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AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 27.05.2006


Bernadette La Hengst im Interview
Tatjana Zilg

Ihre Musik ist eine geniale Mischung aus Elektrofunkrhythmen, Glam-Rock und Trash-Pop. AVIVA-Berlin erzählt sie über die Entwicklung seit den 80ern, fehlenden weiblichen Role Models, neue Projekte




Bernadette La Hengst ist die Katze mit den neun Leben - ungezähmt scheint sie alle gleichzeitig zu leben: Schauspielerin, Bandgründerin, Straßentheater-Aktivistin, Booking Agentin für MusikerInnen, Solokünstlerin, Songschreiberin und seit 2004 Mutter einer Tochter.

Am 28.05.2006 ist sie im HAU 1 in der vierten Folge des Theaterstückes "Das populistische Paradies" zu sehen und vom 08. bis 11.06.2006 in den Sophiensaelen mit dem Kunst/Performance Projekt Unos United.

AVIVA-Berlin: Wie würdest Du die Musik Deines aktuellen Albums "La Beat" selbst beschreiben?
Bernadette La Hengst: RnLaBeat

AVIVA-Berlin: Wo siehst Du Deine musikalischen Einflüsse?
Bernadette La Hengst: Von 60`s Beat über Soul und Punkrock über den sentimentalen Chanson hin zu tanzbarem RnB und Hip Hop.

AVIVA-Berlin: 10 Jahre warst Du Sängerin und Gitarristin bei "Die Braut haut ins Auge". Was zeichnet diese Zeit besonders für Dich aus? Wie hat es sich bemerkbar gemacht, dass es Zeit für einen Schlusspunkt ist?
Bernadette La Hengst: Die 90er waren für mich geprägt von der amerikanischen Riot Grrrl Bewegung, die in Deutschland keine Entsprechung fand und von deutschsprachigem Diskurspop hauptsächlich aus Hamburg. Daneben gab es Techno und Raves, die fast spurlos an mir vorüber gegangen sind. Und dann gab es noch die Insel "Die Braut haut ins Auge", die sich in einer Männer-dominierten Musikwelt ihren eigenen Platz eingerichtet hat. Wir hatten viel Spaß auf unseren Touren, haben versucht, RocknRoll und Zusammengehörigkeit zu leben und unserem persönlichen Zeitgeist-Gefühl Ausdruck zu verleihen, bis wir irgendwann nicht mehr dasselbe wollten.

AVIVA-Berlin: Wie hat sich die Independent Music Szene seit den 80er Jahren aus Deiner Sicht verändert? Ist es für neue Bands leichter geworden, sich durchzusetzen und Zugang zu den Labels zu bekommen? Ist das Publikum heute offener für Musik außerhalb des Mainstreams?
Bernadette La Hengst: Die Frage ist, was man als außerhalb des Mainstreams definiert, ist es die musikalische Form, die textlichen Inhalte oder lediglich die Art der Veröffentlichung? Wenn ich an Indie-Labels wie Grand Hotel Van Kleef denke, reduziert sich das Außerhalbstehen auf die unabhängigen Vertriebsstrukturen. Die Musik, die dort erscheint, ist für mich genauso Mainstream wie Musik, die bei Major Firmen herauskommt. Aber es gibt mittlerweile so viele verschiedene kleine Labels, besonders im Elektronik Bereich, die sehr interessante, aufregende, neue Musik herausbringen, dass ich daraus keine allgemein gültige Wahrheit machen kann. Die Angst der Plattenindustrie vor Raubkopien und illegalen Downloads ist so groß, dass dadurch eine Art Gegenbewegung entstehen muß und auch schon entstanden ist.

AVIVA-Berlin: Du bist erst vor ein paar Jahren von Hamburg zurück nach Berlin gezogen. Was ist der besondere Reiz für Dich an Berlin? In welcher Stadt würdest Du am liebsten leben?
Bernadette La Hengst: Ich möchte zur Zeit in keiner anderen Stadt leben, Hamburg war für mich nach 15 Jahren nicht mehr interessant, obwohl meine besten Freund/Innen immer noch dort wohnen, aber für meine Arbeit und Inspiration ist es wichtig, weiter zu forschen. Ich mache in Berlin neben meinem Solozeug auch seit längerem Theater und arbeite mit einer Kunst/Performance Gruppe zusammen, das wäre mir in Hamburg so nicht passiert. In Berlin ist zur Zeit einiges in Bewegung, mir gefällt besonders, daß es hier viel mehr weibliche Musikerinnen gibt als in anderen Städten, vorzugsweise aus dem Ausland.

