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Beitrag vom 12.07.2007
50 Jahre Gleichberechtigung - wo stehen wir heute. Teil 1
Stefanie Denkert
Anlässlich dieses Jubiläums wurde am 29. Juni 2007 im Rahmen der gleichnamigen Tagung, initiiert von der Friedrich-Naumann-Stiftung und der Bundesvereinigung Liberale Frauen, ein Fazit gezogen.
Eingeladen waren ExpertInnen aus Politik, Wirtschaft und Kultur, u.a. Dr. Irmgard Schwaetzer (Bundesministerin a.D.), Prof. Dr. Merith Niehuss (Präsidentin der Uni der Bundeswehr München), Ursula Seiler-Albring (Institut für Auslandsbeziehungen e.V.), Christine Berger (Unternehmerin des Landes Brandenburg 2007) oder Hanaa El-Hussein (Institut für Kooperationsmanagement und interdisziplinäre Forschung GmbH).
Die Tagung wurde eingeleitet durch ein Generationengespräch zwischen Carola von Braun (Sprecherin der überparteilichen Fraueninitiative Berlin) und der Autorin Katja Kullmann (geb. 1970, "Generation Ally"). Katja Kullmann, Repräsentantin der jungen Feministinnen-Generation, wies mit ihrer provokanten These: "Ist Emanzipation zur Klassenfrage geworden?" auf einen noch wenig diskutierten Aspekt hin. Kullmann hatte schon im April 2006 in ihrem im Kölner Stadtanzeiger erschienenen Artikel "Rodeo der Rollenbilder" als Antwort auf Eva Herman, geschrieben "Zur Debatte steht nicht, ob Emanzipation ein Irrtum ist". Geht es Herman und den anderen, die sich eine Rückkehr zu traditionellen Rollenbildern wünschen, nicht vielmehr darum, dass "die 'falschen' Frauen die ´falschen´ Kinder kriegen? Dass der Unterbau der Gesellschaft sich zwar vermehrt, die Elite aber degeneriert?" Akademikerinnen entscheiden sich zu 40% von vornherein gegen Kinder, bevor sie an der Unvereinbarkeit von Beruf und Familie scheitern. So beschäftigt sich auch der Spiegel seit Mai 2007 mit den "Alphamädchen", jenen gut ausgebildeten jungen Frauen, die nun die Männer im Bildungswesen überholen. Frauen mit niedrigerem Schulabschluss werden jedoch häufig in der Diskussion vergessen. Welche beruflichen Perspektiven haben junge Frauen aus der sogenannten "bildungsfernen sozialschwachen" Schicht? Nicht zufällig hat sich die Zahl der "Fluchtschwangerschaften" erhöht, meint Kullmann. Durch die Mutterrolle gibt es schließlich - so hart das auch klingt - Anerkennung und bedingungslose Liebe zum Nulltarif.
Die Mehrheit der Teilnehmerinnen der Tagung "50 Jahre Gleichberechtigung" waren gebildete und berufstätige Frauen, die "Frau" als homogene Gruppe behandelten, die sich nichts sehnlicher wünscht, als eine Führungsposition und Mutterschaft zu vereinbaren. Dass es eben nicht "die Frauen" und "die Männer" gibt, darauf musste neben Katja Kullmann auch der fortschrittliche Diskutanten-Quotenmann, Dr. Peter Döge, hinweisen. Der Männerforscher Dr. Peter Döge verwies zudem auf Schwedens Familienpolitik, die eindeutig - im Gegensatz zu Deutschland - nicht Frauensache, sondern Politik von Männern und Frauen sei. Das treffe auch auf die schwedische Gleichstellungspolitik zu, die nicht nur darauf abzielt, Frauen mit Männern gleichzustellen (Mit welchem Mann auch, wenn nicht alle Männer gleich sind?), sie soll auch Männer von Rollenzwängen befreien. Gleichberechtigung bedeutet schließlich auch, dass Väter sich aktiv an der Kindererziehung beteiligen dürfen sollen, und nicht als "Weichei" beschimpft werden, wenn sie Elternzeit nehmen.
Eine einheitliche Antwort auf die Frage "50 Jahre Gleichberechtigung - wo stehen wir heute?" zu finden, ist nicht so einfach. Schließlich sind Frauen eine heterogene Gruppe, bestehend aus Individuen, die von weiteren Faktoren als "nur" ihrem Geschlecht geprägt werden (sozialer Background, Religion, sexuelle Orientierung etc.).
Dennoch werden Frauen aufgrund ihres Geschlechts immer noch diskriminiert - siehe z.B. das Ehegattensplitting, das Frauen in die Teilzeitarbeit lockt (nämlich 70% der erwerbstätigen Frauen) und letztlich ihre ökonomische Unabhängigkeit verhindert. Auch verdienen Frauen im Durchschnitt noch 22% weniger als Männer und mehr Frauen sind häufiger von Armut (trotz Arbeit) betroffen: von allen Erwerbstätigen, die einen Armutslohn von weniger als 900 Euro beziehen, sind 70% Frauen. Und in den Führungsetagen glänzen Frauen in Deutschland noch mit Abwesenheit.
Frauen bilden ebenfalls die Mehrheit, wenn es um Opfer sexualisierter Gewalt geht: 2006 wurden laut Kriminalstatistik in Deutschland 52.531 Straftaten gegen die Sexuelle Selbstbestimmung registriert, die Dunkelziffer wird weit darüber liegen. Betroffene von Essstörungen sind ebenfalls mehrheitlich weiblich (schon jedes dritte Mädchen hat laut Robert-Koch-Institut ein "auffälliges Essverhalten").
Eine vollständige Gleichberechtigung (rechtlich, sowie in Alltag und Beruf) ist also noch lange nicht erreicht - und immer wieder müssen Errungenschaften des Feminismus (wie das Recht auf Abtreibung) gerechtfertigt werden gegenüber den Ewiggestrigen, die, anstatt die strukturelle und soziokulturelle Ungleichheit der Geschlechter zu bekämpfen, uns zu einer Rückkehr zu alten Rollenbildern bewegen wollen.
Weiterlesen auf AVIVA:
50 Jahre Gleichberechtigung - wo stehen wir heute?
Teil 2: Eine Chronik der Erfolge.
Hier eine Literaturauswahl, die helfen kann, eine Antwort auf "50 Jahre Gleichberechtigung - wo stehen wir heute?" zu finden:
Alice Schwarzer: "Die Antwort"
Alice Schwarzer: "Alice im Männerland"
Thea Dorn: "Die neue F-Klasse"
Mirja Stöcker (Hrsg.):"Das F-Wort - Feminismus ist sexy"
Grethe Nestor: "Die Badgirl-Feministin"
Desiree Nick: "Eva go home - Eine Streitschrift"
Silvana Koch-Mehrin: "Schwestern"
Iris Radisch: "Die Schule der Frauen"