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Beitrag vom 30.04.2003
Rock on, cutie, Interview mit Sandra Nasic von den Guano Apes
Marie-Louise Leinhos
Daß Frau Nasic bei den Guano Apes die Hosen anhat, wenn sie auch mächtig rockt, ist ein alter Hut. AVIVA-Berlin hat die energiegeladene Frau anlässlich ihres Konzerts in Berlin interviewt.
Am 27.04.2003 spielten die Guano Apes in einer aus den Nähten platzenden Columbiahalle. Es war heiß und dichtgedrängt, was aber keinen davon abhalten konnte, sich gänzlich von der Show mitreißen zu lassen.
Ein tolles Konzert, ein schönes Set aus alten Klassikern + neuen Songs. Publikumsmagnet Sandra Nasic war an diesem Abend mehr als bezaubernd. Sie begeisterte das Berliner Publikum auf ihre anziehende und sympathische Art und schuf eine Stimmung, die kein Hemd trocken ließ. Kein bisschen müde von der langen Europatour spielten die Guano Apes 2 Stunden, gaben Zugaben und ließen sich wohlverdient von ihrem Publikum feiern, mit dem sie fürsorglich ihren Wasservorrat teilten. Das ist auch das Besondere an dieser Band. Sie suchen Publikumsnähe, kommunizieren mit ihm. Sie zeigen sich offen und ohne Starallüren. Im Gegenteil, purer Rock vom Feinsten ohne Superstargehabe.
Auch die Vorband „Underwater Circus“, die die Guano Apes nun in Deutschland bei einigen Gigs begleiten werden, war durchaus hörenswert. Bekannte Gesichter wie Markus Schulzte , Moderator bei MTV oder Cindia Knoke, die schon Bass in Farin Urlaubs „Racing Team“ spielte, begrüßten das zahlreiche Publikum. Doch es lag deutlich in der Luft, auf wen man hier wirklich wartete.
Vor dem Konzert konnte Marie-Louise Leinhos von AVIVA der Frontfrau Sandra Nasic einige Fragen stellen. Ein Interview in der Abendsonne Berlins mit einer sehr ausgeglichenen Sängerin, der die abklingende Grippe nicht anzumerken war.
AVIVA-Berlin: „Walking on a thin line“ ist raketenartig in die Albumcharts eingestiegen, die bisherige Europatour verlief supererfolgreich. Habt ihr beim Aufnehmen des Albums mit dieser positiven Resonanz gerechnet?
Sandra: Nein, natürlich kann man mit so was nicht rechnen. Man kann es erhoffen. Du kannst nicht wissen, ob das 100.000 mögen, vielleicht 500.00 oder nur 10.000. Daran darf man bei der Produktion auch nicht denken. Man wünscht sich, dass es verkauft wird und denkt, hoffentlich gibt es die Fans noch. Wir haben ja 2 Jahre nicht von uns hören lassen. Ich kann auch nicht wirklich sagen, wer unsere Fans sind. Ich sehe bei den Konzerten nur, dass es um unterschiedliche Menschen aller Altersgruppen handelt. Das finde ich okay, wenn wir alle ansprechen.
AVIVA-Berlin: Was hast Du bei den Konzerten für Eindrücke, kommen die neuen Lieder besser an, oder rockt das Publikum lieber zu euren alten Klassikern? Das aktuelle Album zeigt schon sehr deutlich, wie variabel ihr seid.
Sandra: Danke, es gibt nichts langweiligeres, als sich selbst zu wiederholen. Aber dennoch hört man heraus, dass wir es sind. Denn wir haben schon eine eigene Soundrichtung. Für das neue Album haben wir sie etwas variiert. Experimentierfreudig waren wir schon immer. Bisher tourten wir durch Portugal, Spanien, Italien und die Schweiz. Da kommen die Songs total geil an.
Bei manchen Konzerten konnten die Leute sogar die Backing Vocals mitsingen. Ein irres Gefühl. Ich bin nun gespannt auf Deutschland, mal schauen, wie wir hier ankommen.
AVIVA-Berlin: „Walking on a thin line“, was bedeutet es für Dich, auf einer dünnen Linie zu flanieren?
