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AVIVA-BERLIN.de im Dezember 2024 - Beitrag vom 06.10.2010


Ayaan Hirsi Ali - Ich bin eine Nomadin. Mein Leben für die Freiheit der Frauen
Christina Boge

2010 scheint DAS Jahr der Integrationsdebatte zu werden. Auch Ayaan Hirsi Ali, Flüchtling, Politikerin und Feministin, leistet mit ihrem neuen Buch einen unverzichtbaren Beitrag zur Diskussion über...




... den Islam im Allgemeinen und muslimische MigrantInnen im Besonderen.

In "Ich bin eine Nomadin" beobachtet die wohl bekannteste Islamkritikerin der Welt das Leben muslimisch gläubiger Einwanderer und bewertet islamische Lebensformen von Westeuropa bis Nordamerika.

Ihr Fazit ist von Anfang an klar: Der Islam sei eine genuin "gestörte" und frauenverachtende Kultur, die es MuslimInnen überall im Okzident kaum möglich mache, sich erfolgreich in die Gesellschaft zu integrieren. Als Beweis dafür beschwört die somalische Autorin ihre bittere Kindheit und Jugend hervor, welche von Gewalt, Angst und zerstörerischem Traditionalismus im Namen des Islam geprägt war. Der Großteil dieses autobiographischen Teils, der fast die Hälfte des Buches ausmacht, ist allerdings bereits aus ihren vorherigen Werken bekannt. Auch wiederholt Ali innerhalb des Buches einzelne Feststellungen und Gedanken mehrmals, was die Leserin zuweilen irritieren mag.

Dafür bietet die Autorin ungekannte Einblicke in den Islam innerhalb der amerikanischen Gesellschaft, in welcher sie zurzeit lebt. So stellt sie etwa fest, dass Muslime in den USA zwar besser integriert seien als in Europa, aber auch eher zu gefährlichem Radikalismus neigten. Alis Buch gründet aber nicht nur auf bloßen Alltagsbeobachtungen, sondern erklärt auch explizit und nachvollziehbar, wie genau jugendliche Moslems radikalisiert werden.

Dabei beklagt sie, dass Religionsradikalismus im Westen einfach nicht erkannt werden will – wie so viele andere Probleme, die ihrer Meinung nach dem Islam geschuldet sind. Im Vordergrund steht für sie die Unterdrückung der Frau. Neben schon oft problematisierten Inhalten wie Ehrenmord, Beschneidung, Zwangsheirat oder generelle sexuelle Verfügbarkeit thematisiert Ali aber auch die Bedeutung der Verantwortung des Einzelnen, den Umgang mit Geld und das Gewaltpotenzial in der islamischen Gesellschaft.

So behauptet sie etwa, muslimische MigrantInnen wären einzig ihrer Blutslinie gegenüber loyal. Das westliche Modell der modernen Staatsbürgerschaft mit individueller Verantwortung und Verantwortung gegenüber dem Staat sei nicht mit dem Prinzip der Unterwerfung, wie es im Islam verankert ist, vereinbar. Daher führe die Alimentierung muslimischer MigrantInnen durch Sozialhilfe und gut gemeinte Kredithilfen allzu oft nur zu deren Verschuldung und Geldtransfers in die Ursprungsheimat. Folglich sei das Streben von MultikulturalistInnen nach Bewahrung der ImmigrantInnenkulturen von "Farbigen" eine "Garantie für soziales Scheitern".

Ein weiterer Vorwurf der Autorin an westliche BürgerInnen und PolitikerInnen: Die fundamentale Gewalttätigkeit des Islam würde verkannt, schließlich mache das Prinzip der Unterwerfung die Menschen naturgemäß hoch anfällig für repressiven Totalitarismus. Selbst so genannte "gemäßigte" Gläubige nähmen die Heilige Schrift als nicht hinterfragbar wahr – eine Alis Meinung nach große Gefahr und Hindernis für die Etablierung einer moderneren, freieren Lebensform im Islam.

Ali führt dabei nicht nur die Fehler des Islam als Integrationshindernisse vor Augen, sondern sie hat sich auch eine Menge Gedanken zu Lösungsmöglichkeiten gemacht. Ihr Ziel ist das "Öffnen des muslimischen Denkens" mithilfe einer genauen Textanalyse des Korans, welcher bisher zu unkritisch als Regelwerk des Lebens akzeptiert werde. Mit Werten der westlichen Aufklärung will Ali eine Aufklärungskampagne ermöglichen, die eine wissenschaftliche Herangehensweise und individuelle Überprüfung der Religion erlaubt. So könne man Gewaltpraktiken an Frauen und Radikalismus eliminieren. Dafür aber, so die Autorin, müsse der Westen endlich anfangen, Kritik an der Religion – und mittlerweile Kultur – Islam zu üben: "Wir müssen den relativistischen ´Respekt´ für nichtwestliche Religionen und Kulturen aufgeben, wenn Respekt nur ein Euphemismus für Beschwichtigung ist. Aber wir dürfen nicht bei der Kritik stehen bleiben. Wir müssen dringend eine alternative Botschaft anbieten, die dem Gebot der Unterwerfung überlegen ist."

Ayaan Hirsi Ali sieht den Islam an sich als grundlegendes Problem. Zwar interpretierten ihr zufolge die Menschen gewalttätige Passagen aus dem Koran um. Alis Meinung nach aber reicht dies nicht. Es müsse damit begonnen werden, das Glaubensbuch und die Aussagen darin kritisch zu hinterfragen. Dass die Autorin betont, es gebe keinen gemäßigten Islam, aber dafür plädiert, ist nicht unbedingt ein Widerspruch. Denn mit ihrem Buch versucht sie, Vorschläge für die Etablierung eines solchen zu liefern. Was sie will, ist nicht eine andere Auslegung, sondern eine "Reform der Religion" durch den Geist und die Wissenschaft.

AVIVA-Tipp: Verachtet, verfolgt, verstoßen: Ayaan Hirsi Alis biographischer Hintergrund, der in diesem Buch ausführlich beschrieben wird, ist vor allem für LeserInnen interessant, die ihre vorherigen Werke noch nicht kennen. Informativ und überzeugend ist dieses Buch aber auch für alle anderen, die nicht nur die derzeitige Diskussion über den Islam verfolgen wollen, sondern nach echten Lösungsansätzen für Integrationsprobleme suchen. KritikerInnen werfen Ali immer wieder vor, zu generalisieren und zu einem gefährlichen "Wettstreit der Religionen" anzuheizen. "Ich bin eine Nomadin" kommt dennoch nicht nur mit plakativen Thesen daher, sondern ist ein instruktives Plädoyer für die Vereinbarkeit von Glauben, Vernunft und Menschenrechten.

Zur Autorin: Ayaan Hirsi Ali wurde 1969 in Somalia geboren und floh 1992 in die Niederlande, um vor einer arrangierten Heirat zu fliehen. Seitdem sie als Autorin und Abgeordnete des niederländischen Parlaments für die Freiheit muslimischer Frauen kämpft, erhält sie Todesdrohungen islamischer Fundamentalisten aus allen Teilen der Welt. Inzwischen ist die "meistgefährdete Person der Niederlande" in die USA emigriert, wo sie für einen Think Tank tätig ist.

Ayaan Hirsi Ali
Ich bin eine Nomadin. Mein Leben für die Freiheit der Frauen

Piper, erschienen April 2010
Gebunden, 345 Seiten
ISBN 978-3492053754
19,95 Euro

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Beitrag vom 06.10.2010

AVIVA-Redaktion