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Beitrag vom 01.07.2010
Stereo Total - Baby Ouh
Marie Heidingsfelder
"Kitschig, himmlisch, schrottig und trashy, glamourös, nebulös, elefantös und so schön obszön" - Das zwölfte Album des Deutsch-Französischen Duos ist genau so "witzisch" wie die vorigen.
Un amour fou
Stereo Total ist eine musikalische Amour fou: Entweder, man verliebt sich sofort in die experimentierfreudige Mischung aus Chanson, Elektro, Punkrock, alten Synthesizern und den poetischen, romantischen und absurden Texten - oder statt des Herzens verliert man den letzten Nerv.
Ich liebe Stereo Total. Den französischen Akzent von Françoise Cactus, die trashigen Aufnahmen, das ständige Schwanken zwischen Romantik und Rebellion und das Durcheinander aus Deutsch, Französisch, Englisch und Spanisch. Und weil das im März 2010 erschienene Album "Baby Ouh!" drei Jahre nach "Paris-Berlin" die tourbedingte Beziehungspause vergessen lässt, strapaziert meine Liebe ein weiteres Mal die Nerven meiner NachbarInnen - genau wie Brezel Göring die Wirkung des Titelsongs beschreibt: "´Baby Ouh!´ ist die Fortsetzung der Verzweiflung mit den Mitteln des Voice-Transformers. Während Musik und Text mit jedem Takt düsterer werden, gibt das Leitmotiv - gespielt mit einem Mickey Mouse-Stimmeffekt - den HörerInnen den Rest..
Baby Ouh!
"It´s an album about crazy love" verkündet Françoise auf der offiziellen Website. Insgesamt haben sie und Brezel insgesamt vierzig Songs für ihr jüngstes Werk eingespielt. Erschienen sind allerdings nur siebzehn, darunter einige Covervisionen von Stereo Totals Idolen wie Brigitte Fontaine oder Pedro Almodóvar. Außerdem unterstützen einige GastmusikerInnen wie Gino d´Orio, Vice Cooler, Miss le Bomb oder Becky Ofek die Band bei der Vertonung ihrer Texte. Besonders hervorzuheben ist auch das "Oberkreuzberger Nasenflötenorchester", das mit seinen tinnitusartigen Extremtönen vermutlich in die Grenzbereiche der nervlichen Belastbarkeit meiner Nachbarn vordringt. Auch ansonsten setzt das Duo auf LoFi-Kassettenaufnahmen und Flohmarktinstrumente, um sich von der perfekt gestylten Computer-Ton-Welt abzugrenzen und die Lieder in der unproduzierten Rohheit der Konzerte aufzunehmen - 1,2,3,4 und Los! ist das Motto.
Textlich bewegt sich "Baby Ouh!" auf dem weiten und unebenen Terrain, den sie bereits auf ihren vorigen Alben erkundet haben: Die siebzehn Songs sind anarchisch, lustig, anstößig, albern, traurig und auf eine überdrehte Art poetisch - oder kurz: R´n´R, Romantisch und Rebellisch.
Nein, Stereo Total haben sich nicht neu erfunden, aber im Falle einer Band, die für Charme, musikalische Experimente und "Witzischkeit" steht, wäre das auch schade.
Man darf auch nicht den Fehler machen, die beiden auf Leichtsinn und Spaß zu reduzieren - Stereo Total verstehen sich auch als politische Band, die Grenzen abschaffen will und für die Befreiung der Frauen kämpft. "Wir wissen, in welcher Art von Welt wir leben."
Dieses Engagement zeigt sich auch im künstlerischen Schaffen von Françoise Cactus, die sich in der Pause zwischen "Paris-Berlin" und "Baby Ouh!" auch ihrem feministisch-dadaistischen Kunstprojekt "Wollita"
gewidmet hat.
Die Tour
Stereo Total sind bekannt für ihre ausgiebigen Tourneen und wilde, exzessive Shows - die Release-Tour für Baby Ouh! führte sie einen Monat lang quer durch Europa. Wer die beiden live erleben möchte, kann sie am 29. Juli 2010 im BangBang-Club sehen - Liebe auf den ersten Blick nicht ausgeschlossen.
Die Band wurde 1993 von Françoise Cactus, einst Mitglied der Rockband Lolitas, und ihrem Lebensgefährten Brezel Göring gegründet. Das Duo lebt und produziert in Berlin, wenn die beiden nicht gerade durch die Welt touren.
AVIVA-Tipp: "Baby Ouh!" verspricht "hysterisches Glamour" - und hält Wort! Anarchischer, romantischer, absurder und versteckt kritischer Elektro-Pop-Rock-Chanson mit französischem Akzent.
Stereo Total
Baby Ouh!
Label: Disko B
Veröffentlicht am 26. März 2010
Stereo Total im Netz: www.stereototal.de
Weiterhören auf AVIVA-Berlin:
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