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Beitrag vom 13.04.2005
Interview mit Ulla Meinecke
Ruth Niehaus
Bücher gehören zu ihren Grundnahrungsmitteln. Nun hat sie selbst eines geschrieben. Der Titel: Im Augenblick. Über den Weg dahin, Erinnerung und Rock n Roll sprach sie mit AVIVA-Berlin.
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© Daniel Biskup |
AVIVA-Berlin: Wie ist es zu diesem Buch gekommen?
Ulla Meinecke: Ich habe mich lange darum herum gedrückt, es war einfach fällig. Ich gehöre ja nicht zu den Leuten, die Erinnerungsstücke horten. Ich werte meine Sachen nicht aus, bin da eher nachlässig und habe daher keine Sammlung von allen Fernsehsendungen, in denen ich jemals vorkam. Meine Texte habe ich nie veröffentlicht, und die alten Platten sind zum Teil nicht mehr erhältlich, weil es die Plattenfirmen auch gar nicht mehr gibt. Das heißt, das geht dann irgendwann verloren und ich dachte mir, jetzt muß ich wohl…
Das Buch besteht aus vier Elementen: alle meine Songtexte, eine Menge Fotos, und dann die Essays, die Chronik meiner Arbeit und als viertes Element eine Reihe von Bühnengeschichten, die ich zwischen den Songs erzähle.
Ich wollte mich auch mal ein bißchen behaupten: Ich bin ja ein idealer Weidegrund für verschiedene Comedians, die sitzen bei mir im Programm und erzählen meine Geschichten life im Fernsehen.
AVIVA-Berlin: Ganz schön dreist.
Ulla Meinecke: Ja, einerseits ehrt es einen, aber andererseits… .
AVIVA-Berlin: Du schreibst, "die Vergangenheit als zurückgelegter Lebensweg interessiert mich nicht", und "Ich reise gern mit leichtem Gepäck". Ist das ein Prozeß gewesen oder war das schon immer so bei Dir?
Ulla Meinecke: Das war schon immer so. Es ist nicht so, daß ich Dinge nicht schätze oder dass sie unbedeutend waren, aber wenn sie vorbei sind, sind sie vorbei.
Ich bin kein Reliquienmensch. Natürlich - es ist wichtig, sich zu erinnern, allein schon, damit man nicht immer den gleichen Fehler macht. Manchmal ist es sogar lebensnotwendig, aber nur, wenn die Erinnerung auf das Jetzt hinzeigt.
Ich glaube, wir konstruieren uns auch nur so etwas wie einen kontinuierlichen Lebensweg: Aber es stimmt ja nicht, manchmal knallen einem Erinnerungen urplötzlich entgegen, die sind dreißig Jahre alt, werden durch irgendeinen Schlüsselreiz ausgelöst und sind viel präsenter, weil sie auch prägend waren, als irgendein großes Brimborium von vor drei Jahren.
Daß sich Menschen in großer Not aus dem Augenblick verflüchtigen, aus Angst, ist verständlich, nur - daraus wird dann leicht eine Gewohnheit, und dann verpaßt man den Augenblick.
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© Daniel Biskup |
AVIVA-Berlin: Du bist ja sehr darauf bedacht, Deine Privatsphäre und die Deiner Vertrauten zu schützen….
Ulla Meinecke: Natürlich, die Meinen würden mich mit dem nassen Lappen vom Hof jagen, und ich sie, wenn… . Manchmal sehe ich im Fernsehen, was Kollegen so erzählen. Ich überprüfe dann immer, ob meine Fußnägel gut lackiert sind. Ich denke "Mann, ist die Auslegware interessant", das ist mir peinlich. Mir zieht das echt die Schuhe aus.
AVIVA-Berlin: War das beim Schreiben ein Eiertanz, gab es Dinge, die du doch gern berichtet hättest?
Ulla Meinecke: Nein, es war eher so, daß Jim Rakete mich manchmal geschubst hat. "Hör mal zu", sagte er, "das wird zu sehr ein trockener Bericht. Du kannst da weiter gehen und dich auf dein natürliches Gefühl für Diskretion verlassen." Ich rief auch vorher die Leute an, die es betraf, schickte z.B. Lindenberg einen Auszug und der hatte kein Problem damit und fand es lustig.
AVIVA-Berlin: Obwohl Du keine Intimitäten verrätst, wirkt das Buch nicht unpersönlich...
