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AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 07.03.2005


WORLD WOMEN WORK 2005 - Harald Wolf
AVIVA-Redaktion

Interview mit Harald Wolf, Bürgermeister und Senator für Wirtschaft, Arbeit und Frauen





AVIVA-BERLIN: Die abendliche Gesprächsrunde wird sich eingehend mit dem Thema "Herausforderungen und Perspektiven in einem zunehmend globalisierten Lebensumfeld" befassen, allerdings unter dem Motto "Wandel als Chance". Wo sehen Sie die Chancen, aber auch die Risiken der Globalisierung?
HARALD WOLF: Ich glaube, dass natürlich eine Chance in der Globalisierung liegt und in dem gesellschaftlichen Wandel, den wir zur Zeit haben - als wir eine immense Steigerung von Produktivität und eine Internationalisierung haben. Das heißt, die Gesellschaften müssen sich auch viel stärker anderen Einflüssen öffnen. Durch die Verschärfung der Konkurrenz und des Wettbewerbs besteht andererseits die Gefahr, dass die vermeintlichen ökonomischen Sachzwänge zunehmen, die Gestaltungsspielräume - z.B. auf der nationalstaatlichen Ebene - zurückgehen.
Das hat für mich zum einen zur Konsequenz, dass wir begreifen müssen, dass auch ökonomische Verhältnisse soziale Verhältnisse sind, das heißt, von Menschen gemacht und damit auch von Menschen gestaltbar sind. Zum anderen, dass wir aber die Gestaltungsebene viel stärker auf eine internationale Ebene verlagern, darüber international diskutieren und versuchen müssen, internationale Regeln auch des Wirtschaftens zu entwickeln, so wie wir sie ja mit dem alten Sozialstaat auf der nationalstaatlichen Ebene in der Vergangenheit auch gehabt haben.

AVIVA-BERLIN: Und was bedeutet das für die Geschlechterverhältnisse?
HARALD WOLF: Nun, zum einen bedeutet die Globalisierung auch die Auflösung tradierter Verhältnisse, damit auch alt hergebrachter Rollenverständnisse und Stereotypen. Die Globalisierung und der technologische Wandel bieten auch Chancen zur Entfaltung von mehr Individualität und damit auch zu mehr Selbstbestimmung was den eigenen Lebensentwurf angeht. Dem steht auf der anderen Seite gegenüber, dass die größere Individualität und Freiheit auch in einem zügellosen Konkurrenzkampf enden kann, in dem man dann die Gestaltungsspielräume verliert.
Also gilt es auch an dieser Stelle genau herauszuarbeiten, wo die Chancen und wo die Risiken liegen und dann Regeln zu finden - auch Institutionen neu zu erfinden - die dann die Voraussetzungen und die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass diese Handlungsspielräume genutzt werden können, damit die Chance zu mehr Individualität auch in einem solidarischen Sinne genutzt werden kann, im Sinne von mehr Selbstbestimmung und eben nicht Konkurrenz auf Kosten anderer.

AVIVA-BERLIN: In Ihrer Begrüßungsrede haben Sie auch das Thema "Gesetz versus Freiwilligkeit" angerissen. Am Beispiel der Aufsichtsräte haben Sie aufgezeigt, dass Sie - flankiert durch das Landesgleichstellungsgesetz - während Ihrer Amtszeit große Erfolge erzielen konnten: eine Steigerung von 5% auf 30% des Frauenanteils. Was halten Sie grundsätzlich von Quotenregelungen und gesetzlichen Rahmenbedingungen?
HARALD WOLF: Ich glaube, dass es richtig und hilfreich ist, gesetzliche Rahmenbedingungen zu schaffen, auch um den gesellschaftlichen Bewusstseinswandel anzustoßen. Natürlich ist jede freiwillige Regelung besser, aber manchmal bedarf es auch eines gewissen Drucks und eines formalen Rahmens. Wenn wir in den 80er Jahren nicht die Diskussion über die Einführung der Quote gehabt hätten (und dann auch die Umsetzung nach und nach auf unterschiedliche Art und Weise in allen Parteien), wären wir nicht so weit gekommen, wie wir heute sind bei der Frage der Repräsentanz von Frauen auch in Führungspositionen innerhalb von Parteien. Und das, glaube ich, gilt auch für die Wirtschaft. Man muss sich natürlich davor hüten, eine Überregulierung zu haben. Wenn man nur administriert und Vorschriften hat, geht auch eine Lebendigkeit verloren. Aber bestimmte Regelungen sind vor allem zur Etablierung eines gesellschaftlichen Standards hilfreich.

AVIVA-BERLIN: Eine abschließende "Trend-Frage": Wie beurteilen Sie die Entwicklung der Debatte um Work-Life-Balance, die in Deutschland (nicht zuletzt durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend) zunehmend auf die Work-Family-Debatte reduziert wurde?
HARALD WOLF: Ich beobachte mit einiger Verwunderung, dass ausgerechnet bei einer rot-grünen Bundesregierung das Ministerium, das eigentlich für die Gleichstellung zuständig wäre, mehr und mehr eine Entwicklung in ihrer Politik in Richtung eines Familienministeriums und traditioneller Familienpolitik vollzieht. Ich halte das für eine vertane Chance. Ich glaube, dass es richtig ist, das Thema der Gleichstellung auch unabhängig von der Frage der Familie offensiv vorzutragen und dabei alle Lebensbereiche zu umfassen - und nicht das Thema Gleichstellung von Frauen zu einem familienpolitischen Thema zu machen und damit auch die gesellschaftliche Brisanz und politische Sprengkraft zu nehmen.

AVIVA-BERLIN: Vielen Dank, Herr Wolf!


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Beitrag vom 07.03.2005

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