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Beitrag vom 26.01.2006
Die Journalistin und Autorin Carol Stern ist tot
Sarah Ross
Am 19. Januar 2006 verstarb die Publizistin nach kurzer aber schwerer Krankheit in Berlin. In ihrem Leben spiegelte sich die deutsche Zeitgeschichte wider wie in kaum einem anderen.
Gerade einmal zwei Monate nach ihrem 80. Geburtstag starb Carola Stern, eine der bedeutendsten deutschen Publizistinnen und Bestsellerautorinnen der Nachkriegszeit, am 19. Januar 2006 in Berlin. In zahlreichen Biographien widmete sie ihr literarisches Können Persönlichkeiten wie Rahel Varnhagen, Dorothea Schlegel, der Schauspielerin und Diseuse Fritzi Massary sowie den KünstlerInnenpaaren Helene Weigel und Bertolt Brecht sowie zuletzt Gustaf Gründgens und Marianne Hoppe. Doch dabei hat sich Carola Stern, die stets die Öffentlichkeit suchte, sich für Menschenrechte engagierte und die Frauenbewegung einsetzte, selbst nicht vergessen: Sie hinterließ uns ihre Autobiographie Doppelleben, sowie das Buch Uns wirft nichts mehr um. Die Lebensreise der Carola Stern.
Carola Stern hatte viele Leben: Sie war eine große politische Publizistin, Schriftstellerin, US-Spionin, BdM- und SED-Mitglied, Mitbegründerin von amnesty international, Schauspielerin, Lehrerin, Ehefrau und Witwe. Sie war eine Reisende, deren Weg unter anderem über den Faschismus und den DDR-Sozialismus in die demokratischen, bundesdeutschen Gefilde während der Ära von Adenauer und Brandt führte. Und so spiegeln die Stationen ihres Lebens die Geschichte des deutschen 20. Jahrhunderts wider, wie es in kaum einem anderen Leben wieder zu finden ist:
Carola Stern, wurde als Erika Assmus 1925 in Ahlbeck auf Usedom geboren.
Dort wuchs sie als Kind in der "Welt der Ja-Sager" auf und erlebte als junge Frau den Nationalsozialismus. Nach Kriegsende arbeitete die ehemalige Jungmädelführerin Erika Assmus als Bibliothekarin in einem Raketeninstitut der Russen, in dem sie auch ab 1950 für den amerikanischen Geheimdienst spionierte: Sie lieferte die Informationen und im Gegenzug erhielt sie Medikamente für ihre schwerkranke Mutter. Auch nach dem Tod ihrer Mutter blieb Carola Stern den Amerikanern treu, besucht auf deren Bitte hin die Parteischule und macht sogar eine Karriere in der SED. Doch eines Tages wird sie denunziert und im Juni 1951 zur Flucht nach Westberlin gezwungen, wo sie ein Studium am Otto-Suhr-Institut der FU Berlin beginnt. Dort erwirbt sie sich schon bald den Ruf als DDR-Expertin, wird Mitglied in der SPD und beginnt unter dem Pseudonym Carola Stern zu schreiben.
Nach zwei Entführungsversuchen der Stasi, einer tiefen Lebenskrise und schwierigen Jahren als freie Journalistin, in denen sie lernen musste mit der Angst zu Leben, zieht Carola Stern dann 1960 nach Köln. Das dritte Leben der Carola Stern, ihre "besten Jahre", begannen: In Köln wurde sie Mitarbeiterin der Zeitschrift "SBZ-Archiv", arbeitete für den Verlag Kiepenheuer & Witsch, wurde Redakteurin beim WDR, mit Gerd Ruge gründete sie Amnesty International und mit Böll und Grass die Zeitschrift "L 76". Zu guter letzt trug sie als engagierte Publizistin entscheidend zur Demokratiefähigkeit der Bundesrepublik Deutschland bei. Zusammen mit Grass und Hartmut von Hentig engagierte sie sich schließlich im Juli 2000 mit bundesweiten Spendenaufrufen für die Entschädigung von ZwangsarbeiterInnen.
Das Leben von "Carlchen Maulaufreißer" (wie ihr Mann Heinz Zöger sie gern neckte), ist eine Geschichte voller Verstrickungen, Konflikte, Angst und Glück.
Sie gehörte zu den Persönlichkeiten, die keine ideologischen Scheuklappen trugen und den Mut besaßen, ihre Überzeugungen laut zu äußern. Sie erhielt zahlreiche Auszeichnungen und wurde unter anderem mit der Carl-von-Ossietzky- Medaille und der Hermann-Kesten-Medaille des westdeutschen PEN- Zentrums geehrt. Von 1987 bis 1995 war sie PEN-Vizepräsidentin und seitdem Ehrenpräsidentin dieser Schriftstellervereinigung.
Berlins regierender Bürgermeister, Klaus Wowereit, bezeichnete Carola Stern als "eine beeindruckende Demokratin, die immer für die Grundwerte unser freiheitlichen Gesellschaft gekämpft hat", und deren Stimme bedeutend war, "wenn es darum ging, Freiheit, Recht und Gerechtigkeit zu verteidigen und aufzubauen."