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Beitrag vom 08.08.2018
Sagte sie - 17 Erzählungen über Sex und Macht. Herausgegeben von Lina Muzur
Isabel Rohner
Der vielschichtige Sammelband von Lina Muzur, stellvertretende Verlagsleiterin von Hanser Berlin und Teil des Redaktionskollektivs 10nach8 bei Zeit Online, zur #metoo-Debatte enthält Erzählungen von 17 zeitgenössischen Autorinnen von Nora Gomringer, Margarete Stokowski bis Helene Hegemann.
Ich gestehe es direkt zu Beginn: Vor der Lektüre von "Sagte sie" hatte ich Vorbehalte. Ein Sammelbandkonzept, das seinen Autorinnen den Auftrag gibt, sich dezidiert auch vor dem Hintergrund der #metoo-Debatte mit den Themen "Macht und Sex" auseinanderzusetzen? Das birgt die Gefahr, uninteressant zu werden, sollten die Autorinnen zu sehr in Richtung "Erlebnisliteratur" gehen. Warum? Weil Lesende zumeist wenig Spaß daran haben, das zu lesen, was sie eh schon kennen.
Seit ihrem Start im Oktober 2017 hat die #metoo-Debatte weltweit gesellschaftspolitische Bewegungen in Gang gesetzt: Millionen Frauen – und auch einige Männer – haben unter dem Hashtag #metoo ihre Erlebnisse mit Sexismus, sexuellen Übergriffen bis hin zu sexueller Gewalt geschildert und damit die fundamental unterschiedliche Lebenswirklichkeit von Männern und Frauen offengelegt. Auch wenn der Hashtag selbstverständlich gerade mal ein Zipfelchen des tatsächlichen Ausmaßes von Übergriffen und Machtmissbrauch sichtbar gemacht hat, wurde deutlich: Für Frauen gehören Übergriffe weltweit zum Alltag. Dass so viele Männer hierüber tatsächlich erstaunt waren, erstaunte wiederum viele Frauen. Auch mich.
Mir ist keine einzige Frau bekannt, die noch nie Erfahrungen mit Sexismus oder sexuellen Übergriffen gemacht hat. Keine einzige. Ich kenne so viele Geschichten und Schilderungen von schrecklichen Erlebnissen, dass für mich schon vor der Lektüre von "Sagte sie" klar war: Das Besondere an einem Sammelband zu diesem Thema kann nicht im Inhalt, sondern muss in der literarischen Form, in der literarischen Auseinandersetzung liegen. In Erzählungen jenseits des konventionellen Erzählens.
Zugegeben: Diesen Anspruch haben nicht alle 17 Autorinnen erfüllt. Aber viele dafür umso mehr: Viele Beiträge in diesem Sammelband finden für das Thema ihre ganz eigene Sprache, ihre eigene Ästhetik – und schaffen gerade dadurch eindrucksvolle Texte:
Da ist beispielsweise Antonia Baum, die in "Setzen Sie sich!" für den Monolog ihrer Protagonistin das Setting einer inneren Gerichtsverhandlung wählt, in die sich die verschiedenen Seiten ihres Ichs lautstark und immer wieder einmischen.
Oder Annett Gröschner mit "Maria im Schnee" – der einzige Text, der bereits 1988 erschienen ist und damals in der DDR heftige Kontroversen auslöste, da Gröschner es wagte, eine Vergewaltigung in Moskau zu schildern. Die Autorin schafft in ihrer dichten, nur vier Seiten langen Erzählung eine beklemmende Atmosphäre, kalt wie Schnee.
Die Lyrikerin Nora Gomringer wiederum verbindet in "Das haben sie nicht gesagt – Monologe aus dem Dazwischen" gleich mehrere Erzählfragmente, deren Gehalt gerade in den Lücken, im Nichtgesagten liegt – und in der manchmal kunstvoll irre geleiteten Erwartungshaltung der Lesenden.
Oder Helene Hegemann, die mit ihrer Kurzgeschichte "The Day I Fucked Her Husband At The Lake" beweist, dass sie eine der spannendsten, weil eigenwilligsten zeitgenössischen Literatinnen ist – und dafür keinerlei lästige Themenvorgabe braucht.
AVIVA-Tipp: Herausgeberin Lina Muzur legt mit diesem Buch, eine vielfältige, lesenswerte Textsammlung vor. Der Titel "Sagte sie" ist dabei eine Anspielung auf die englische Redewendung "he-said-she-said", mit der ein Ereignis umschrieben werden kann, das von den Beteiligten völlig unterschiedlich geschildert wird. "Sagte sie" zeigt: Die deutschsprachige Literaturszene hat gerade echt was zu bieten. Auch dank vieler spannender Autorinnen.
Mit Beiträgen von:
Fatma Aydemir, Antonia Baum, Kristine Bilkau, Heike-Melba Fendel, Nora Gomringer, Annett Gröschner, Anna-Katharina Hahn, Helene Hegemann, Margarita Iov, Mercedes Lauenstein, Juliane Liebert, Anna Prizkau, Annika Reich, Anke Stelling, Margarete Stokowski, Jackie Thomae, Julia Wolf.
Zur Herausgeberin: Lina Muzur, wurde 1980 in Sarajevo (Bosnien Herzegowina) geboren. Die stellvertretende Verlagsleiterin von Hanser Berlin ist Teil des Redaktionskollektivs 10nach8 bei Zeit Online, wo sie selbst Kolumnen schreibt.
Mehr Infos: www.zeit.de/10nach8
Lina Muzur (Hrsg.)
Sagte sie. 17 Erzählungen über Sex und Macht
Hanser Berlin, erschienen 23. Juli 2018
224 Seiten. Gebunden
20 Euro.
ISBN 978-3-446-26074-0
Mehr Infos zum Buch sowie Lesungstermine unter: www.hanser-literaturverlage.de
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