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Beitrag vom 17.05.2002
Die meisten Kiffer tragen kein Hanfblatt mit sich herum, sondern eine Gucci - Brille
K. Böttcher + S. Adler
Die Frontfrau der Initiative "kimwillkiffen" setzt sich für die Legalisierung von Cannabis ein.
Nach einer Erhebung des Bundesgesundheitsministeriums haben in ganz Deutschland 9,5 Millionen Menschen Erfahrungen mit Cannabis. Quer durch die Republik und durch alle Gesellschaftsgruppen hat irgendwann irgendwer schon mal Hasch oder Marihuana geraucht: Kiffen ist "szeneübergreifend". Der Wirkstoff THC (Tetrahydrocannabinol) steht aber immer noch auf dem Index des Betäubungsmittelgesetzes. Die 1969 in Stuttgart geborene Wahlberlinerin Mun-ju Kim hat es kapiert: es gibt nix Gutes, außer man tut es. Sie setzt sich seit zwei Jahren für eine Legalisierung von Cannabis ein: Kim verklagt die Bundesrepublik Deutschland auf ihr Recht zum Erwerb von Cannabis für den Privatgebrauch und gründete die ´kimwillkiffen´ - Initiative.
AVIVA-BERLIN sprach mit ihr über Kifferkultur, Korea und Mutterkummer.
· Klischees, die Klage, und dusselige Kifferlieder
· Musik, Mauerfall und die Waffen der Frauen
· Koreanischer Kulturschock und Mutterträume
· Zukunftsmusik? Legaler Genuß von Cannabis und andere Träume von Mun-ju Kim.
Klischees, die Klage und dusselige Kifferlieder
AVIVA-BERLIN: Wenn man sich unsere Nachbarländer anschaut, herrscht dort ja ein progressiveres Klima im Bezug auf eine potentielle Legalisierung von Cannabis - sogar in der konservativen Schweiz, oder?
KIM: Ja, klar. Da gibt es auch schon verhältnismäßig lange die coffeeshops. Auch im Londoner Stadtteil Brixton - der Anteil der karibischen Bewohner ist dort sehr hoch - läuft gerade ein Modellversuch. Dort kann man legal Gras konsumieren und damit handeln. Es geht darum, zu untersuchen, ob sich dadurch in der gesellschaftlichen Struktur etwas ändert.
AVIVA-BERLIN: Den Kiffern wird ja immer nachgesagt, dass sie nix auf die Reihe kriegen würden und so träge wären...
KIM: Ist ja auch nicht ganz falsch...
AVIVA-BERLIN: Was schätzt du denn so am Kiffen? Das relaxte Gefühl?
KIM: Ja. Man betrachtet ganz viele Dinge von einer anderen Seite. Also, da ich durch meinen Job (sie ist Bookerin in einer Agentur, Anm.d.Red.) mit Musik zu tun habe, ist es so, dass ich ganz neue Sachen höre. Während eines Tracks tauchen irgendwelche Geräusche auf, die eigentlich schon immer da waren, die man im nüchternen Zustand aber nicht wahrgenommen hat. Das heißt jetzt nicht, dass ich alle Facetten der Musik nur durch Kiffen wahrnehmen kann. Es ist auch nicht so, dass ich kiffe, um gut drauf zu sein - das ist übrigens eine oft gestellte Frage: Kim, mußt du denn wirklich breit sein? Klar muß ich nicht breit sein!
AVIVA-BERLIN: Per Gesetz sind Rauschzustände und deren Konsumverbote aber doch nahezu gleichgestellt, oder? KIM: Jein. Solange es noch so ist, dass Cannabiskonsum nur geduldet wird, wird es schon genauso behandelt wie die harten Drogen. Es ist immer noch im Betäubungsmittelgesetz erankert. Und diese schwammige Gesetzeslage ist in dieser Form eine Katastrophe, denn diese besagt, dass du zwar konsumieren, aber nicht besitzen darfst.
AVIVA-BERLIN: Da fragt man sich, wie das eine ohne das andere funktionieren soll?
KIM: Eben. Und du darfst es auch nicht verschenken. Die Polizei lässt zwar meistens die Anzeigen gegen Menschen, bei denen was gefunden wurde, wegen zu geringer Menge fallen. Die Unterschiede der erlaubten Menge, die du besitzen darfst, ist unter den Bundesländern auch recht unterschiedlich - Bayern 0 Gramm, Berlin ist bei 5 oder 6 Gramm- das ist so eine Doppelmoral...
Mun-ju Kims Anwalt, Matthias Schillo, beantragte für seine Klientin bei der Bundesopiumstelle in Bonn die Erlaubnis, Cannabis für den privaten Gebrauch erwerben, besitzen und genießen zu können. Das Betäubungsmittelgesetz fuße auf veralteten, heute wissenschaftlich widerlegten Annahmen, argumentiert er in dem Schreiben. Dass der Konsum von THC-haltigen Drogen doch niht so schädlich sei, wie angenommen, hat sogar der Oberste Gerichtshof 1994 anerkannt und eine Überprüfung des Hanfprodukts angeordnet. Die Bundesopiumstelle lehnte die Forderung Kims ab, was zur Folge hatte, dass Schillo 6. November letzten Jahres Klage beim Verwaltungsgericht Berlin einreichte: gegen die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch die Bundesopiumstelle in Bonn.
AVIVA-BERLIN: Gibt es denn etwas Neues, was Deinen laufenden Prozeß betrifft?
KIM: Das kann bis zu zwei Jahren dauern. Wir haben die Klage im November 2001 beim Verwaltungsgericht eingereicht. Die können das jetzt erst mal aussitzen. Da ich aber sehr engagierte Leute um mich herum habe, die tolle Ideen haben, wie man das Interesse der Öffentlichkeit immer wieder mobilisieren kann, hoffe ich das Beste. Im März beispielsweise wird die erste "kimwillkiffen - compilation" herauskommen. Das wird musikalisch Hip Hop sein.
AVIVA-BERLIN: Momentan sind ja Kiffersongs sogar in den Charts. In der Öffentlichkeit scheint der Cannabisrausch doch toleriert oder sogar gefeiert zu werden?
KIM: Afroman und Stefan Raab waren ja wochenlang auf Platz Eins und Platz Zwei, was ich im Endeffekt sehr traurig finde, weil das bedeutet, dass die Menschen scheinbar nicht auf den Text hören. Ich fand die Texte nicht sehr erfreulich, weil Kiffen in sehr negativer Weise dargestellt wird. Im Afroman Song heißt es ja, dass der Typ alles verloren hat, sowohl Job, als auch Frau und Kinder, weil der einfach high war. Na ja, und der Raab, der tut, was er immer tut, der zieht durch den Kakao und hat die Lacher auf seiner Seite. Und um wieder auf die kimwillkiffen - compilation zurückzukommen, da habe ich die Möglichkeit, mit den Künstlern in Kontakt zu treten und selbst auf die Thematik der Texte Einfluss auszuüben. Der Plan ist auch, eine CD - Serie zu produzieren.
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