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Beitrag vom 10.09.2014
Defne Sahin und Efrat Alony
Defne Sahin u. Efrat Alony
Die beiden Musikerinnen haben viel gemeinsam: Beide haben Jazz studiert, beide singen und komponieren, beide pendeln zwischen Berlin und anderen Städten. Und im Gespräch in der AVIVA-Redaktion...
... stellten sich noch weitere Gemeinsamkeiten heraus.
"Ah ja, ist ja nett, dass du noch raus darfst"
Efrat Alony:
Du bist in Berlin geboren und aufgewachsen, hattest aber längere Aufenthalte in Spanien und in Brasilien. Kannst du ein bisschen davon erzählen?
Defne Sahin:
Im Studium war ich ein Semester in Barcelona und drei Monate in Brasilien. Da habe ich in einem Sozialkinderprojekt in einer Favela gearbeitet. Ich habe Musik unterrichtet, Percussion und Chor, und einen Schwesternchor geleitet.
Efrat Alony:
Ich sehe offensichtlich nicht deutsch aus und werde oft daraufhin angesprochen, werde auch oft als Türkin wahrgenommen. Es gibt bestimmte Bezirke, wo ich mich wohlfühle, wie in Kreuzberg, und andere Bezirke, wo ich heraussteche. Fühlst du dich in einem Land wie Brasilien besser, wo du nicht so auffällst? Oder ist das überhaupt kein Thema für dich?
Defne Sahin:
Das ist für mich ein großes Thema. In Brasilien hatte ich rein optisch den Vorteil, dass ich nicht aufgefallen bin, bis ich gesprochen habe. In Berlin … ich verstehe, was du sagst, dass man in verschiedenen Vierteln unterschiedlich wahrgenommen wird oder auch in verschiedenen sozialen Kreisen. Auch in der Musikszene. Als ich an der UDK angefangen habe, war da nur ein anderer Türke. Mittlerweile ist es total international. Aber um auf den Punkt zu kommen, gerade weil ich auch Türkin bin, werde ich auch mit allen Klischees konfrontiert, vor allem von Leuten, die nicht in Berlin groß geworden sind. Also aus Nord- oder Süddeutschland. Die sagen dann: "Ah ja, ist ja nett, dass du noch raus darfst", oder ob ich denn auch Brüder hätte. Das hatte ich schon mehrmals, Konversationen darüber, dass man als türkische Frau ja unterdrückt wird und wie ich damit zurechtkomme.
Efrat Alony:
Und wahrscheinlich denken sie, sie tun dir was Gutes, nicht?
Defne Sahin:
Genau! Ich bekomme auch oft mit, dass die Leute sagen: "Oh, Türkin. Das hätte ich jetzt bei dir überhaupt nicht gedacht." Dann ist das immer als Kompliment gemeint. Da muss ich mich freuen...
Efrat Alony:
Aber eigentlich ist es eine totale Beleidigung. Das kenne ich auch. Empfindest du das als reine Ignoranz, die du ignorieren kannst? Oder beschäftigt dich das sehr?
Defne Sahin:
Ich kann mich weder ganz mit der Türkei noch ganz mit Deutschland identifizieren. Und ich habe nie das Bedürfnis danach gehabt. Deswegen trifft es mich persönlich nicht. Aber ich versuche in solchen Gesprächen schon zu erklären, dass es auch Unterschiede zwischen türkischen Familien gibt. Dann erzähle ich einfach persönliche Dinge von mir, weiß aber auch meistens, dass die Kommunikation mit der Person auch nicht weiter für mich interessant ist.
Efrat Alony:
Hast du während deines Aufenthalts in New York auch solche Reaktionen bekommen?
Defne Sahin:
In New York gar nicht. Deswegen gefällt es mir dort auch so gut. Hier wird mir meistens so begegnet, dass die Leute fragen: "Ah, Defne. Ja, woher kommst du denn?" - "Aus Berlin." - "Ja und woher kommst du eigentlich? Was machst du hier? Wie lange bist du hier?" Diese ganzen Fragen: "Was willst du hier? Hast du eine Berechtigung hier zu sein?"
