Nitsan Bernstein - Hebrew Accent - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Music



AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 15.05.2018


Nitsan Bernstein - Hebrew Accent
Sharon Adler, Lisa Goldberg

Mit ihrem ersten Soloalbum schenkt uns die in Israel geborene Singer-Songwriterin, Schauspielerin und Performancekünstlerin Nitsan Bernstein ein facettenreiches und trilinguales Konglomerat aus Elementen des Jazz, Soul und Cabaret, darunter "The 3rd Generation Cabaret".




Kreativ, phantasievoll und stark formuliert die gebürtige Jerusalemerin Nitsan Bernstein elementare Fragen zu Identität, Heimat, Ursprung: "Why do I have a Hebrew accent? Why was I born in Israel? I want to be international!"

"Ein neues Leben in Berlin – למצוא חיים חדשים בברלין"

"Worte des Abschieds – Hamilim al ha´aziva" lautet der Titel des dritten Songs auf dem Debutalbum der unverwechselbaren und vielseitig talentierten Israeli, die 2013 ihre Koffer packte, um nach Berlin zu ziehen. Die Stadt galt damals schon als eine pulsierende und günstige Metropole und war bzw. ist damit noch immer attraktiv für eine aufstrebende Israelische Boheme: Tausende junge Israelis zogen in den vergangenen Jahren nach Berlin. Für Nitsan waren sicher weniger die 19cent billigen Puddings der ausschlaggebende Grund zum Herziehen, sondern vielmehr die künstlerischen Möglichkeiten, die in vielerlei Hinsicht Tel Aviv ähneln, in Verbindung mit dem historischen Erbe Berlins: eine florierende Geschichte des Cabarets des frühen 19. Jahrhunderts.

"Why was I born in Israel?"

Nitsan Bernstein bezeichnet sich selbst als "Hebrew-Gypsy cabaret singer, song-writer and performer". 1984 geboren und in einem kosmopolitischen Raum und kulturellen Schmelztiegel aufgewachsen, wurde sie von den verschiedensten Gerüchen, Geräuschen und Geschichten von Ost und West umgeben und beeinflusst. Und so überrascht es wenig, dass es Nitsan mühelos gelingt, in ihrer Musik politische, ideologische und manifestierte Grenzen zu überwinden und in ihren Stücken, wie in der israelischen Küche, eine authentische Fusion aus Zeit, Raum und Gefühlen zu kreieren.

Ein Stil aus Vielen oder: ein Spiel mit Stilen

Die Musikrichtung Bernsteins ist schwer einer Kategorie zuzuordnen. Geprägt von den osteuropäischen Wurzeln ihrer Familie auf der einen und der musikalischen Landschaft ihrer Kindheit auf der anderen Seite, in der vor allem die sephardische Musik dominierte, legt Nitsan sich nicht auf ein Genre fest. Ihre (biografische) Vielfalt wird in der Musik zum Leben erweckt und durch die englische, deutsche, hebräische und jiddische Sprache in ihren Lyrics ausgedrückt. Von Blues über Klezmer: Das ohnehin schon breite Repertoire hat Nitsan Bernstein im Verlauf ihrer musikalischen Entwicklung zusätzlich durch Rock- und Jazzgesang ergänzt.

Die technischen Grundlagen hat sich die Virtuosin in ihrem Bachelor-Studium "Jazz Singing Studies" an der Jerusalem Academy of Music and Dance angeeignet. Regelmäßig reist sie nach Israel, um als Dozentin Kurse zu geben. So bot Nitsan beispielweise 2016 an der Jerusalem Academy of Music and Dance – High School den Kurs "Cabaret and Performance" an oder wirkte als Schauspielerin an israelischen Theaterproduktionen wie in dem "Hasimta Theater" in Tel Aviv-Jaffa und dem "Hazira HaBenTchumit" in Jerusalem mit.

Diva? Oh Jazz!

"Nitsan´s undeniable need for drama and attention were apparent since childhood, and so were her attraction to a diversity of art forms", schreibt die Künstlerin über sich selbst auf ihrer Website. Dieses Bedürfnis nach Aufmerksamkeit weiß Nitsan produktiv und eindrucksvoll in ihrem extravaganten bis provokanten Werk umzusetzen. In dem Song "Looking for love" rollt sie voller Selbstironie und einer mächtigen Prise Humor teils frustrierende (Beziehungs-)Erfahrungen auf und bettet sie auf Soul und groovige Jazzklänge. Sie singt darin unter anderem von Resignation und Sehnsucht nach Leidenschaft: "I´m looking for drama and you´re watching T.V. I´m looking for trouble and you´re cooking for me". Doch auch Fragen zu Identität und Zugehörigkeit widmet sich die Sängerin, etwa in "Medina hi kmo adam (Motherland)" oder dem titelgebenden Song "Hebrew Accent", der satirisch und vor allem persönlich daherkommt.

