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Beitrag vom 13.05.2007
Tori Amos – American Doll Posse
Tatjana Zilg
23 Songs auf einem einzigen Studioalbum. Ungewöhnlich, aber die piano-spielende Rock-Poetin wandelte noch nie auf herkömmlichen Pfaden. In fünf verschiedene Frauencharaktere ...
... angelehnt an die griechische Mythologie, schlüpfte sie beim Schreiben der Songs.
Von engen Grenzen hält sie seit ihrer Kindheit nicht viel. Schon gar nicht in dem Bereich, der ihr immer am liebsten war, dem kreativen Spiel mit der Musik. Mit zweieinhalb Jahren saß sie zum ersten Mal am Klavier, mit zehn Jahren musste sie das Konservatorium, das sie als Fünfjährige freudig aufgenommen hatte, wieder verlassen. Klassische Stücke nach eigenen Gefühlen zu interpretieren war bei den LehrerInnen dort nur ungern gesehen.
Jahrzehnte später ist die Welt begeistert von ihrem hohen Talent zum emotionalen Songwriting. Viele Fans sind ihr seit dem Solo-Debut „Little Earthquakes“ von 1992 treu. Und immer mehr kommen hinzu: Die für „American Doll Posse“ neu eingerichteten Blogs erfreuten sich innerhalb weniger Tage hoher Beliebtheit, Web 2.0 messbar an den zahlreichen Kommentaren und Friend Adds. 2003 belohnte sie ihre ZuhörerInnen mit der Compilation "Tales Of A Librarian" und ein Jahr später mit der Live-DVD "Welcome To Sunny Florida".
Die Idee, die während der ersten kreativen Brainstormings für das neunte Album an ihrem Börsendorfer-Flügel in einer Art Vision entstand, ist brillant und erlaubt die Entwicklung eines Gesamtkunstwerks, weit über den üblichen Rahmen eines Studioalbums hinausgehend. Vor ihrem geistigen Auge erblickte sie fünf unterschiedliche Persönlichkeiten. Jede mit eigenem Aussehen und ganz eigenem Stil.
Da wäre die scheu blickende Clyde, die an Persephone erinnert. Feinfühlig und empathisch, sich ihrer eigenen Verwundbarkeit bewusst, ist sie der Seele jedes Menschen zugewandt. Leicht idealistisch sieht sie in jedeR das Potential zum schöpferischen Sein. Auf Blogspot versammelt sie wunderschöne, ausdrucksstarke Kunstobjekte von Designerinnen und Malerinnen. Ihre Songs sind balladesk, aber auch von eindringlicher Energie. So entstammt die Single-Auskoppelung „Bouncing Off Clouds“ ihrer Feder. Isabel, eine moderne Verkörperung der Jagdgöttin Artemis, spricht direkter aus, was sie denkt und bevorzugt als Fotografin die realistische Dokumentation. Ihre politischen Ansichten sind deutlich und kompromisslos wie in dem direkt an den US-Präsidenten gerichteten „Yo George“ oder der Antikriegshymne „Dark Side of the Sun“. Von ihren Alltags-Beobachtungen erzählt sie in der Tagworld. Weniger rational, mehr feurig-kämpferisch packt Pip, in deren Innerem Athene vorherrscht, die Dinge an, die sie stören oder die sie bekommen möchte. Wie leicht zu entzündender Dynamit rockt sie auf „Teenage Hustling“ und „Fat Slut“ los. Die sanfte Seite ihrer Wildheit zeigt sie auf dem piano-dominierten „Velvet Revolution“. In der turbulenten Community Livejournal gibt sie in Poetry Slam Wortgefechten Einblicke in die gedankliche Fehde mit ihrem Vater, einem verstorbenen CIA-Agenten. Der Kontrast-Pol zu Pip ist die feinbesaitete, zart wirkende Isabel. Sie liebt Eleganz und Ästhetik, eine Begegnung mit ihr wäre auf Vernissagen und Theaterpremieren vorstellbar. An Aphrodite, der Göttin des Wachstums und Entstehens, der Liebe und der Leidenschaft, angelehnt widmet sie ihr Sein der Sinnlichkeit und sorgt für Ausgleich und Harmonie. Im Duett mit Pip verbindet sie in „Body And Soul“ forsch-ekstatische Pop-Töne mit sensiblen, reflektierenden Nuancen. Sehr stilvoll im dezenten Weiß gehalten gestaltet Santa ihren Myspace-Auftritt.
Wie in unterschiedlichen Philosophien, die sich mit der Zahl Fünf beschäftigen, werden die Charaktere durch Eine ergänzt, die Sinnbild für die Ganzheit ist. Die Songwriterin mit der Native American – Herkunft gestaltete auch eine Frauenpersönlichkeit, die sie nach sich selbst Tori nannte. In ihr fand sie Demeter und Dionysos. Sie steht zugleich für das Männliche und das Mütterliche. Die geschmeidig dahinfließende Ballade „Digital Ghost“ entspricht ihrem Esprit, aber auch das stürmische „Big Wheel“ und das dunkel-rockige „Posse Bonus“.
AVIVA-Tipp: Beim ersten Hineinhören könnten (Noch)-Nicht-Fans womöglich vom Umfang (Spieldauer 80 Minuten) leicht erschlagen sein, aber das Entdecken und die Suche nach persönlichen Favoriten, Widersprüchlichkeiten und Harmonien lohnt sich sehr. Zudem hat Tori Amos versprochen, dass auf ihrer Tour alle der fünf feminin-eigensinnigen Wesen erscheinen werden. Für Jede hat sie eigene Outfits entworfen. Sie entscheidet intuitiv an den Konzertorten, welche der fünf Rock-Ladies die jeweilige Bühne betritt.
Die Website von Tori Amos: www.toriamos.com/
Tori Amos
American Doll Posse
Label: Sony, VÖ April 2007