vielleicht noch nicht soweit sind. Vielleicht kann ich auf dieser Weise einen kleinen Beitrag zum Aufarbeitungs-Prozess leisten.
AVIVA-Berlin: Ist Chile Ihrer Meinung nach wieder ein stabiles demokratisches Land?
Liliana Seelmann: Ich denke schon, aber Demokratie heisst auch grössere soziale Gerechtigkeit, Chancengleichheit und Gleichberechtigung von Mann und Frau u.a. In dieser Richtung muss noch einiges getan werden.
Hier finden Sie mehr zur Dokumentation
Klaus Bednarz
Am Ende der Welt. Eine Reise durch Feuerland und Patagonien
Rowohlt Verlag. Erschienen im Dezember 2004.
ISBN 3-87134-512-1200463381475"