Sandra: Eine dünne Linie ist eigentlich das Leben. Der Albumtitel ist aus dem Song „Kiss the Dawn“. Jeder Mensch muss seinen eigenen Weg finden, egal, ob hart oder leicht. Für mich persönlich ist das Leben immer noch hart, auch wenn ich mich in einer glücklichen Position befinde. Es geht mir gut, ich bin gesund und das ist total wichtig. Jeder sollte sein eigenes Glück finden und sich nicht an den Maßstäben anderer messen.
AVIVA-Berlin: Ihr verwendet in euren Videos immer merkwürdige Kulissen. An welchem Film denkst Du, wenn Du das neue Album hörst?
Sandra (überlegt kurz und lacht): Doch, Delikatessen, das könnte ich jetzt für alle Alben sagen. Die Frage zu beantworten, ist doch einfacher, als ich dachte.
AVIVA-Berlin: Das neue Video zu eurer aktuellen Single „Pretty in Scarlet“ erzählt eine sehr witzige Geschichte, wer hat es gedreht?
Sandra: Jörn Heidmann ist der Regisseur, er drehte schon das „Kumba Yo“- Video. Eigentlich könnte er auch in unserer Band mitspielen. Er ist ein hyperkreativer Mensch, der sehr interessant und lustig ist. Wir hegen sehr große Sympathie für ihn. Ich mag seine Art. Meist ist er sehr zerstreut und hat erstmal gar keine Ideen. Die kommen ihm beim Pizzaessen. Wir setzen wir uns dann zusammen und schon entsteht immer irgendwas.
Er drehte auch das Video zu Rammsteins Song „Sonne“ und arbeitete auch schon für Rosenstolz.
AVIVA-Berlin: Wie kam es zu der Geschichte? Der Schluss ist einfach klasse.
Sandra: Hast Du ihn verstanden?
AVIVA-Berlin: Ja, ich glaube schon. In einem großen Schloss verschwindet nach einer gemeinsam Nacht Dein „Lover“ auf seltsame Weise. Es gibt merkwürdige Hinweise, dass deine Dienerschaft, gespielt von Deinen Mitmusikern, ihn um die Ecke gebracht hat. Sie geben sich aber alle Mühe, dies zu vertuschen und in panikartiger Rage fährst Du in deinem roten Auto davon. Vorbei an deinem Lover, der eben mal nur Zigaretten holen war. Als er Dir sehnsüchtig nachblickt, wird er vom Lastwagen überfahren. Dann steige ich zugegebenermaßen nicht mehr so durch.
Sandra: Zur Schlussszene ist anzumerken. Unser Schlagzeuger stellt in diesem Video einen Typen dar, der Tiere ausstopft. Man sieht ihn in der letzten Szene Würstchen essen .Beim Zuschauer entsteht damit der Eindruck, dass er den Kadaver meines Freundes verwendet hat, um daraus eine interessante Würstchenfüllung zu kreieren.
AVIVA-Berlin: Als Du anfingst zu singen, hast Du Dich an jemand orientiert? Wem haben wir Deine brachiale Stimmgewalt zu verdanken?
Sandra: Ich habe mich an niemandem orientiert. Natürlich bin auch ich von Musik geprägt. Als Kind habe ich viel Musik gehört und habe diese auch eingesogen, aber ich wollte nie klingen wie irgendwer. Ich wollte mal ausprobieren, ob ich schreien kann und es hat geklappt. Gerade auf Tour merke ich, dass mir die Gesangspassagen der neuen Stücke einiges abfordern. Es sind Tonlagen, vor denen ich mich früher immer ein bisschen gefürchtet habe. Jetzt sind Höhen dabei, an die ich mich herantaste, die sehr weiblich sind. Und ich schreie das nicht. Mir fällt es leichter in dieser Tonhöhe zu schreien, als wenn ich singen muss. Auf Tour trainiere ich deswegen auch immer im Bus oder backstage, sonst würde ich dieses Range, was ich da durchziehe, von Kopfstimme bis Schreien, auch nicht durchhalten. Denn die Stimme ist ein Muskel, den man schonen und trainieren muss, sonst geht das nach hinten los.
AVIVA-Berlin: Aber Du hattest schon musikalische Tendenzen?