Ulla Meinecke: Ich regle Dinge über Distanz. Wichtig für mich war, das alles, was in dem Buch steht, stimmt. Ich wollte die Wahrheit sagen, ich wollte keine dreckige Wäsche waschen. Das mache ich mit dem, den es betrifft und es gehört für mich nicht in die Öffentlichkeit.
Ich wollte diskret bleiben und wenn man sehr nah heranzoomt, gibt es oft das Problem, daß man anfangen müßte zu sülzen oder zu lügen.
Ich arbeite sehr bildlich, auch in meinen Texten, wie eine Kamera. Mal ist ein Close-up sehr gut und mal geht man lieber so ein bißchen in die Totale. Das sagt eigentlich auch so ein bißchen etwas darüber, wie ich in der Welt bin. So schreibe ich auch.
AVIVA-Berlin: Eine Frage zum Rock n Roll. Es kommt ja sehr gut heraus, daß Dich das ziemlich gepackt hat damals, aber ich habe die Vermutung, Rock n Roll bedeutet Dir mehr ist als eine Erinnerung.
Ulla Meinecke: Ja, es ist bis heute so. Das kriegt man auch sehr schnell mit, vor allem im Kapitel über Heiner Pudelko und Interzone.
Es gibt Rock n Roll Darsteller, die diese typischen Posen einnehmen. Für mich sind manche Leute
Rock n Roll, die sind weder Musiker, noch können sie Gitarre spielen. Ich nehme mal jetzt ein Beispiel aus der Literatur: Eines meiner Lieblingsbücher der
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© Daniel Biskup |
letzten Jahre, ein furioses Buch, und wirklich der pure Rock n Roll, wurde geschrieben von diesem New Yorker Koch Anthony Burdain. Im Original heißt es
Kitchen confidential und im Deutschen
Geständnisse eines Küchenchefs. Es beschreibt die Subkultur der Welt der Köche in einer Art und Weise, unglaublich - und die Jungs sehen auch aus wie eine Band mit ihren langen Messern -.
Rock n Roll hat etwas zu tun mit ganz tiefen Sehnsüchten nach Gerechtigkeit, nach Freiheit, nach all dem, nach dem Abweisen von Beschränkungen unsinniger Art, Selbstausdruck Soul, Herz und Seele, … alles.
AVIVA-Berlin: Singst du von Dingen, die Du selbst erlebt hast, was inspiriert Dich?
Ulla Meinecke: Ich singe nicht nur von Sachen, die ich selbst erlebt habe, es sind aber Dinge die ich sehen kann oder fühlen kann. Es sind ja auch Kunstfiguren, die ich schaffe, wie jeder gute Autor. Natürlich, ich singe auch nicht von etwas, von dem ich keine Ahnung habe. So betrachtet hat also doch alles etwas mit mir zu tun. Es sind Dinge, die mich wundern, die ein starkes Gefühl auslösen.
AVIVA-Berlin: Du tourst seit Jahren auch durch Ostdeutschland. Hattest Du anfangs Berührungsängste?
Ulla Meinecke: Nein, ich bin einfach nur ein neugieriger Mensch., Ich habe kurz vor dem Mauerfall in Ost-Berlin gespielt und schrieb meiner Freundin Elli eine Postkarte aus dem Hotel am Alexanderplatz. Wir waren damals zusammen in Asien und das war schon ziemlich exotisch. Ich schrieb ihr: "Wir waren ja schon weit weg von zuhause, aber so weit weg war ich noch nie." Und ich konnte mein Zuhause aus dem zehnten Stock sehen.
Ich habe mich wahnsinnig über den Mauerfall gefreut, bin aber eine Realistin. Und da ich weiß, wie schwierig Dinge in der Regel im Leben so sind, bin ich auch unglaublich schwer zu enttäuschen. Ich erwarte nicht dieses "Hey, es wird alles super" und Fremdheit erschreckt mich auch nicht.
AVIVA-Berlin: Gibt es konkrete Pläne, wie es weitergehen soll?
Ulla Meinecke: Wir spielen kontinuierlich weiter, die neue Platte ist seit zwei Monaten in den Läden, das Buch ist erschienen, ansonsten bin ich an einem Musicalprojekt beteiligt, was allerdings in China zuerst auf die Bühne geht.
Und es wird auch nicht das erste Buch sein, was ich gemacht habe.
AVIVA-Berlin: Alles Gute und vielen Dank für das Interview.
Lesen Sie mehr zu Ulla Meinecke´s
Buch "Im Augenblick" und zur gleichnamigen
CD.
Ulla Meinecke´s Seite im Netz: www.Ulla-Meinecke.de