Das sind Sachen, die kommen in Amerika nicht vor. Wenn ich in Amerika Leute kennen lerne, dann heißt es immer: "Ah ja, super. Wie heißt du? Was machst du?" Oder dann ist vielleicht die vierte oder fünfte Frage: "Woher kommst du?" Aber hier steht es immer gleich an erster oder zweiter Stelle...
Und wann bist du hier hergekommen? Erzähl mal ein bisschen von dir.
"Viele Leute wissen zwar, dass `was ganz Schlimmes` passiert ist, aber sie wissen nichts über die jüdische Kultur."
Efrat Alony:
Ich habe in Israel und am Berklee College of Music in Boston studiert, dann bin ich um 1997 nach Berlin gekommen. Das war damals in Israel noch ein großes Tabu, Berlin war eine absolute No-Go City. (lacht) Mittlerweile wohnen sehr viele Israelis hier, die Stadt wird durch die israelischen Medien total gehyped. Aber als ich kam, war hier wirklich niemand. Ich war die einzige Israelin an der ganzen Hochschule "Hanns Eisler". Und viele Deutsche hatten wahrscheinlich in ihrem Leben noch nie bewusst eine jüdische Person getroffen.
Im Gegensatz dazu sind die jüdische Kultur und jüdische Rituale in der amerikanischen Kultur sehr verankert. Hier in Deutschland, wo nach dem Krieg sehr wenige Jüdinnen und Juden übriggeblieben sind, ist es überhaupt nicht präsent. Viele Leute wissen zwar, dass "was ganz Schlimmes" passiert ist, aber sie wissen nichts über die jüdische Kultur. In New York kannst du sagen, ich komme heute nicht zur Arbeit, weil Rosch ha-Schana ist und jede_r weiß, was das heißt.
Am Anfang habe ich wirklich nicht gedacht, dass ich hier so lange bleiben würde. Die Jazzabteilung der Hanns-Eisler-Hochschule war damals in der Wilhelmstraße, in demselben Gebäude, in dem Göring saß. Jeden Tag, wenn du zur Schule gingst, warst du mit dieser unfassbaren Geschichte der Stadt konfrontiert.
Du sagst, es gibt bei euch negative Vorurteile. Ich hab manchmal das Gefühl, bei uns ist es umgekehrt, mit überpositiven Vorurteilen, wie zum Beispiel, dass alle Juden total klug sind oder so ein Quatsch, wo du dann auch mal kurz sagen musst: "Hey, stopp, lass uns mal kurz die Sache klären."
Die Leute sind auch neugierig, sie wollen wissen, was es eigentlich bedeutet, Jüdin zu sein und wie ich dazu stehe, wie viele Leute überhaupt in Israel wirklich religiös oder säkular sind. Denn hier bekommt man über die Medien hauptsächlich den Krieg mit und sehr wenig vom Alltag. Deswegen interessiert es mich wirklich, wie es für dich ist, als eine, die hier aufgewachsen ist. Ich kann als Ausländerin wahrgenommen werden, aber ich bin es wirklich, und du bist es nicht, du bist hier geboren, und das ist dein Zuhause. Wie fühlt es sich an, wenn das jemand hinterfragt? Und beschäftigen dich diese Themen auch in der Musik?
"Wenn ich auf Hebräisch singe, klingt meine Stimme anders"
Defne Sahin:
Ja, das ist schon gemein.
Eigentlich ist das nicht der Plan gewesen, aber ich habe gerade mein erstes Album zu türkischer Lyrik gemacht. Dieser Prozess war eigentlich eher organisch und ungeplant. Es hat mir Spaß gemacht, Lieder zu türkischen Texten zu komponieren, und es hat auch andere Klänge hervorgerufen, einfach durch die Sprache, die ich aus meinem Elternhaus kannte.
Efrat Alony:
Wie alt waren deine Eltern, als sie nach Deutschland gekommen sind?