AVIVA-Berlin: Wie arbeitest Du an Deinen Texten? Verwendest Du persönliche Bezüge, sind es Beobachtungen aus dem Alltag?
Bernadette La Hengst: Es funktioniert ganz unterschiedlich, wie auch bei der Musik, manchmal trage ich einen Text monate- oder jahrelang mit mir herum, bis er irgendwann passt, manchmal schreibe ich sehr zielgerichtet für eine bestimmte Songidee, die noch fehlt, um eine Platte komplett zu machen oder auch für ein Theaterprojekt, bei dem ich mitarbeite. Ich bin seit ein paar Jahren nicht mehr die typische "aus dem Alltag"- Beschreiberin, sondern nehme mir eher vor, etwas thematisch zu umkreisen. Aus diesem Kreisen entstehen dann im besten Falle neue offene Türen, irgendwo zwischen politischer weltanschaulicher Betrachtung und persönlicher Auseinandersetzung. Ich sehe mich sowohl als Texterin als auch als Musikerin immer auch im Bezug zu einer Tradition/Geschichte, also nicht als reine Biographin meiner eigenen Geschichte, obwohl die auch immer mit einfließt.

AVIVA-Berlin: Hat Dein Muttersein Deine Art, Musik zu machen, verändert?
Bernadette La Hengst: Verschiedene Dinge in meinem Leben haben immer wieder meine Art Musik zu machen verändert, weg von einem Bandkollektiv hin zu einer Solomusikerin, wieder zurück zu einer ganz anderen Art von Bandkollektiv (dem Schwabinggrad Ballett), mit dem wir hauptsächlich Improvisationen spielen, dann die Entscheidung, selber zu Hause am Computer meine Musik zu produzieren, und schließlich auch die Lebensumstände, ein Kind zu haben, das heißt, meine Zeit anders einzuteilen und mich mehr aufs Wesentliche zu konzentrieren. Zum Kern des Denkens und Musikmachens zu kommen, ist wohl das schönste Ziel das man haben kann, dazu gehört natürlich auch viel Spielerei, und Spielen kann man von Kindern wunderbar lernen.

AVIVA-Berlin: Seit wann wusstest Du, das Du Musikerin und Schauspielerin werden willst? Gab es auch mal einen anderen Berufswunsch?
Bernadette La Hengst: Ich bilde mir ein, dass ich den Entschluss schon als Kind gefällt habe, ohne dass meine Eltern mich dahin gedrängt hätten. Ich habe mit 15 angefangen, auf der Straße zu spielen und eigene Lieder zu schreiben, und ich wußte immer, dass ich das am besten kann. Zwischendurch kamen natürlich Zweifel, ob ich davon leben kann, aber grundsätzlich hat sich an diesem Vorhaben nichts geändert. Leider gab es keine oder kaum weibliche Role Models, so daß ich viel Zeit damit verbracht habe, mich von den männlichen Musikern, die es um mich herum gab, abzugrenzen und meinen eigenen Weg zu finden.

AVIVA-Berlin: Siehst Du es eher als Vorteil, als Musikerin und Schauspielerin in einer Art künstlerischen Doppelberuf zu arbeiten, oder als Schwierigkeit?
Bernadette La Hengst: Ich würde mich selbst gar nicht als Schauspielerin sondern eher als Performerin bezeichnen, ich mache da dasselbe, was ich sonst auch auf der Popbühne tue. Ich hab mich mit der Musik als Person selber definiert, und bin nicht von einem Regisseur dazu gemacht worden, insofern bringe ich viel mit auf die Theaterbühne, was dann entweder passt oder auch nicht.

AVIVA-Berlin: Arbeitest Du gerade an neuen Projekten?
Bernadette La Hengst: Ja, seit fast einem Jahr schon bin ich als Musikerin und Performerin Teil des Kunst/Performance Projektes Unos United, das als offizieller Kulturbeitrag zur WM läuft, sich aber mittlerweile verselbständigt hat.
Mit 11 Performern und 11 Türgroßen Radiergummis beschreiben wir das Phänomen Massenwahn, Selektion, Nationalismus und das Ausradieren von Geschichte und Erinnerung an verschiedensten Orten, Städten und Ländern.
Vom 8. bis 11. Juni in den Sophiensaelen Berlin, und vom 12. bis 19. Juni in Patras/Griechenland. Außerdem spiele ich in dem Theaterstück "Das populistische Paradies", einer Plattform für Größenwahn und Erlebnispopulismus, mich selbst und meine Zwillingsschwester Linda La Hengst, die gemeinsam eine Paradiesbewegung gründen. Eine Fortsetzungsserie in vier Folgen, die letzte Folge ist im HAU 1 Berlin am 28.5. Auch dafür habe ich viele neue Lieder geschrieben, die bestimmt in irgendeiner Form auch auf meiner nächsten Platte stattfinden werden.

