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Beitrag vom 19.06.2003
Interview mit Birgit Urmson, Teil 1
Kirsten Eisenberg
Die aus dem fränkischen stammende Autorin erzählt über die Entstehung ihres historischen Romans "Germaine. Leidenschaft und Macht".
AVIVA: Was hat Sie dazu inspiriert, über Germaine de Staël zu schreiben?
Birgit Urmson: Ich habe mich immer sehr interessiert für Frauen, die Grenzen überschreiten. Eine persönliche Inspiration erhielt ich durch meine Mutter, die Literatur liebt. Sie hat wahnsinnig für Madame de Staël geschwärmt. Das hat mich fasziniert und inspiriert. Ursprünglich wollte ich aber über Caroline Schelling schreiben. Als ich mich in einer Krise befand, bin ich in einen Buchladen gegangen, und schlug ein Buch mit dem Titel "Frauen" auf. Dort las ich ihr Zitat " Den Göttern und Menschen zum Trotz will ich glücklich sein." Dieses Niveau, sich über alles hinwegsetzen zu können, hat mich tief getroffen. Ich begann zu recherchieren, las ihre Briefe. An einer Stelle schrieb sie, wie Madame de Staël sie besuchte. Da kam mir der Gedanke "Mein Gott, wäre das interessant, die beiden Frauenprofile zu entwickeln." Sie hatten so viel gemeinsam und waren doch so verschieden!
AVIVA: Sie geben einen sehr detaillierten Einblick ins Privatleben der Figuren, dann gehen Sie aber auch genau auf geschichtliche, politische Zusammenhänge ein. Wo und wie haben Sie recherchiert?
Birgit Urmson: Meine zweite Alma Mater, die Berkeley-Universität, hat eine wunderbare Bibliothek, dort kann man alles finden. Neben zahlreichen Briefen habe ich viele Geschichtsbücher gelesen. Ich habe die Bilder der Epoche über lange Zeit hinweg absorbiert, bin da durch mein Studium der Kunstgeschichte geschult. Es gibt ja auch Porträts und Beschreibungen von ihr, oft übrigens nicht sehr freundliche, denn sie war eine eher hässliche Frau.
AVIVA: Trotzdem versuchen Sie im Buch, ihre Vorzüge zu unterstreichen, ihre Ausdrucksstärke, ihre funkensprühenden Augen...
Birgit Urmson: Ja, es gab Momente, in denen Sie unwiderstehlich war. Dass sie Männer abgestoßen hätte, stimmt nicht. Sie konnte sie nur nicht halten, weil sie diese unglaubliche Energie besaß und so viel von ihnen wollte.
AVIVA: Haben Sie daran gedacht, "Germaine" zu verfilmen?
Birgit Urmson: Oh ja. Ich habe den Roman ja ursprünglich als Drehbuch entwickelt, was eventuell noch zu spüren ist.
AVIVA: Ja, es wirkt oft sehr szenisch.
Birgit Urmson: Richtig. Es dreht sich immer um Begegnungen. Der Roman hat mir hingegen erlaubt, mehr auf das Innenleben einzugehen, besonders durch die kursiv gedruckten Psychoportraits.
Ich wollte und will weiterhin sehr gern einen Film daraus machen. Bisher gestaltete sich das aber aus Kostengründen als schwierig. Als ich schon aufgegeben hatte, fragte mich eines Tages Artur Brauner, der mich als Filmfestivaldirektorin kennen gelernt hatte, was ich täte. Er las dann diese Drehbuchversion und meinte: "Mach einen Roman daraus. Und wenn der dann ankommt, ist eine Basis da". Zuerst habe ich mich wahnsinnig dagegen gesträubt. Es gab ja auch das Problem der Sprache, da ich längere Zeit im Ausland gelebt hatte.
AVIVA: Haben Sie das Buch sofort auf Deutsch geschrieben?
Birgit Urmson: Ich habe zuerst auf Englisch geschrieben, bin dann aber bald umgestiegen, weil ich wollte, dass das Buch zuerst einmal hier in Deutschland herauskommt. Nach den ersten Seiten auf Deutsch war ich etwas verunsichert. Ich habe meine Sprache zwar immer gepflegt, habe sie durch das Schreiben aber wieder so richtig erforscht.
AVIVA: War es problematisch, den Sprachstil der damaligen napoleonischen Zeit zu imitieren?
Birgit Urmson: Ich glaube, das war für mich nicht so schwierig, weil ich natürlich Deutsch lese. Ich könnte keinen Roman schreiben, der im Jetzt spielt, da habe ich nicht das Gefühl für die Umgangssprache.