Defne Sahin:
So um die Zwanzig. Sie sind LehrerInnen und haben in der Türkei Germanistik studiert. Meine Großeltern sind als GastarbeiterInnen hier hergekommen. Sie haben ihre Kinder in der Türkei die Schule zu Ende machen lassen, und die kamen dann nach. All meine Onkel und Tanten sind hier. Ich komme aus einer Gastarbeiterfamilie, nur dass meine Eltern studiert haben. Viele Gastarbeiterfamilien haben ihren Betrieb, ihre Bäckerei. Da wird dann damit assoziiert. "Okay, du kommst aus einer Gemüsefamilie." Hab ich auch schon gehört.
Efrat Alony:
Als ich nach Deutschland kam, hatte ich das Gefühl, ich musste sehr repräsentativ sein, wie eine Botschafterin von Israel: Ein bisschen Geschichte erklären, die politische Situation erklären. Das schöne Gesicht zeigen von etwas, was sie überhaupt nicht verstehen und nicht kennen. Hast du auch das Gefühl, gerade in der Jazzszene, dass du etwas repräsentierst, was größer ist als du selber?
Defne Sahin:
Eigentlich nicht, weil das Türkischsein in Deutschland nicht so fremd ist. Vielleicht auch deshalb nicht, weil ich eine Selbstverständlichkeit dafür habe, wer ich bin und das nicht erklären will. Andererseits waren, als ich mit dem türkischen Projekt angefangen habe, alle Fragen der Presse dahin gerichtet, wie ich mich hier denn fühle. Und das konnte ich dann auch nicht übel nehmen.
Efrat Alony:
Aber das ist ja auch ein Teil der Identität. Das ist ja gerade in der Musik ein sehr wichtiges Thema. Die allererste Platte, die ich hier rausgebracht habe, hatte mehrere Stücke auf Hebräisch, was hier ziemlich unerhört war. Ich bin mit der Kultur und mit der Sprache aufgewachsen. Ich kann mich ja nicht zu einem weißen Stück Papier machen, nur weil ich gerade woanders lebe. Gerade beim Gesang, der etwas sehr Assoziatives ist: Jedes Mal, wenn ich auf Hebräisch singe, eröffnen sich noch tausend andere Schichten, weil die Worte für mich viel aufgeladener sind. Wenn ich zum Beispiel Ima sage, was Mutter auf Hebräisch heißt, dann kommen tausende Assoziationen, weil ich meine ganze Kindheit so verbracht habe.
Wenn ich auf Hebräisch singe, klingt meine Stimme anders. Es berührt mich mehr.
Defne Sahin:
Und schreibst du noch hebräische Texte?
Efrat Alony:
Ja, ich schreibe viele, und ich vertone auch Gedichte von israelischen DichterInnen. Am Sonntag spiele ich im Jüdischen Museum. Auf Hebräisch im Jüdischen Museum von Berlin zu singen, das ist schon etwas sehr Kraftvolles.
Defne Sahin:
Ich habe übrigens dein "Silent Seekers" gesungen. Finde ich super schön. Das habe ich mit der Bigband gesungen.
Efrat Alony:
Ah, du warst das. (beide lachen)
Es ist schön, dass du das gesungen hast, das ist toll. Ich weiß nicht, wie tief du in den Text eingetaucht bist. Der Refrain ist: "And all that I want now is you by my side". Eigentlich wäre es alles so einfach. Aber die Menschen wollen sich an Kategorisierungen festhalten, statt sich gegenseitig zu verstehen.
Wie ist es für dich am besten, wenn man das Thema Religion anschneidet? Wie definierst du dich?
"Ich fand das irgendwie interessant, die Bibel zu lesen"
Defne Sahin:
Ich bin überhaupt nicht religiös und bin auch gar nicht religiös erzogen worden. Ich war auf einer deutschen Schule, da bin ich sogar in den Religionsunterricht gegangen, weil alle meine FreundInnen dort waren ... ich fand das irgendwie interessant, die Bibel zu lesen. An Weihnachten haben wir immer ein bisschen zu Hause gefeiert, Heiligabend gibt´s bei uns.
Gerade für Kinder wird das oft einfach gemacht. Dann kauft man einen Baum oder einen Kranz und schenkt sich was. In der Türkei ist eigentlich Silvester das richtig große Fest, wo man sich auch beschenkt. Und mittlerweile stellen sich die TürkInnen an Silvester auch einen Plastikbaum hin. Und nennen es dann "Christmas".