Sandra: Ja, klar. In dieser Zeit habe ich viel Grunge gehört. Soundgarden fand ich klasse. Die Bands zu dieser Zeit haben ja eh alle geschrieen. Ich fand aber auch Nirvana und Rage Against The Machine ziemlich gut.
AVIVA-Berlin: Wenn Du gerade Rage Against The Machine und Soundgarden erwähnst, wie findest Du das neue „Audioslave“ Album?
Sandra: Ich persönlich bin total traurig, weil Zack de la Rocha einfach ein Energiebundel und ein sehr interessanter Mensch ist. Ich mag die Prinzipien, die er hat. Er ist ein beeindruckender Musiker. Ich bin aber damals auch Chris Cornell und somit Soundgarden-Fan gewesen. Dennoch muss ich sagen, mich spricht das neue Album von Audioslave nicht an. Wobei die Leute musikalisch alle gut sind.
AVIVA-Berlin: Die Texte auf eurem Album sind auch tiefsinniger geworden.
Sandra: Ich habe schon immer tiefsinnige Texte geschrieben. Das macht das Alter.
AVIVA-Berlin: Naja, vielleicht habe ich es früher nicht so verstanden, ich bin ja auch älter geworden. Vielleicht kommt es mir deswegen so vor.
Sandra: Ja, Du bist auch älter geworden.
AVIVA-Berlin: Ist das die Reflektion der Erfahrungen, die ihr in den letzten Jahren gesammelt habt?
Sandra: Ja, klar. Wenn Du Tagebuch führst und da mal auf Seite eins blätterst, und liest, was du da geschrieben hast, dann schmunzelst du ein bisschen und denkst, ach ja ...
Sicher, Erfahrungswerte spielen hier eine große Rolle neben persönlichen Einstellungen, die sich mit der Zeit ändern. Ich versuche dies breitgefächert zu halten. Von Thema zu Thema.
AVIVA-Berlin: Zu Beginn des Irakkrieges habt ihr ein Zitat von Mahatma Ghandi veröffentlicht: „An Eye for an eye and soon the whole world is blind". Wie findest Du die Statements anderer Kollegen? Madonna, hat ihr Video zurückgezogen Video zurückgezogen , System of a down schrieben den Protestsong „Boom“. Hätte so was auch von den Guano Apes kommen können?
Sandra: Ja, eventuell. Zwar haben wir früher immer gesagt, wir sind keine politische Band, wir sind Musiker. Aber man hat trotzdem eine Meinung. Das finde ich auch sehr wichtig. Zwar wollten wir niemandem was aufdrücken, und wenn jemand das Gefühl hat, er müsse nichts sagen, dann ist dies auch okay. Schlimm ist es, wenn Leute fragen, ob es trendy ist, seine Meinung zu sagen. Das gibt es auch. Wir wollten einfach ein Zeichen setzen, um Position zu beziehen, dass wir diesen Krieg Scheiße finden. Und leider werden das nach uns auch viele Bands und Generationen machen. Das wird sich immer wiederholen, bis es uns irgendwann nicht mehr geben wird. Nein, so düster möchte ich jetzt gar nicht denken. Warum Madonna ihr Video zurückgezogen hat, weiß ich nicht. Ich habe das erste Video gesehen und fand es ziemlich mutig. Sie kann es sich leisten, ein solches Video abzudrehen. Sie hat anderweitig ein wichtiges Statement abgegeben. Sie findet es schlimm, dass Künstler in Amerika, die sich gegen den Krieg äußern, definitiv mit Einbrüchen ihrer Arrangements rechnen müssen. Oder dass Schauspieler keine Filmrollen mehr bekommen.
AVIVA-Berlin: Das war ja auch in den 60ern schon so. Ronald Reagan hat damals seine kommunistischen Schauspielerkollegen denunziert.
Sandra: Echt, schade, aber da sieht man, die Dinge ändern sich anscheinend nicht. Positiv ist dennoch, dass es immer Leute gibt, die gegen solch grobe Menschenrechtsverletzungen und im Sinne der Meinungsfreiheit auf die Strasse gehen.
Weitere Informationen zu den Guano Apes: www.guanoapes.de
Lesen Sie auch hierzu die Rezension zum Album "Walking on a thin line"