AVIVA-Berlin >
Music
AVIVA-BERLIN.de im November 2024 -
Beitrag vom 17.02.2004
Next generation of Jazz - Esther Kaiser
Marie-Louise Leinhos
Sie baut Brücken zwischen Jazz und Chanson. Im Januar 2004 veröffentlichte sie ihr Debütalbum Jazz Poems. Wer ist diese Frau mit der unglaublichen Stimme? Lesen Sie hier mehr dazu im Interview.
Ihre sanfte und zugleich ausdrucksstarke Stimme reißt spätestens live wirklich jede Zuhörerin mit.
Esther Kaiser ist eine beeindruckende Persönlichkeit.
Sie vermittelt zwischen Jazz und Chanson, und dies mit einer Professionalität, die mehr als Entertainment bietet.
Mit 21 Jahren zog es die gebürtige Freiburgerin nach Berlin,
wo sie an der „Hanns Eisler Musikhochschule“ Jazzgesang studierte. Als Teenager entdeckt sie ihre Liebe für den Jazz, der fortan ihr Leben begleiten sollte. Sie ist Mitbegründerin des Berliner Jazzquartetts „Berlin Voices“, war mehrfache Finalistin beim Bundeswettbewerb für Gesang und spielte die Rolle der Polly in der Dreigroschenoper.
Ihr aktuelles Debütalbum „Jazz Poems“ ist ihr erstes Soloprojekt und verdeutlicht gleichzeitig, wie viel Leidenschaft und Ausdruck in ihrer Stimme liegt.
Lesen Sie hier auch mehr zu der CD „Jazz Poems“.
Einen tieferen Einblick in ihre Persönlichkeit und wie sie ihre Liebe zum Jazz entdeckte, gewährt Esther Kaiser in einem Interview.
AVIVA-Berlin: Du bist noch sehr jung, wenn Du an Deine Kindheit zurückdenkst, wolltest Du schon immer singen?
Esther Kaiser: Ja, definitiv. Mit sieben Jahren begann ich im Radio Hits mitzusingen. Es stand sehr früh für mich fest, dass ich mal singen möchte. Sicherlich zuerst in der Form eines Kindertraums. Aber meist haben Kinderträume ja auch etwas sehr Gewisses und Bestimmendes.
AVIVA-Berlin: Was hast Du zu dieser Zeit im Radio nachgesungen?
Esther Kaiser: Die absolute Kindheitssünde, die ich nachsang, war „Ein bisschen Frieden“ von Nicole. Später waren es dann Songs von Madonna und a-ha.
AVIVA-Berlin: Wie kamst Du dann zum Jazz?
Esther Kaiser: Im Prinzip brachte mich eine Platte von Ella Fitzgerald zum Jazz. Zu dieser Zeit, mit 14-15, sang ich in einer Rockband. Mein Cousin spielte Gitarre und so stand ich zum ersten Mal mit dieser Band auf der Bühne. Daraufhin nahm ich Gesangsunterricht und da ich keinen klassischen Unterricht wollte, blieb mir als Alternative eben Jazz. Mein damaliger Gesanglehrer unterrichtete mich dann an der Jazzschule in Freiburg. Und er war es auch, der mir diese Ella Fitzgerald Platte empfohlen hat. Dieses Album prägte mich sehr und öffnete mir die Türen zu dieser Musik. Danach kaufte ich mir noch eine Platte von Natalie Cole, Tribute to Nat King Cole. Ganz wichtig war für mich auch eine Platte von Frank Sinatra. Man kann sagen, dass diese drei Platten die wichtigsten waren. Später kaufte ich mir auch Alben von Billie Holiday und Sarah Vaughan dazu, aber auch Vertreter des Modernen Jazz wie Aziza Mustafa Zadeh und Norma Winstone gehören zu meiner heutigen Sammlung.
AVIVA-Berlin: Erstes Konzert, das Du besuchtest?
Esther Kaiser: Das war mit 14 und es war ein Grönemeyer-Konzert.
AVIVA-Berlin: Wenn man Deine Biographie liest, wirkt alles, was Du tust, sehr zielorientiert. Gab es Alternativen zu Deinem Gesangsstudium?
Esther Kaiser: Es war nicht ganz klar. Ich habe 1994 mein Abitur gemacht und ging erst 1996 nach Berlin. In der Zwischenzeit studierte ich Psychologie. Es gab mehrere Gründe dafür. Ich war mir nicht ganz sicher, ob ich auch beruflich singen möchte. Ich war mir nicht gewiss darüber, ob ich das nervlich verkrafte und ob ich so leben möchte, da ich von meiner Persönlichkeit damals ein eher schüchterner Mensch war. Außerdem wusste ich nicht, in welche Richtung es für mich gehen sollte. Ich hatte zu entscheiden, ob ich mich gesanglich im Bereich Klassik, Musical oder Jazz ausbilden lasse. Denn alle drei Bereiche standen mir mehr oder weniger völlig offen. Ich habe zu dieser Zeit sehr viel ausprobiert. Eine Alternative wäre es auch gewesen, hobbymäßig zu singen und mein Psychologiestudium mit meiner Musik im Bereich Musiktherapie zu verknüpfen. Dieses Ziel habe ich auch dann 2 Jahre verfolgt. Die Entscheidung für ein Studium des Jazzgesangs fiel dann endgültig beim „Bundeswettbewerb Gesang“, an dem ich teilnahm. Ich platzierte mich unter den ersten 10 und habe mir dadurch von der Jury noch den nötigen Tritt geholt, der mich endgültig selbst von meinem Talent überzeugte.
