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AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 21.05.2019


Geschlechterdimension von Hate speech und digitaler Gewalt - der djb sieht Handlungsbedarf angesichts aktueller Anhörung zum NetzDG
AVIVA-Redaktion

Der deutsche Juristinnenbund (djb) übt Kritik an den nur langsam voranschreitenden Änderungen des NetzDGs, die am 15. Mai 2019 erneut diskutiert wurden. AVIVA-Berlin veröffentlicht die wesentlichen Kritikpunkte und Forderungen.




Anlässlich der Öffentlichen Anhörung zum Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz fordert der djb eine zügige Weiterentwicklung des umstrittenen Gesetzes. Das NetzDG, auch "Facebook-Gesetz" genannt, soll die Rechtsdurchsetzung in Sozialen Netzwerken verbessern und damit Hasskriminalität im Netz entgegen wirken.Das Gesetz, so lautet es auf der Website des Deutschen Bundestags, verpflichtet Betreiber von Internet-Plattformen wie Facebook und Twitter zur zügigen Löschung strafbarer Inhalte.

In seiner Pressemittelung vom 15. Mai 2019 formuliert der djb klare Forderungen, wann und wie sich das Gesetz ändern soll. "Wir können es uns nicht leisten, tatenlos die für spätestens 2020 geplante Evaluierung abzuwarten!", so djb-Präsidentin Prof. Dr. Maria Wersig. "Zu offensichtlich sind die Mängel des Gesetzes, und zu groß ist der Handlungsbedarf gerade auch im Hinblick auf digitale Gewalt gegenüber Frauen!"

Maria Wersig wies darauf hin, dass insbesondere Frauen, die in der Öffentlichkeit stehen und sich politisch äußern, im Netz Diskriminierung riskieren. "Offenbar geht es darum, Frauen zu zwingen, sich aus der Debatte zurückzuziehen, den öffentlichen Raum zu verlassen. Sie sind Pöbeleien, sexistischer Anmache, der Androhung von Vergewaltigung bis hin zu Morddrohungen ausgesetzt. Der Fall der österreichischen ehemaligen Politikerin Sigi Maurer ist ein prominentes und typisches Beispiel. Hate speech und digitale Gewalt haben eine Geschlechterdimension, und es ist höchste Zeit, dies zur Kenntnis zu nehmen und mit wirkungsvollen Instrumenten zu bekämpfen!", so Professorin Wersig weiter.

Das seit Oktober 2017 geltende NetzDG stellt für den djb dabei einen grundsätzlich notwendigen und sinnvollen rechtlichen Ansatz dar. Allerdings haben sich bereits nach der kurzen Zeit seiner Anwendung Mängel und Schwachstellen gezeigt, deren Beseitigung keinen Aufschub duldet.

AVIVA-Berlin veröffentlicht an dieser Stelle die wesentlichen Kritikpunkte und Forderungen des djb. Vordringlichen Handlungsbedarf sieht der djb in drei Punkten:

  • 1. Die rechtlichen Vorgaben in § 3 Abs. 1 NetzDG zur Vorhaltung eines leicht erkennbaren, unmittelbar erreichbaren und ständig verfügbaren Beschwerdeverfahrens werden von den Sozialen Netzwerken höchst unterschiedlich umgesetzt, teils so, dass Betroffene von Meldungen abgeschreckt werden. Teilweise wird verlangt, die einschlägigen Straftatbestände zu benennen, was suggeriert, es seien für die Beschwerde juristische Vorkenntnisse erforderlich, oder aber die angebotenen Möglichkeiten sind kaum auffindbar. Hier kann und muss der Gesetzgeber durch eindeutige gesetzliche Vorgabe eines einfachen, an Verbraucherschutzmaßstäben orientierten Meldeverfahrens rasch Abhilfe schaffen.

  • 2. Die in § 2 NetzDG verankerte Pflicht der Sozialen Netzwerke zur regelmäßigen Erstellung von Transparenzberichten hat sich in ihrer derzeitigen Ausgestaltung bereits jetzt als ungenügend erwiesen. Die bisher vorgelegten Berichte sind aufgrund fehlender gesetzlicher Vorgaben uneinheitlich und unverständlich. Dies hat zur Folge, dass die Berichte nicht miteinander vergleichbar und auch insofern wenig aussagekräftig sind. Der djb hält gesetzgeberische Vorgaben für unabdingbar, um zu einem Berichtswesen zu gelangen, das eine realistische Analyse der Wirksamkeit des Gesetzes ermöglicht. In diesem Kontext plädiert der djb auch für eine geschlechtsspezifische Aufschlüsselung der erhobenen Daten.

