AVIVA-Berlin >
Music
AVIVA-BERLIN.de im November 2024 -
Beitrag vom 13.07.2019
Stereo Total - Ah! Quel Cinéma!
Christina Mohr
Wie machen die das bloß? Seit gut 25 Jahren gibt es Stereo Total nun schon, aber Francoise Cactus und Brezel Göring klingen immer noch so abenteuerlustig und abwechslungsreich wie einst im Mai – auch ihr neues, 12. Album "Ah! Quel Cinéma!" ist keine Ausnahme von dieser Regel.
Vielleicht liegt es daran, dass die beiden "nie einen Plan hatten", wie Francoise Cactus, Sängerin, Haupt-Texterin und Schlagzeugerin des Duos im Gespräch berichtet.
Auch nach langer Zeit im Popbetrieb haben sich Stereo Total ihren DIY-Underground-Appeal bewahrt, das neue Album klingt sogar ein bisschen roher und ungeschliffener als "Les Hormones", das 2016 herauskam: "Wir haben alles zuhause mit einem 8-Spur-Gerät selbst aufgenommen", sagt Francoise, "nicht mit dem Computer abgemischt oder so etwas." Das erste Stück, "Einfach kompliziert" ist dabei so etwas wie das Stereo-Total-Programm in drei Minuten: "Einfache Stücke zu schreiben ist schwer! Meine Songs waren früher sehr lang und kompliziert – ich musste sie immer zähneknirschend kürzen. Ich habe gemerkt, dass die Musik, die ich mag, sehr einfach ist: Punk, Rock´n´Roll... Brezel ist da anders, er spielt kompliziertere Sachen und muss üben – ich hasse es zu üben! Ich mag leichte Stücke, die ich gut auf der Bühne spielen kann." Apropos Bühne: Spielen sie Hits wie "Schön von hinten", "Ich bin nackt" oder "Liebe zu dritt" eigentlich noch gerne live? "Aber klar", sagt Francoise, "sehr gern! Viele andere Bands wollen ihre älteren Stücke nicht mehr spielen, aber wir schon. Das macht doch Spaß!"
Die neue Platte lotet emotionale Höhen und Tiefen aus, worauf der Titel "Quel Cinéma!" verweist: "Im Deutschen bedeutet das so viel wie ´so ein Theater´, ein Auf und Ab der Gefühle. Das trifft auch auf das Album zu." Tatsächlich gibt es neben punkig-rauen Songs wie "Die Dachkatze" und "Mes Copines" auch melancholische Chansons wie "Dancing with a Memory" (das übrigens Francoises Lieblingslied der Platte ist), und traurige, düstere Lieder wie "Le Spleen", in dem es um Suizid geht, das rührende "Hass-Satellit" und besonders "Elektroschocktherapie", das von Lou Reeds Biografie inspiriert ist: Lous Eltern hielten ihren Sohn für verrückt und krank, weshalb sie ihn dieser grausamen Behandlung unterziehen ließen. Brezel ist großer Lou-Reed-Fan, weshalb der legendäre Velvet-Underground-Gitarrist auch im Drogenlied "Methedrine" vorkommt – außerdem wird es bald ein Musical von Brezel Göring über Lou Reeds einziges Konzert in den Siebziger Jahren im hessischen Offenbach geben... die Ideen gehen Stereo Total offensichtlich nie aus, auch musikalisch nicht: ließen sich früher ihre Einflüsse ziemlich genau zurückverfolgen, klingen sie inzwischen völlig unverwechselbar nach Stereo Total, sind ihre eigene Marke geworden. Wobei... der Anfang von "Brezel says" - ist der nicht von Trios NDW-Hit "Da Da Da" geklaut? "Diese Tonfolge hat sich nicht Trio ausgedacht – das war im Casio VL-1 so einprogrammiert! Und wir benutzen den eben auch."
Neben Stereo Total ist Francoise Cactus auch regelmäßig im Radio zu hören. In ihren Sendungen bei radioeins und reboot.fm stellt sie gern Musik befreundeter KünstlerInnen vor, oder lädt sie zum Interview ein: "Die Gemeinschaft unter KünstlerInnen in Berlin ist toll", schwärmt sie, "man kennt sich gut, tauscht sich aus und unterstützt sich gegenseitig!" Auf die Frage, ob sie sich als feministisches Vorbild sieht, ruft sie, "natürlich! Ich trete selbstbewusst auf, spiele Schlagzeug, ich singe – obwohl ich nicht die Callas bin, und mache es trotzdem!" Und auch, wie es Stereo Total schaffen, immer wieder neue, junge Fans zu finden, kann Francoise erklären: "Die Mädchen kennen uns aus den Plattensammlungen ihrer Mütter – und kommen dann auch zu uns!"
AVIVA-Tipp: Teilweise ungewöhnlich emotional und nachdenklich – aber unverwechselbar Stereo Total: so klingt "Ah! Quel Cinéma!" Im Herbst gehen Francoise und Brezel auf große Tournee und kommen auch in eure Stadt!
Stereo Total
Ah! Quel Cinéma!
CD/LP/Download, 14 Songs, 2019
Stereo Total live:
12.9.19 Berlin, Festsaal
2.10.19 Leipzig, UT Connewitz
3.10.19 Prag, Café V
4.10.19 Dresden, Scheune
5.10.19 Nürnberg, Desi
6.10.19 Wien, Fluc
7.10.19 München, Strom
9.10.19 Zürich, Exil
10.10.19 Karlsruhe, P8
11.10.19 Frankfurt, Zoom
13.10.19 Paris, Le Petit Bain
15.10.19 Amsterdam, Bitterzoet
16.10.19 Köln, Gloria
17.10.19 Hamburg, Uebel & Gefährlich
18.10.19 Bremen, Lagerhaus
19.10.19 Copenhagen, Loppen
Stereo Total im Netz: www.stereototal.de und www.facebook.com/StereoTotal
Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:
Stereo Total - Baby Ouh
"Kitschig, himmlisch, schrottig und trashy, glamourös, nebulös, elefantös und so schön obszön" - Das zwölfte Album des Deutsch-Französischen Duos ist genau so "witzisch" wie die vorigen. (2010)
Stereo Total - Paris - Berlin
Nicht nur die französische Malerei beehrt Berlin. Das allerbeste Export-Kunstgut ist schon viel länger hier. Seit Mitte der 90er bereichert Françoise Cactus im Duo mit Brezel Göring die Stadt mit einem Spezialmix aus Electro, Punk, Rock´n Roll, Pop und witzig-bissigen Texten. (2007)
Stereo Total - Do the Bambi
Mach mir das Reh. Scandale, cucuque: Stereo Total präsentieren mit "Do the bambi" routiniert ihre deutsch-französische Sicht der Dinge im bewährten Trash-Gewand. (2005)
Bleib Gold, Mädchen
Das Multitalent Ziska überrascht mit einem ungewöhnlichen Sampler. Sie gewann 20 geniale Musikerinnen (darunter auch Françoise Cactus) für ihr Themenalbum über die schwierige Zeit der Pubertät. Frech, witzig, bissig, ironisch! (2005)
Françoise Cactus - Neurosen zum Valentinstag
Eine Französin in Berlin: Die bessere Hälfte der Trash-Pop-Band Stereo Total ersann zwölf geniale Kurzgeschichten voller Spitzfindigkeit, schwarzem Humor und brillanten Ideen. (2004)
Interview mit Françoise Cactus
Die multitalentierte Französin, die Berlin zu ihrer Wahlheimat machte, veröffentlichte im Frühjahr den Kurzgeschichten-Band "Neurosen zum Valentinstag". (2004)