© Christiane Stephan
© Christiane Stephan

AVIVA-Berlin: Du hast 2003 das feministische LadyFest Hamburg mitorganisiert. Was bedeutet für Dich Feminismus heute?
Bernadette La Hengst: Es ist immer wieder sehr wichtig, mich mit anderen Musikerinnen/Künstlerinnen auszutauschen, obwohl ich doch merke, dass ich in den letzten Jahren verstärkt mit Männern zusammen arbeite. Die Grenzen verschwimmen, und das ist gut so. Dennoch weiß ich immer, in welcher Tradition weiblicher Kunst ich stehe, und dass es nicht selbstverständlich ist, sich in einer männerdominierten Welt zu behaupten. Und ich merke immer wieder, wie wichtig es ist, Role Models zu haben, die den Blickwinkel ändern. Leider wird Kunst von Frauen oft nur als Kunst für Frauen wahr genommen, und das war nie meine Absicht. Aus dieser Falle muss sich der Feminismus lösen. Aber solange es notwendig ist, etwas für Frauen zu machen, wird es wohl so weiter gehen.

AVIVA-Berlin: War es schwierig für Dich, sich als Frau im Musik Business durchzusetzen? Warum glaubst Du, gibt es immer noch viel mehr männliche Musikbands?
Bernadette La Hengst: Es war teilweise einfacher, weil es so wenig Frauen/Mädchen gab/gibt, die Musik machen, und teilweise schwieriger, weil ich nie dem Klischee entsprechen wollte, "Frauenmusik" zu machen, nie nur gefühlvoll oder nur frech oder nur sexuell provozierend oder nur wahnsinnig expressiv sein wollte. Natürlich ist das alles ein Teil von mir, aber auch ein Teil der "männlichen Musik", und wie will man da unterscheiden? Letztlich müssen sich Männer auch gegen Klischees wehren, aber da es immer noch viel weniger Musikerinnen gibt, werden gleich neue Trends und Schubladen aufgemacht, sobald welche auftauchen, und dagegen muß man sich wehren. Und mit dem alten Klischee "Frauen und Technik" hab ich immer noch zu kämpfen, Gott sei Dank habe ich seit Jahren nur weibliche Tontechnikerinnen mit auf Tour, da gibt es dann keine Zweifel mehr an unseren Fähigkeiten. Solange ein 16 jähriges Mädchen glaubt, es wäre cool, mit Pete Doherty im Backstage Raum Heroin zu nehmen, und die Bravo über die Sexabenteuer von deutschen Hiphop Machos berichtet als wäre es ein Abenteuerroman, wird es keine neuen Mädchenbands geben.

AVIVA-Berlin: Was hörst Du zur Zeit privat für Musik?
Bernadette La Hengst: Meine letzte Lieblingsplatte war Gossip, eine Band aus dem Kill Rock Stars Umfeld mit einer lesbischen, dicken, sexy Soulpunk-Sängerin, die auf dem Cover ihre Achselhaare zeigt. Wahnsinnsband! Außerdem immer wieder gerne finnischen Tango, Klezmer oder Free Jazz.

AVIVA-Berlin: Was schaust Du Dir zur Zeit im Kino an? Gibt es einen persönlichen Lieblingsfilm?
Bernadette La Hengst: Leider komme ich zur Zeit nicht oft ins Kino, der letzte Film, den ich gesehen habe und gut fand, war "Good Night and Good Luck" von George Clooney. Ansonsten sehe ich viel DVDs, der letzte Film, der mich zum Heulen gebracht hat, war Lilja 4-ever von Lukas Moodysson, ein Film über ein russisches Mädchen, das in Schweden zur Prostitution gezwungen wird, der lustigste Film war seltsamerweise auch ein schwedischer Film, und zwar "Kops" von Josef Fares.

AVIVA-Berlin: Wie siehst Du der WM in Berlin entgegen?
Bernadette La Hengst: Ich werde zum WM Start mit meiner Radiergummi-Gruppe mehrere Abende über Fußball und den ganzen Wahnsinn dahinter die Sophiensaele bespielen, insofern bekomme ich die ersten Spiele gar nicht mit, danach fahren wir weiter nach Griechenland, um dort aufzutreten, und das Endspiel sehe ich mir in Südfrankreich bei meiner französischen Freundin und ihrem englischen Mann an, ich hoffe, es stehen nicht England gegen Frankreich im Endspiel, dann könnte der Abend unangenehm ausgehen...

AVIVA-Berlin: Was wünschst Du Dir für die Zukunft?
Bernadette La Hengst: Ich wünsche mir für die Zukunft, dass mein Leben weiterhin so in Bewegung bleibt, und dass ich immer genug Luft habe, um mich dem Nichtstun zu widmen.

Bernadette La Hengst im Netz: www.lahengst.com



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Beitrag vom 27.05.2006

AVIVA-Redaktion