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Beitrag vom 19.06.2007
Amiina - Kurr
Tatjana Zilg
Ein musikalischer Sommernachtstraum aus Island, dem Land der Feen, Elfen, Wichtel, Trolle und anderen clever-frechen Wesen. Das All-Female-Team bewies schon als Streichquartett von Sigur Rós ...
... hervorragendes Talent.
Ungewöhnliche Klänge erfüllten Mitte Mai 2007 den Festsaal Kreuzberg, wo sonst Nu Folk - SongwriterInnen, Indie RockerInnen oder Electro Artists die Bühne erklimmen. Vier studierte Musikerinnen zauberten mit einer Vielzahl von klassischen, modernen und experimentellen Instrumenten filigrane tonale Netze in den Äther. Der Abend wurde zu einem imaginären Ausflug in ein Phantasia-Land für Erwachsene und rief kindliche Anflüge von Erstaunen, Verzücken und purem Vergnügen in den Gesichtern hervor.
In den 90ern haben sich die vier Aniima-Virtuosinnen während des Studiums am Reykyavik College Of Music kennengelernt und sich entschlossen, ihre musikalischen Vorlieben fortan gemeinsam umzusetzen. Als Streichquartett wurden sie von Sigur Rós angeheuert, die zu dieser Zeit mit ihrem sinnlich-experimentellen Instrumental-Sound beliebter Gegenpol zum wilden Grunge und später zur Gitarren-lastigen Indie-Rock-Flut wurden. Stillen, leisen Tönen, die sich in düsteren und visionären Trapezen über akustische Hörfelder ausbreiten, ebneten sie den Weg und zogen auf ihren atmosphärischen Konzerten mehr und mehr Musikfans in ihren Bann.
Während der Aufnahmen zu den Alben von Sigur Rós und der Begleitung auf deren Tourneen fanden sie dennoch Zeit für zwei eigene EPs. Jetzt ist es endlich soweit und nach der Amiina-Tournee erscheint nun ein eigenständiges Studioalbum mit 12 dahinschwebenden Songkunstwerken, die weniger düster sind als die ihrer männlichen Kollegen und zwischen spielerischer Leichtigkeit, tiefsinniger Komplexität und multipler Experimentierfreude, die aber nie unangenehm aus dem Bereich des Melodiösen ausbricht, hin- und hertänzeln.
Selbst sehen Amiina ihre Songs als individuelle Charaktere an, die in einer Bar niemals zusammen an einem Tisch sitzen würden. Und doch verbirgt das Album keine widerborstigen Kontraste, sondern es entstand ein ineinander fließendes Gesamtkunstwerk, filigran und stark zugleich, mit dynamischen Höhen und sensitiven Tiefen.
"Kurr", der Titel, erstaunt zunächst, scheint keinen Sinn zu ergeben, wirkt leicht aggressiv. In unserer Sprache könnte man an das Knurren eines Hundes denken. Gemeint ist damit aber ein bestimmter Ton, den Vögel von sich geben. In Island scheint die Bezeichnung dafür üblich zu sein. Geräusche in allen Facetten zu entdecken, sie zu beseelen und zu einzigartigen Melodien zu entwickeln, ist das Hauptanliegen von Aniima. Neben klassischen Instrumenten wie Gitarren, Keyboards und Mandolinen setzen sie dazu eine singende Säge, diverse Harfen, singende Weingläser, Xylophone, Glockenspiele, Harmonium, einzelne Glocken, Cembalos, Synthesizer, Trompeten, Posaunen, Tubas, Klarinetten, Schlagzeuge, Violas und Violinen ein. Keineswegs sind sie dabei altmodisch oder wollen konservative Orchestralität festhalten. Sie verwenden liebend gerne auch ihren Computer, der für ihre Klangwelt noch ganz andere Sphären ermöglicht.
AVIVA-Tipp: Instrumentalwelten, die aus dem Wunderland der cleveren Alice entsprungen sein könnten, aber ebenso als Soundtrack für die Gut und Böse-Kämpfe in Narnia bestens geeignet wären. Bezaubernd und erschreckend, mitreißend und beruhigend, tagträumerisch und visionär. Alles ist möglich beim meditativen Hineinfallen-Lassen in die Klanggewebe der hochkonzentriert ihre Ideen umsetzenden, dabei immer ein inneres und äußeres Lächeln mit sich tragenden vier jungen Damen, die ihre Inspirationen in der geheimnisvoll-endlosen Landschaft Islands finden.
Die Band im Web: www.myspace.com/amiina und www.amiina.com
Amiina
Kurr
Label: everrecords, K7, VÖ Juni 2007