AVIVA-Berlin: Gibt es neben dem Jazz auch andere Musik, die für dein Leben wichtig ist oder Einfluss nimmt?
Esther Kaiser: Neben Jazz habe ich mich immer für Chanson interessiert. Davon sind sicherlich stark meine Texte inspiriert. Der erzählende Charakter, den meine Texte haben, gepaart mit dem intellektuellen Anspruch wurden sehr stark vom Chanson geprägt. Aber auch der Tango hat starken Einfluss auf meine Musik.
AVIVA-Berlin: Wovon handeln Deine Texte?
Esther Kaiser: Sie handeln von transzendenten Fragen, von Situationen im Leben, die verschiedene Ausgänge haben können. Sie handeln vom Suchen und auch vom Finden, sind aber auch von Erinnerungen geprägt.
AVIVA-Berlin: Bezogen auf Dein Leben, was suchst Du?
Esther Kaiser: Das ist eine gute Frage. Ich suche eine Ausdrucksform, die mir hilft, meine eigenen Fragen zu beantworten. Aber es soll nicht der Eindruck entstehen, dass ich in meinen Texten wirklich Antworten gebe. Es ist eher eine Form der Inspiration, die ich in meinen Zuhörern hervorrufen möchte.
Es soll für jeden offen sein. Die Reflektion dessen bietet mir aber zugleich, die gestellten Fragen für mich zu beantworten. Ich suche eine Form der Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit in meinem Leben, um das tun zu können, was ich möchte.
AVIVA-Berlin: Und was glaubst Du, gefunden zu haben, auch unter anderem durch Deine Musik?
Esther Kaiser: Auf der einen Seite durch meine Musik sicherlich meinen Beruf, aber auch eine Ausdrucksform, Menschen etwas von mir geben zu können. In gewisser Weise eine Erweiterung meiner Persönlichkeit.
AVIVA-Berlin: Um was geht es Dir auf Deinem Debütalbum „Jazz Poems“?
Esther Kaiser: Ich vermittle bestimmte Gedanken, vielleicht auch eine Ansicht der Welt, die ich aber niemandem aufzwingen möchte. Hauptsächlich möchte ich zum Nachdenken anstoßen, aber die Unterhaltung soll dabei nicht zu kurz kommen. Der Entschluss, „Fragile“ von Sting mit auf das Album zu nehmen, entstand dadurch, dass ich mit den Arbeiten für „Jazz Poems“ begann, als gerade der Krieg gegen den Irak erneut ausbrach. Das Stück hatte ich seit Sommer 2002 im Programm. Es ist so traurig aktuell, egal wann Du es spielst. Deswegen packte mich der Song emotional und ich wollte es mit auf meinem Album haben. Bei den Aufnahmen im Studio bekam ich noch mal eine Gänsehaut. Dies ist sicherlich auch eine Seite von mir, zumal ich in der Vergangenheit mal ein Programm hatte, dass nur aus jüdischen Liedern bestand. Ich trat damals zusammen mit meiner Schwester auf, die mich auf der Gitarre begleitete. Zwar liebte ich die Musik, aber es hatte auch politische Hintergründe. Eine Botschaft zu transferieren, um sie so meinem Publikum näher zu bringen. Das kommt zwar auf der aktuellen Platte nicht unbedingt rüber, aber wirkt bei der Entscheidung, welche Lieder auf mein Album kommen, mit.
AVIVA-Berlin: Wenn sich jemand total neu an den Jazz heranwagt, wie bekommt man am schnellsten den Zugang zu dieser Musik. Hast Du ein Rezept dafür?
Esther Kaiser: Ich selbst gebe ja auch Gesangsunterricht an zwei Musikschulen. Deswegen ist diese Frage für mich immer wieder aktuell und spannend. Meist kennen meine Schüler sich im Jazz überhaupt nicht aus, und sind eher auf Pop fixiert. Gerne mache ich mit ihnen auch Popsongs, aber auf der anderen Seite möchte ich ihnen auch den Jazz näher bringen. Meistens spiele ich ihnen dann die traditionellen Vertreter á la Ella Fitzgerald oder Billy Holiday vor. Das hört sich auf den ersten Takt anders für meine Schüler an, als die Songs, die ihnen aus den Charts geläufig sind. Deswegen wäre es vielleicht auch geschickt, wenn man das Wagnis Jazz eingehen möchte, sich Alben von Till Brönner anzuhören. Seine Musik ist vom Crossover geprägt, elektronisch experimentell und eine sehr interessante Form des Pop-Jazz. Sachen von Micatone, die Band meiner Kollegin Lisa Bassenge, gehen dann wieder in die Richtung des Drum N’Bass. Eine aktuelle Vertreterin für modernen Popjazz ist Norah Jones. Ihre Songs gehen zwar mehr in die Country-Richtung, aber die akustischen Elemente lehnen sich stark an den Jazz.
Mehr zu Esther Kaiser: www.estherkaiser.de