Efrat Alony:
Das gibt es ja auch in Amerika bei vielen jüdischen Familien. Wie nennen die das? Christnika, also Chanukka und Christmas oder ähnlich. Ich bin Jüdin und fühle mich auch als Jüdin, aber ich bin Atheistin. Das ist für mich einfach ein kulturelles Erbe oder meine Identität, ohne jetzt religiös zu sein.
Und wie ist das, wenn du in der Türkei bist, wie wird dann wahrgenommen, dass die Familie hier ist? Heute ist es nicht mehr so, aber in den achtziger Jahren wurden in Israel die Leute, die ausgewandert sind, als der letzte Dreck wahrgenommen. Das machte man einfach nicht.
Defne Sahin:
Es war wie ein Verrat.
Efrat Alony:
Ja wirklich. Man lässt sein Volk nicht hängen. Und jetzt ist das natürlich nicht mehr der Fall, aber wie wird das in der Türkei wahrgenommen?
Berlin ist Heimat
Defne Sahin:
Es gibt einen Begriff dafür, das bedeutet so viel wie "Deutschländer". Es gibt eine riesige Community der RückkehrerInnen. Ältere, aber auch junge Leute, die hier studiert haben und die dann zum Arbeiten in die Türkei gehen. Aus persönlichen Fällen weiß ich, dass viele hier bei der Jobsuche Schwierigkeiten erfahren. Wir beide machen Kunst. Wir sind exotisch, das ist dann irgendwie cooler. Aber ich glaube, im Arbeitsleben ist es immer noch ein Hindernis, einen ausländischen Namen zu haben. Das ist dann in der Türkei, glaube ich, einfacher.
Und natürlich haben sie dann Schwierigkeiten, sich wieder in der türkischen Kultur und Sprache zurechtzufinden. Ich hatte das auch, ich bin ein Jahr lang zwischen Berlin und Istanbul gependelt. Sprachlich falle ich dort natürlich total auf, und es ist sozial nicht meine Heimat. Ich habe da ja nie gewohnt.
Efrat Alony:
Aber Deutschland ist auch keine Heimat?
Defne Sahin:
Berlin, ja. Zum Glück.
Efrat Alony:
Ich finde es wirklich hart, dass man sich in der eigenen Heimat unwohl fühlt. Ich glaube noch nicht einmal, dass man unwillkommen ist, jetzt mit der Ausnahme von Idioten. Ich glaube, dass es manche Menschen wirklich einfach nicht wissen, einfach Ignoranz.
Defne Sahin:
Aber ich meine, es gibt schon viele von den Idioten. Wenn ich nach Brandenburg fahre … es ist nicht schön. Zum Beispiel hatten wir am Wochenende einen kleinen Ausflug, da ist nichts passiert, aber schon allein die Art, wie man angeschaut wird , wie jemand Fremdes. Man wird beobachtet, wie im Kino, ohne Scham. (lacht) So ein Gefühl ist das dann, wo man denkt: "Einatmen."
Efrat Alony:
Ja, das geht mir auch so. Manchmal denke ich einfach, ich bin paranoid. Ich war neulich in der Nähe von Dessau und bin ein bisschen an der Elbe spazieren gegangen. Da ist mir auch aufgefallen, wie wenig repräsentativ Berlin ist, vor allem Kreuzberg. Es war kurz vor einer Wahl, und es hingen nur NPD-Plakate und die für die Alternative für Deutschland. Dann denkt man: "Es ist gut, dass ich hier nicht wohne", weil man dort ein ganz anderes Leben führen würde, anders als in Berlin, wo man sich so wohl und frei fühlt. Ich habe ja keine Angst meine Gedanken zu äußern und auch keine Angst, als Nicht-Deutsche wahrgenommen zu werden. Es manchmal nicht angenehm, aber ich habe keine existenzielle Angst, dass mir was passieren könnte. Und ich glaube, an anderen Orten in Deutschland ist das tatsächlich anders.
