AVIVA-Berlin >
Music
AVIVA-BERLIN.de im November 2024 -
Beitrag vom 08.11.2017
Ein Rückblick auf das Jazzfest Berlin 2017 von und auf AVIVA-Berlin
Silvy Pommerenke
Das Jazzfest Berlin gehört zu den renommiertesten Jazz-Festivals Europas und hat in diesem Jahr zum zweiten Mal eine Frau, Angelika Niscier, mit dem Deutschen Jazzpreis bzw. Albert-Mangelsdorff-Preis ausgezeichnet. 2003 erhielt die Komponistin Ulrike Haage diese Auszeichnung. Ab 2018 übernimmt die studierte Jazzmusikerin und Kuratorin Nadin Deventer die künstlerische Leitung des Jazzfest Berlin.
Ein Schritt in die richtige Richtung, denn wer das Programmheft des Festivals - das vom 31. Oktober bis 05. November 2017 stattgefunden hat, gründlich studiert - erkennt, dass unter den rund 180 MusikerInnen nur rund 30 Frauen waren. Da klingt es ein wenig wie eine Farce, wenn im Begleitheft politisch korrekt gegendert wird und ein Artikel über "Die weibliche Stimme im Jazz – zwischen Tradition und Moderne" abgedruckt ist. Jazz ist also etwas nur von und für Männer? Wohl kaum! Dank der Preisverleihung an Angelika Niscier setzt das Festival ein richtiges Zeichen. Das ist allerdings auch dringend nötig, denn der Deutsche Jazzpreis bzw. Albert-Mangelsdorff-Preis, der seit 1994 auf dem Festival verliehen wird, ging damit erst an die zweite Frau. Die andere war 2003 Ulrike Haage.
Auch die Festivalleitung war bislang immer eine männliche Domäne, zuletzt unter der Regie des Briten Richard Williams. Das ist zweifellos anachronistisch, spiegelt aber leider die gesellschaftliche Ungerechtigkeit des Arbeitsmarktes wider. Wie gut, dass die Nachfolge von Williams nun eine Frau antreten wird. Ab 2018 übernimmt die studierte Jazzmusikerin und Kuratorin Nadin Deventer die künstlerische Leitung des Jazzfest Berlin und wird ihm hoffentlich noch mehr Musikerinnen bescheren. Die 40-Jährige hatte bereits seit 2015 die Produktionsleitung des Jazzfest Berlin inne. Zudem ist sie seit 2012 im Vorstand des Jazz Network und war unter anderem als Projektmanagerin für die Vorbereitung von RUHR.2010 – Kulturhauptstadt Europas tätig.
In der Jazzstudie 2016, die unter anderem von der Union Deutscher Jazzmusiker (die noch nicht politisch korrekt gegendert sind) in Auftrag gegeben wurde, ergab zwar bei den soziodemografischen Merkmalen, dass 80 Prozent der JazzmusikerInnen männlich und 20 Prozent weiblich sind. Allerdings nivelliert sich dieser Unterschied, je jünger die MusikerInnen sind. Zudem haben zwischen den Jahren 2006 und 2014 durchschnittlich 50 Prozent Mädchen oder junge Frauen den Bundeswettbewerb "Jugend musiziert" gewonnen. Das lässt also auf die Jazz-Zukunft hoffen!
Und dass Frauen genauso gut mit den Instrumenten umgehen, haben herausragende Musikerinnen auch auf dem diesjährigen Berliner Jazzfest gezeigt. Allen voran natürlich Angelika Niescier, die die Jury mit ihrem experimentellen Saxophonstil überzeugte. Die Kölnerin mit polnischen Wurzeln ist außergewöhnlich enthusiastisch bei der Sache und eine "klangmutige Saxofonistin und Komponistin". Sie zeigte eine enorme musikalische Vielseitigkeit mit großem Hang zu improvisierter Musik auf der Bühne.
Vokalmusik war eher die Ausnahme auf dem Festival. Eine der wenigen Sängerinnen war Monica Vasconcelos. Die brasilianische Sängerin arbeitete als Redakteurin und Moderatorin des BBC World Service und gewann 2014 Gold bei den New York Festivals Awards für ihren Dokumentarfilm "Die geheime Geschichte des Bossa Novas". Ihr Konzert basierte auf dem Album "São Paulo Tapes", was im November 2017 erscheint.
Auch die beiden Schwestern Ingrid und Christine Jensen waren sehr hörenswert, die an Saxophon und Trompete ausgebildet sind. Sie kommen nicht etwa aus Skandinavien, wie es die Namen vermuten lassen, sondern aus Kanada, genauer gesagt aus British Columbia. Mit diesen Wurzeln befinden sie sich in guter Gesellschaft von Gil Evans, Oscar Peterson, Kenny Wheeler oder Diana Krall.
Ein weiteres Highlight war auch die Pianistin des Trios Punkt.Vrt.Plastik, >Kaja Draksler. Das Konzert mit ihren kongenialen Kollegen Petter Eldh und Christian Lillinger auf der kleinen Seitenbühne des Hauses der Berliner Festspiele war wirklich atemberaubend!
AVIVA-Tipp: Das Jazzfest Berlin hat für sechs Tage allen JazzenthusiastInnen eine Menge großartiger MusikerInnen präsentiert. Unter der kommenden Leitung von Nadin Deventer werden hoffentlich noch mehr Frauen auf der Bühne zu sehen und zu hören sein. Die Vorfreude auf nächsten Herbst ist jeden Fall groß!
Das nächste Jazzfest Berlin findet vom 1. bis 4. November 2018 statt. Das vollständige Festivalprogramm wird im September 2018 veröffentlicht.
Mehr Infos unter: www.berlinerfestspiele.de und twitter.com/hashtag/JazzFestBerlin
Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:
Sing, Inge, sing - Der zerbrochene Traum der Inge Brandenburg. Der Film
Schon mal von der "deutschen Billie Holiday" gehört? Nein? "Die Zeit war nie reif für mich", sagte Inge Brandenburg einst in einem Interview. Die zu Lebzeiten gefeierte und gleichzeitig verkannte Jazz-Virtuosin führt bisher ein Schattendasein in der deutschen Musikgeschichtsschreibung. Der Dokumentarfilm von Marc Boettcher begibt sich auf Spurensuche. (2011)
Marilyn Mazur und Jan Garbarek – Elixir
Tommelnde Frauen im Jazzbereich sind äußerst selten, blasende Saxophonisten dagegen an der Tagesordnung. Dass nun beides zusammen eine musikalische Einheit ergibt, ist ein spannendes Experiment. (2008)
Frauen im Jazz, ein Film von Greta Schiller und Andrea Weiss
Greta Schiller und Andrea Weiss zeichnen ein detailliertes Portrait von einer der allerersten All-Female-Gruppen in der Musikgeschichte. Die International Sweethearts Of Rhythm waren eine 16köpfige Jazz-Big-Band, deren bunte Crew aus feminin charismatischen Persönlichkeiten in den 40er Jahren bewies, wieviel Power, Talent, Elan und Esprit Frauen haben können, entgegen der damaligen öffentlichen Meinung, Musik machen sei "doch eher Männersache". (2007)
Ulrike Haage - In:Finitum. Exquisite Tonexperimente präsentiert die allseits bekannte Pianistin auf ihrem dritten Soloalbum. Zwischen Wortlosigkeit und Klangkomfort, zwischen ausbalancierten und chaotischen Arrangements bewegt sich Ulrike Haage - ein Klanggenuss der Extraklasse. (2001)