AVIVA-Berlin >
Music
AVIVA-BERLIN.de im November 2024 -
Beitrag vom 23.03.2009
A Camp - Colonia
Tatjana Zilg
Als Leadsängerin der Cardigans eroberte Nina Persson mit Songs wie "Love Fool", "Rise And Shine" und "Sick And Tired" Ende der Neunziger die Welt. Bereits 1997 setzte sie den Startpunkt ...
... für ihr Zweitprojekt A Camp. Unter dessen Namen entwirft sie gemeinsam mit Niclas Frisk (Atomic Swing) Musik, die mit Americana und Gospel liebäugelt und zu schillernden Pop-Juwelen transformiert.
Die zierliche junge Frau mit der kräftigen, zwischen rau und glasklar variierenden Stimme ist in Schweden beheimatet, einem der nordischen Länder, die schon seit längerem mit einem hohem Aufgebot an außergewöhnlich guten SongwriterInnen verblüffen. Für diese ganz besondere Art der Melancholie, die aus den Songs vieler skandinavischer MusikerInnen ausstrahlt, wurden schon etliche Gründe vermutet: Die lange dunkle Jahreszeit, die kühle Witterung, Vordenker wie Ingmar Bergman, die weite Landschaft mit unendlichen Wäldern, Seen und nur wenige Metropolen.
Im tiefen Nordschweden fand die erste Begegnung von Nina Persson mit ihrem A Camp - Mitstreiter Niclas Frisk statt.
Das Debut ihrer Hauptband Cardigans erschien 1994 unter dem Titel "Emmerdale" beim Label Stockholm Records und fand vorerst nur in Schweden Beachtung. Doch mit den Nachfolgern "Life" und "First Band On The Moon" bekamen die Cardigans schnell die ihnen zustehende Aufmerksamkeit auch in den Pop-Hochburgen Großbritannien und Amerika. Ohne sich vom Erfolg blenden zu lassen, schloss sich Nina zu dieser Zeit mit Niclas kurz, um über ein Projekt nachzudenken, das es ihnen erlaubt, ihre persönlichen Vorlieben in anderer Gestalt umzusetzen. Dennoch kam ihr erstes Werk wegen des großen Erfolgs der Cardigans und den damit verbundenen Arbeitseinsatz erst 2001 heraus, denn 1998 feierte die schwedische Pop-Hoffnung ihren endgültigen internationalen Durchbruch mit dem Album "Gran Turismo", von dem weltweit mehr als 2,5 Millionen Exemplare verkauft wurden.
Nina gab zwischenzeitlich ihrer Faszination für das Land der unbegrenzten Möglichkeiten nach und zog nach New York City, wo sie etwas später Nathan Larson, ebenfalls Rock Musiker (Shudder To Think) und Filmkomponist, heiratete. Schon das erste Album von A Camp wurde in Amerika vollendet, unter der Beteiligung von Nathan und etlichen weiteren illustren GastmusikerInnen wie auch Joan Wasser, die später als Joan As A Policewoman in der Indie-Szene Furore machte.
Bei "Colonia" ist Joan wieder mit von der Partie. Das Line Up birgt einige weitere Namen, die auf hohe Qualität und Vielseitigkeit verweisen wie Anna Ternheim, Kevin March (Guided By Voices), Mark Linkous (Sparklehorse) und Nicolai Dunger. Nach den beiden Cardigans-Scheiben "Long Gone Before Daylight" (2003) und "Super Extra Gravity" (2005), auf denen die fünfköpfige Band neue Wege beschritt, kommerziell aber nicht an die großen Erfolge anknüpfen konnte, erspürt Nina mit A Camp ein auditives Feld, das zwischen gehaltvoller Gospel-Kraft, weitschweifiger Americana, glitzerndem Glam-Pop und schaurig schönen Atmosphären angesiedelt ist.
Mit dem Intro "The Crowning" blenden die beiden A Camp-Köpfe noch weiter zurück in die Zeitgeschichte. Nicht etwa nur in die Swinging Sixties des letzten Jahrhunderts, vielmehr versprechen sie "We´re gonna party like it´s 1699". Dabei haben sie wenig mit mittelalterlichen Klängen gemein, es geht hier wohl mehr um edle Eleganz, imposante Strukturen und gewagte Arrangements, die innovativ über Genre-Begrenzungen hinausblicken. Unter Einbindung zahlreicher Instrumente, darunter auch Spielzeugklavier, Hörner und Violinen, schaffen A Camp opulente Umgebungen, die sich jedoch nicht im Detail verlieren, sondern eingängige Grund-Rhythmen vorweisen und intelligente Hooklines anbieten. Die Stärke der Singleauskoppelung "Stronger Than Jesus" liegt in einem messerscharf satirischen Text, der durch glam-rockige E-Gitarren, hypnotisierenden Beat und das Tempo etwas verlangsamenden Sprechgesang zu einem einprägsamen Ohrwurm gestaltet wurde. Etwas ruhiger und filigraner schmiegt sich "Golden Teeth And Silver Medals" in die Sinne. Das Duett mit Nicolai Dunger appelliert an die dunkelromantischen Seiten der HörerInnen und sorgt für ein angenehmes, melancholisch-nachdenkliches Wohlgefühl. Wilder und rockiger geht es in "Here Are The Wild Animals" zu, luftig verspielter Pop findet sich in "I Signed The Line" und auch eine beschwingt munter vorantreibende Hymne an die Wahlheimat fehlt mit "My Americana" nicht.
A Camp im Netz: www.acamp.net und Myspace
Weiterhören: Dear Reader und Cocoon
AVIVA-Tipp: Die Stimme von Nina Persson hat deutlich an Tiefe gewonnen als von früheren Cardigans-Zeiten gewohnt. Im Zusammenspiel mit den Songstrukturen, die manches Mal allerdings erst beim genaueren Hinhören ihren Nuancen-Reichtum in voller Pracht entfalten, ergibt sich ein reizvolles Song-Paket mit ungewöhnlichen Variationen zu wohlbekannten, mittlerweile fast zeitlosen Genres wie Americana und Gospel, kräftig durchmischt mit dem ideenreichen Indie-Pop der Gegenwart.
A Camp
Colonia
Label: Reveal Records, Pias, VÖ März 2009