AVIVA: Welche Charaktereigenschaften an der Figur der Germaine haben Sie besonders fasziniert?
Birgit Urmson: Ich muss sagen, sie ist mir sehr, sehr sympathisch und ungeheuer wichtig. Aus vielen Gründen. Einmal, da sie für sich das Recht beansprucht hat, eine historische Rolle zu spielen, dass sie sich das nicht hat nehmen lassen. Gegen alle Widerstände. Das habe ich immer so bewundert, sie war für mich persönlich eine Quelle an Mut.
AVIVA: Dann hat sie auch eine gewisse Vorbildfunktion für Sie?
Birgit Urmson: Ja, sie war Vorbild. Sie hat sich nicht unterdrücken lassen, aber auf der anderen Seite war sie Frau und Mutter, und das hat man ihr immer übel genommen. Und sie hat es nie aufgegeben, auch als Frau Erfüllung zu finden. Sie hat Männer verehrt, konnte ohne sie nicht sein.
AVIVA: Es war für sie also kein Widerspruch, politisch engagiert und doch ganz Frau zu sein.
Birgit Urmson: Nein, das war für sie überhaupt kein Thema. Sie war eine begabte junge Frau, sie hatte unheimlich viele Einflüsse absorbiert, ihre Erziehung war außerordentlich für ihre Zeit. Und ihr Temperament bewirkte, dass sie mitmischen wollte.
Was ich bedaure, ist, dass sie doch sehr naiv war, auch dass sie Leute in Schwierigkeiten gebracht hat. Ich glaube nicht, dass sie dazu fähig war, sich strategisch zu verhalten, aber das ist die Kehrseite der Medaille - sie war ohne "Falsch". Und in der Gesellschaftsschicht, in der sie aufgewachsen ist, war das ungewöhnlich. Frankreich hat ja den Ruf, das Land des Intrigenspinnens zu sein. Sie war da, ich will nicht sagen ein Trampel, aber völlig unfähig.
AVIVA: Ist ja im Grunde auch positiv.
Birgit Urmson: Ja, sie öffnete ihr Herz, es durfte jeder sehen.
AVIVA: Hätten Sie selbst gerne in der napoleonischen Zeit gelebt und einen Salon geführt?
Birgit Urmson: In Frankreich hätte ich gerne gelebt, ja. In Deutschland nicht unbedingt. Da ist gerade Caroline ein Beispiel. Sie hat sich zum Verzicht entschlossen. Die gesellschaftlichen Umstände und das Kleine, Muffige an Deutschland damals, das hat sie zerstört.
AVIVA: Ein Thema im Roman ist die Unterdrückung der politisch engagierten Frau in einer männlich dominierten Welt. Sehen Sie auch heute noch diese Problematik?
Birgit Urmson: Ja, sicherlich. Es ist eigentlich seltsam, dass z.B. in Indien und Pakistan Frauen an der Spitze waren, aber das waren alles Töchter berühmter Väter, wie Germaine es auch war! Sie war die Necker-Tochter, und Necker war eine ungeheure Berühmtheit damals. Einer der reichsten Männer Europas, einflussreich. Vieles hinkt noch hinterher. Ich glaube, es hat auch mit der Empfindlichkeit der Frau zu tun. Ich selbst bin sehr empfindlich, habe überhaupt nicht die Härte wie man sie beispielsweise in Hilary Clinton erkennt.
Das Interessante bei Madame de Staël ist, dass sie so viele Schläge abbekommen hat und sich immer wieder erneuern konnte.
Die Frauen müssen weiterarbeiten, um die Freiheit, die sie schon gewonnen haben, nicht wieder zu verlieren. Niemand lädt die Frauen ein, mitzumischen. Ich habe mir sagen lassen, eine ganz tolle Philosophin und Schelling-Spezialistin bewarb sich und kam in die Auswahl, zusammen mit einem männlichen Mitbewerber. Er ist jünger und hat weniger geleistet - und sie bekommt den Job nicht!
AVIVA: Frauen sind wohl immer noch zu bescheiden, zu wenig selbstbewusst.
Birgit Urmson: Ich fragte: "Warum verklagt sie die Universität nicht?" Sie fürchtete sich vor der Energie, die sie hätte aufbringen müssen und davor, überall geschnitten zu werden.
Lesen Sie auch Teil 2 des Interviews mit Birgit Urmson und die Rezension ihres Romans "Germaine. Leidenschaft und Macht."!