"The 3rd Generation Cabaret" in Berlin...

…verkörpert und repräsentiert gleichzeitig die Geschichten und die Situation einer Gruppe junger kreativer Berliner Israelis. 2015 von Nitsan Bernstein mit Hilfe von Indre Bogdan gemeinsam mit Ittai Rosenbaum am Piano und dem Cellisten Anton Peisakhov gegründet, knistert und schimmert die Band "The Third Generation Cabaret" heiter zwischen Träumerei und Ironie gegenüber jüdisch-deutschen und jüdisch-/israelischen Traditionen. Auf ihrem Album und bei ihren Konzerten performt die Band (heute mit der Schauspielerin Yael Schüler) eine Mischung aus klassischen und längst vergessenen Diamanten aus diesem und dem vorigen Jahrhundert in Englisch, Deutsch, Hebräisch und Jiddisch wie zum Beispiel "Oyfn weg shteyt a boim" von Shmuel Fischer und Itzik Manger oder der "Ballad of the soldier´s wife" von Kurt Weill und Bertolt Brecht aus dem Jahr 1942.
Darüber hinaus zeigt diese Band mit ihren selbstgeschriebenen Songs humorvoll die Ratlosigkeit und die Absurdität der Konfrontation mit stets bestehenden Vorurteilen auf, dem sich bis heute viele junge Israelis in Deutschland ausgesetzt sehen – ein empfehlenswertes Beispiel (auf Hebräisch mit Englischen Untertiteln) bietet das YouTube Video "Anti Semites".

Das Album "Hebrew Accent"

Bereits 2014 begann die Künstlerin mit Hilfe ihres langjährigen Freundes und Musikpartners Gil Assayas und dem Produzenten Roland Satterwhite, den sie ebenfalls in Berlin kennenlernte, ihr Debutalbum aufzunehmen.
Die meisten Songs auf dem Album hat Nitsan Bernstein vor, nach und während ihres Umzugs und Einlebens in Berlin selbst geschrieben bzw. neu interpretiert. Inspiriert wurde sie dabei von Berlin als Melting pot, eine Stadt, die seit Jahrhunderten KünstlerInnen und Kulturschaffende aus aller Welt anzieht.

Die Arrangements für ihr erstes Album wurden zum größten Teil mit Musikerinnen und Musikern koproduziert, die Nitsan schon viele Jahre begleitet haben. Einige wiederum lernte sie erst während der Arbeit an dem Album kennen, welches schließlich im Sommer 2017 in Zusammenarbeit mit Jonathan Jacobi (Tonproduktion bzw. Audio-Mastering) veröffentlicht wurde.

"Hebrew Accent" vermittelt ganz im Nitsan-Stil zeitübergreifend Einblicke in das jüdische Leben Berlins damals und heute. Der Song "Circumcision" handelt beispielsweise davon, dass die Interpretin nur einen beschnittenen Mann heiraten könne, egal wie wunderbar er sei: ansonsten würde ihre Familie ihn nie anerkennen können. Oder der Klassiker "An allem sind die Juden Schuld" von Friedrich Hollaender, in dem die Absurdität hinter dem Antisemitismus der 1930er Jahre demonstriert wird. Uraufgeführt wurde dieses Stück im September 1931 in der Revue Spuk in der Villa Stern in Hollaenders Berliner Kabarett Tingel-Tangel-Theater.

Visuelle Aspekte

Doch nicht nur musikalisch legte sich Nitsan für ihr erstes Solo-Album mächtig ins Zeug. Sie entschloss sich mutig, neue Pfade zu gehen und musikalische Elemente mit visuellen zu verknüpfen. Schließlich baue sich in jeder Inszenierung vor ihrem geistigen Auge eine Welt voller Bilder auf – die sich auf der Bühne leicht zum Leben erwecken lassen. Doch in der Produktion ihres Albums stellte sich Nitsan Bernstein die Frage: Wie soll ihr das mit den Aufnahmen gelingen?
Die Antwort fand sie zum einen in der Zusammenarbeit mit der befreundeten Grafikdesignerin Yael Zilberfeld. Diese erstellte das grafische Konzept des Albums und die Website, die durch Aufnahmen der Fotografin Zoe Grindea und dem Fotografen Ariel Efron ergänzt wurden.