Defne Sahin:
Und wie ist es in Bern?
Efrat Alony:
Als ich nach Bern kam, ich war zwei Jahre lang Gastprofessorin, bevor ich die Stelle fest bekommen habe, war ich bei sehr überrascht, wie viele AfrikanerInnen da waren. Das habe ich nicht so erwartet, und ich fühlte mich automatisch weniger wie ein Alien.
In den letzten Jahren gab es aber ein paar Punkte, an denen ich mich direkt angegriffen gefühlt habe, obwohl es mit mir nichts zu tun hatte. Du denkst dir: Once Ausländer, always Ausländer, weißt du?
Der eine Punkt ist das Minarettverbot. Ich glaube, es gab in der ganzen Schweiz vier Moscheen mit Minaretten, und trotzdem wollten sie ein Verbot aussprechen, weil es sie so gestört hat. Wenn etwas gegen Deutsch-TürkInnen gesagt wird, ist es für mich genauso, als ob es gegen Israelis oder Nicht-Deutsche ausgesprochen würde. Da sehe ich keinen Unterschied.
Und dann gab es das Referendum darum, dass jeder Ausländer, auch jemand, der mittlerweile schon einen Schweizer Pass bekommen hat, wenn er oder sie kriminell wird, den Schweizer Pass verlieren könnte und wieder zurück in das Ursprungsland geschickt werden könnte.
Wenn sie sich benehmen, dann dürfen sie hier bleiben. Das heißt immer, eigentlich gehörst du nicht hier hin. Ich sage immer: I´m gonna love you only when you behave like I want you to. Das sind Sachen, die mich nicht wirklich direkt betreffen, weil ich nicht da wohne. Und ich habe nach siebzehn Jahren in Deutschland immer noch meinen israelischen Pass. Ich müsste meinen israelischen abgeben, um den deutschen zu bekommen. Weil ich das Gefühl habe, ich bleibe hier trotzdem eine Ausländerin, dann möchte ich auch die ausländischen Papiere behalten. Das ist genauso, wie du jetzt deinen Namen nicht zu Barbara Müller ändern würdest, nur weil es dann vielleicht einfacher ist, einen Job zu bekommen.
Wie ist es bei dir, fühlst du dich im Großen und Ganzen in Berlin akzeptiert, oder wie du vorhin gesagt hast, in New York auf jeden Fall mehr?
Defne Sahin:
Im Grunde genommen akzeptiert mich ja New York auch nicht. Also vom Visum her. Da kann man, so nett wie man möchte, miteinander umgehen in der Stadt, aber ich habe immer ein Visumsproblem, und das wissen auch die AmerikanerInnen. Die fragen dann auch: "Jetzt wo du nicht mehr studierst, was machst du? Heiratest du?" Solche Fragen.
Ich glaube, vom Lebensstil her gehöre ich eher nach Berlin. Aber im Moment finde ich es in New York spannender.
Ich habe das Gefühl, dass die MusikerInnen in New York offener sind, verschiedene Kompositionen zu spielen und nicht sagen: "Ah, das ist nicht so ganz mein Ding".
Efrat Alony:
Für mich hat es immer funktioniert, wenn ich in New York war und empfunden habe, dass sie es unheimlich schätzen, wenn man selber komponiert. Es gibt einen großen Respekt davor, was es in Berlin gar nicht gibt, weil das hier alle machen.
Wer erlaubt, dass das Gras hier so grün ist?
Defne Sahin:
Hast du in Berklee auch Jazz studiert?
Efrat Alony:
Ja, genau. Mich hat es interessiert, andere Leute, andere Kulturen kennen zu lernen, eine andere Sprache und vor allem über sich zu lernen, zu lernen, wie man sich in einer anderen Kultur verhält und positioniert. Es ist sehr einfach, du selbst zu sein, wenn du da bist, wo du dich wohlfühlst. Aber wenn du dich erst zurechtfinden musst, dich darstellen musst, da passieren ganz andere Sachen.
