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AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 28.12.2007


Terezin – Theresienstadt
Annegret Oehme

Anne Sofie von Otter, Daniel Hope und Bengt Forsberg vertonten Werke aus dem Ghetto Theresienstadt, die einen Einblick geben in den Versuch der Verfolgten, dem Leid für kurze Zeit...




...durch die Musik zu entfliehen.


Wer heute nach Terezin kommt, findet sich in einem kleinen Städtchen, welches zwischen 1780 und 1790 zur Verstärkung der Österreichischen Befestigungsanlagen gebaut wurde. Zwischen Museen und Gedenktafeln leben Menschen, spielen Kinder und fahren Stadtbusse. Sie stellen den Versuch einer Normalität dar an einem Ort, von dem sie wohl immer gebannt sein wird.
Eichmanns "Musterghetto" sollte der Welt die "Normalität" eines "jüdischen Siedlungsgebietes" zwischen 1941 und 1945 vortäuschen und erhielt sogar Besuch von Gesandten des Internationalen Roten Kreuzes.

In der Realität herrschten in Theresienstadt katastrophale Zustände und viele Menschen starben bereits an Hunger oder Kälte, noch bevor sie in andere Vernichtungslager transportiert werden konnten.
Unter den Inhaftierten fanden sich auch zahlreiche KünstlerInnen, die Mittel fanden, ihren Lebensmut und –willen zu erhalten, nicht nur den eigenen, sondern auch den der anderen.
Im Rahmen dieser florierenden Kultur im Lager entstanden unzählige Lieder, Chansons und Instrumentalwerke.

Auf die Spur einiger KomponistInnen hat sich die beeindruckende Mezzosopranistin Anne Sofie von Otter bereits im Jahr 2000 mit einem Konzert im Rahmen des internationalen Holocaust-Forums in Stockholm begeben. Diese erste Begegnung hinterließ in der Sängerin einen tiefen Eindruck, der sie dazu bewegte einige dieser Werke auf CD aufzunehmen, was bei der Produzentin Marion Thiem auf großen Enthusiasmus stieß.
Weitere Unterstützung erhielten die beiden durch den Ausnahmeviolinisten Daniel Hope, welcher sich schon länger mit den Kompositionen des ins Vernichtungslager Wülzburg deportierten Erwin Schulhoff beschäftigte. Die Werke Erwin Schulhoffs werden in den letzten Jahren zunehmend wiederentdeckt und -aufgeführt.

Ebenfalls auf der CD finden sich drei Lieder Hans Krásas, von dem auch die bekannte Kinderoper Brundibar stammt. Weitere vertretene Komponisten sind Martin Roman, Carlo Sigmund Taube, Victor Ulmann und Pavel Haas.

Die Stücke reichen von Operettenschlagern, über Chansons, mit Themen und Texten von zum Teil bitterem Humor, einem Tango bis hin zu einer Violinensonate.

Mit gleich vier Kompositionen ist Ilse Weber vertreten. Ihre Werke knüpfen zum Teil an beste Schumannsche und Schubertsche Kunstliedtradition an. 1903 in Witkowitz geboren, schrieb sie bereits in ihrer Jugend Bücher, Theaterstücke und Geschichten für Kinder. Nach der Besetzung Ostraus durch die Deutschen siedelte Ilse Weber mit ihren Eltern nach Prag über, von wo aus sie 1942 gemeinsam mit ihrem Mann und dem jüngeren Sohn nach Theresienstadt deportiert wurde. Dem ältesten Sohn gelang es dank einer Hilfsaktion, nach England und von dort weiter nach Schweden zu entkommen. Ilse Weber arbeitete in Theresienstadt als Krankenschwester und schrieb mehr als 60 Gedichte, die große Verbreitung im Lager fanden und die Menschen ermutigten.
Einige ihrer Werke vertonte sie selbst und brachte sie mit der Gitarre bei der Nachtwache zu Gehör. Mit den Kindern der Krankenstation ging sie schließlich freiwillig in den Tod. Häftlinge bezeugten, dass sie den Kindern ihr Wiegenlied "Wiegala" noch in den Gaskammern sang.

AVIVA-Tipp: "Terezin - Theresienstadt" ist keine CD, die man sich nebenbei anhören kann, sondern ein sehr bewegendes Dokument für höchste Kulturschöpfungen, die die Nationalsozialisten auszulöschen versuchten. Mit jedem einzelnen der Werke sind zahlreiche Geschichten verknüpft und Anne Sofie von Otter und der Unterstützung ihrer KollegInnen ist es zu verdanken, dass ein paar wenige der Vergessenheit und dem Schweigen entrissen werden konnten.

Terezin – Theresienstadt
Anne Sofie von Otter, Daniel Hope, Bengt Forsberg

Deutsche Grammophon, erschienen August 2007
EAN 00289 477 6546

Weitere Informationen:
www.ghetto-theresienstadt.info
www.shoa.de


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Beitrag vom 28.12.2007

AVIVA-Redaktion