AVIVA-Tipp: Die israelische Künstlerin setzt die Hörerin in ein musikalisches Karussell von Zeit, Stil und Sprache. Dabei ist es anspruchsvoll und vielleicht nicht unmittelbar eingängig – darin liegt aber gerade die Stärke des Albums. Nitsan Bernstein versucht nicht, zu gefallen. Lässt sich die Hörerin jedoch auf die vielfältigen Klänge und provokanten Texte ein, eröffnet sich ihr eine authentische, individuelle, kreative und hochqualitative Klangwelt.

Aktuelle Informationen zur Künstlerin finden Sie auf ihrer Facebookseite oder auf der Website von Nitsan Bernstein.

Nitsan Bernsteins Debütalbum "Hebrew Accent" wurde am 25. Juli 2017 veröffentlicht und ist abrufbar unter www.nitsanbernstein.bandcamp.com

Weitere und aktuelle Informationen zu "The Third Generation Cabaret" in Berlin:
3rdgenerationcabaret oder auf www.nitsanbernstein.com

Weiterhören auf AVIVA-Berlin:

JEWISH MONKEYS - High Words
Ende April 2017 erschien das neue Album der berühmt-berüchtigten Kultband mit den grandiosen satirischen Texten und den mitreißenden Beats. Die Alten Kacker, slicha, obercoolen Jungs sind: Assaf Pariente (Vocals), Jossi Reich (Vocals), Gael Zaidner (Vocals), Ran Bagno (Akkordeon), Omer Hershman (Gitarre), Moran Baron (Posaune), Yoli Baum (Bass) und Henry Vered (Schlagzeug). (2017)

Semer Ensemble - RESCUED TREASURE
Ein nahezu vergessenes Goldenes Zeitalter für jüdische Musiker und Komponisten - dafür stehen die Lieder, die Hirsch Lewin mit seinem Semer Label in den Dreißigerjahren des 20. Jahrhunderts in Berlin einspielte. (2016)

Watcha Clan - radio Babel
Der Titel des Albums "radio Babel" klingt nach Sprachwirrwarr und Chaos, meint aber genau das Gegenteil. Mit einer faszinierenden Mischung aus Musikstilen und Sprachen aus Orient und Okzident kehrt Watcha Clan die Erzählung des Turmbaus zu Babel um in eine farbenfrohe Vision eines friedlichen Zusammenlebens der Menschen. (2011)

Die Frau im Dunkeln - Chanson-Text-Collage von Evelin Förster
Dass im Kabarett des frühen 20. Jahrhunderts Frauen als Sängerinnen und Tänzerinnen eine große Rolle gespielt haben, steht außer Frage. Claire Waldoff, Marlene Dietrich, Therese Giehse und Valeska Gert kennt jede/r. Dass Frauen aber auch als Komponistinnen und Texterinnen gewirkt haben, weiß kaum jemand. Die Berliner Sängerin Evelin Förster forscht nach diesen vergessenen Künstlerinnen. (2009)

Populäre jüdische Künstler. Musik & Entertainment 1903-1933. Berlin Hamburg München
Ton-Dokumente der blühenden jüdischen Kulturszene vor der Shoah sind gesammelt auf 3 CDs erschienen. (2003)

Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:

Efrat Gal-Ed - Niemandssprache. Itzik Manger- Ein europäischer Dichter und Itzik Manger – Dunkelgold
Efrat Gal-Ed legt mit dieser inhaltlich wie formal außergewöhnlich aufwendig gestalteten Biographie nicht nur ein umfangreiches und vielschichtiges, sondern auch ein kritisches Portrait von Itzik Manger vor. Anhand der bewegenden Lebensgeschichte eines der größten Stars der jiddischen Dichtung zeichnet die Autorin gleichzeitig die letzte große Ära der jiddischen Kultur Osteuropas – Jiddischland – nach und führt in den faszinierenden transnationalen Denk- und Lebensmodus dieser Welt ein, die durch die Shoah fast gänzlich zerstört wurde. (2016)


Music

Beitrag vom 15.05.2018

AVIVA-Redaktion