  • 3. Die Pflicht der Sozialen Netzwerke zur Benennung einer inländischen zustellungsbevollmächtigten Person nach § 5 NetzDG ist ein notwendiges Kernelement für einen effektiven Rechtsschutz der Betroffenen. Es wird in der Praxis aber unterschiedlich interpretiert. Insbesondere wird der Zuständigkeitsbereich der benannten Zustellungsbevollmächtigten eng ausgelegt. Es müsste klargestellt werden, dass deren Zuständigkeitsbereich zivilrechtliche Ansprüche einschließt. Hier muss rasch nachgebessert werden. Der djb hält zum Schutz der Persönlichkeitsrechte von Frauen im Netz und zur Bekämpfung digitaler Gewalt gegen Frauen ein Gesamtpaket von Maßnahmen für dringend erforderlich. Das NetzDG ist dabei nur ein Baustein. Deutschland hat sich im Februar 2019 mit der Ratifizierung der "Istanbul-Konvention" verpflichtet, "Frauen vor allen Formen von Gewalt zu schützen".

    Bereits 2014 kam die Europäische Grundrechte Agentur zu dem Ergebnis, dass ein Zehntel aller Mädchen und Frauen über 15 Jahren mit Formen digitaler Gewalt konfrontiert war. Die Forschungslage ist insgesamt unbefriedigend, insbesondere fehlen für Deutschland aussagekräftige Studien über Formen und Ausmaß digitaler Gewalt gegen Frauen. Die Bundesregierung zitiert in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage im Bundestag verschiedene internationale Untersuchungsergebnisse, die die besondere Betroffenheit von Frauen belegen. Sie geht davon aus, dass sich mit der stetigen Zunahme der digitalen Kommunikation die Zahlen weiter erhöhen werden (BT-Drs.19/6174). Der Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe verzeichnet eine signifikante Steigerung der Beratungsanfragen zu digitaler Gewalt.

    Die Frage, welche zusätzlichen rechtlichen Instrumente zum Schutz der Persönlichkeitsrechte von Frauen im Netz erforderlich sind, und wie die Abwehr und Bekämpfung digitaler Gewalt gegen Frauen wirkungsvoll gelingen kann, wird ein Schwerpunkt beim 43. Bundeskongress des djb am 13. September 2019 in Halle/Saale sein. Unter dem Titel "Digitaler Wandel: frauen- und rechtspolitische Herausforderungen" werden unterschiedliche Aspekte der Digitalisierung beleuchtet.

    Mehr Infos zum djb unter: www.djb.de und auf Facebook: www.facebook.com
    Und per Telefon: Fon: +49 30/4432700 - Fax: +49 30/44327022

    Selbst gegen digitale Gewalt aktiv werden – Organisationen (Auswahl):

    Frauen gegen Gewalt e.V.
    www.aktiv-gegen-digitale-gewalt.de

    Bündnis gegen Cybermobbing e.V.
    www.buendnis-gegen-cybermobbing.de

    Mehr Infos zum Thema:

    Infos zur Anhörung vom 15. März 2019 auf der Website des Deutschen Bundestags:
    www.bundestag.de

    Das Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken (Netzwerkdurchsetzungsgesetz – NetzDG, Stand: 7. September 2017) finden Sie unter:
    www.bmjv.de

    Literatur zum Thema:

    Toxische Narrative. Monitoring rechts-alternativer Akteure

    Die Analyse kann bei der Amadeu Antonio Stiftung bestellt und unter dem folgenden Link heruntergeladen werden: www.amadeu-antonio-stiftung.de

    Jennifer Eickelmann
    "Hate Speech" und Verletzbarkeit im digitalen Zeitalter
    Phänomene mediatisierter Missachtung aus Perspektive der Gender Media Studies

    transcript-verlag, erschienen August 2017
    332 Seiten, kart., farb. Abbildungen
    Print: 32,99 €
    ISBN: 978-3-8376-4053-3
    www.transcript-verlag.de

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    Quelle: djb-Pressemitteilung, Berlin, 15.05.2019



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