Als ich in Berklee war, war eine Sache für mich interessant: Es gibt da natürlich mehr Menschen mit jüdischer Herkunft, aber trotzdem bist du eine Minderheit. Und da wollte ich plötzlich zur Synagoge gehen, was ich in meinem ganzen Leben zwei Mal gemacht habe. Man versucht sich irgendwie zu definieren, wenn man in einer ganz neuen Umgebung ist. Dann habe ich festgestellt, das interessiert mich zwar, aber ich bin trotzdem nicht religiös, es ist für mich nicht die Lösung.
In Berklee habe ich Mark kennen gelernt, einen Pianisten, der hier in Berlin studiert hat. Und das war ein Grund nach Berlin zu kommen, aber das war mit sehr vielen Berührungsängsten verbunden. Die Sprache hat bei mir keine guten Assoziationen hervorgerufen. Verständlicherweise.
Ich weiß auch noch, die ersten Besuche in Berlin waren ... es waren jedes Mal Kleinigkeiten. Wie kann es sein, dass das Gras so grün ist? Wer erlaubt, dass das Gras hier so grün ist? Es war so aufgeladen. Ein Ort, an dem so viel Schlimmes passiert ist, und dass es einfach nicht zu sehen ist. Es ist alles weg, verwischt. Es hat in der Natur keine Zeichen hinterlassen. Das fand ich am Anfang total krass.
Aber es sind tolle Möglichkeiten, die ich in Berlin habe. Ich habe wirklich das Privileg, mich mit etwas zu beschäftigen, was mich interessiert, Wissen und Erfahrung an junge Leute, weiter zu geben, jeden Tag neue Sachen zu lernen.
Und es ist interessant zu merken, wie man durch Gespräche die Augen von Leuten öffnen kann. Man hat die Möglichkeit, Menschen zum Denken anzuregen und mit Sachen zu konfrontieren, die nicht so angenehm sind, die sie dann zwingen, ein bisschen mehr zu überlegen, wie sie ihr Leben gestalten. Ich finde es eine tolle Möglichkeit, das zu machen, because they have to sit there and listen to what you have to tell.
Biografien
Efrat Alony wurde 1975 als Tochter irakisch-jüdischer EinwanderInnen in Haifa geboren. Sie studierte in Israel, in den USA und in Deutschland Komposition, Arrangement, Jazz- und klassischen Gesang. Neben ihrer Gesangs- und Kompositionstätigkeit arbeitete sie als musikalische Leiterin und Vokaltrainerin für verschiedene Theaterproduktionen (u.a. in Zusammenarbeit mit Robert Wilson) sowie als Gesangslehrerin und Chorleiterin. Seit 2009 unterrichtet sie Jazzgesang an der Hochschule der Künste in Bern. 1998 gründete sie das Efrat Alony Quartet. Aus dem "Efrat Alony Quartet" wurde 2005 in neuer Besetzung "alony". Ihr wurde der Musikautorenpreis 2014 der GEMA Stiftung in der Kategorie Jazz verliehen.
CDs
A Kit for Mending Thoughts, (2012)
Dismantling Dreams, 2008
Efrat Alony im Netz: www.alony.de
Defne Sahin wuchs in Berlin auf und studierte an der Universität der Künste Berlin und der Escola Superior de Musica Barcelona Jazz-Gesang. Sie fühlt sich in Jazz, Bossa Nova, Pop und in der mediterranen Volksmusik gleichermaßen zu Hause. Ihr Debüt-Album "Yasamak - to live with the words of Nâzým Hikmet" wurde in der renommierten Reihe Jazz Thing Next Generation (Double Moon Records) und in der Türkei (Kalan Müzik) veröffentlicht. Sie lebt in New York und Berlin. Im Mai 2014 hat sie den Master of Vocal Jazz Performance an der Manhattan School of Music bei Theo Bleckmann, Gretchen Parlato und Phil Markowitz abgeschlossen. Für dieses Studium erhielt sie Stipendien des DAAD, der Heinrich-Böll-Stiftung und der Manhattan School of Music.
CD
Yasamak – to live with the words of Nazim Hikmet, (2011)
Defne Sahin im Netz: www.defnesahin.com
Copyright Fotos von Defne Sahin und Efrat Alony: Sharon Adler
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