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Beitrag vom 08.08.2018
Emilia Smechowski - Wir Strebermigranten
Helga Egetenmeier
Emilia Smechowski, erfolgreiche Journalistin und Autorin greift mit ihrem Debüt überzeugend in die aktuelle Migrationsdebatte ein. Sie kritisiert die pauschalen Zuschreibungen, anhand derer das Schicksal geflüchteter Menschen verhandelt wird. Selbst als Kind mit ihrer Familie aus Polen nach Deutschland migriert, beschreibt sie ihren persönlichen Lebensweg in eine ungewisse Zukunft und hinterfragt dabei auch das Menschenbild in der gegenwärtigen Diskussion.
Auf der Suche nach einem besseren Leben für sich und ihre Kinder flüchteten die Eltern von Emilia Smechowski 1988, kurz vor dem Mauerfall und als Urlauber*innen getarnt, aus der Nähe von Danzig nach Westberlin. Mit einem politischen Blick und humorvoller Selbstreflektion beschreibt die Autorin in ihrem Buch ihren Lebensweg vom Kind zur Erwachsenen in einem Land, dessen Sprache langsam auch die ihre wurde.
Migration und Integration
Nach der Ankunft in Deutschland wollten Emilias Eltern baldmöglichst nicht mehr als Migrant*innen auffallen, sondern sich schnell eine gute gesellschaftliche Position erarbeiten. Dazu schien es ihnen nötig, innerhalb kurzer Zeit die polnische Sprache abzulegen. Die Autorin erinnert sich deshalb an ihre erste Zeit im neuen Land als eine Zeit der aufgezwungenen Stummheit um die Vergangenheit endgültig zu verdrängen und sich nahtlos in die neue Umgebung einzufügen.
"Es gibt kein Volk, das zahlreicher nach Deutschland einwandert, als wir Polen es tun. Seit Jahrzehnten schon. Nur: Als Migranten sieht man uns kaum. Jedenfalls diejenigen nicht, die in den achtziger und neunziger Jahren kamen - und das sind mit Abstand die meisten. Wir sind unsichtbar. Wir sind quasi gar nicht mehr da, so gut gliedern wir uns ein."
Die Autorin schreibt gegen die erdrückende Vorstellung an, ein Mensch sei erst in einem Land angekommen, wenn er nicht mehr als Einwander*in zu erkennen ist. Früher sah sie sich selbst als Migrantin, die ihre Herkunft versteckt, doch dieses Gefühl des Sich-Schämens habe sie nun abgelegt. Auch deshalb spricht sie heute mit ihrer Tochter polnisch, kann jedoch die Motivation ihrer Eltern nachvollziehen, die für die Familie ein finanziell abgesichertes bürgerliches Leben anstrebten. Sie kamen, wie die meisten Pol*innen in den 1980er Jahren, als Wirtschaftsflüchtlinge nach Westdeutschland. Wie Smechowski findet, ein weltweit legitimer Grund für Migration: "Das eint wohl alle Eltern, die vor Krieg, Armut, Hunger, vor fehlenden Perspektiven fliehen, damals wie heute: Sie wollen für ihre Kinder ein besseres Leben".
Krieg, Politik und polnische Migration nach Deutschland
Zwischen 1772 und 1795 kam durch eine Grenzverschiebung ein Anteil von 18,7 Prozent des polnischen Territoriums mit ihren Einwohner*innen zum Land Preußen. Im Zweiten Weltkrieg nötigten die Nationalsozialisten 2,8 Millionen polnische Zwangsarbeitskräfte zur Arbeit im "Deutschen Reich" und nach der Annektion des Landes teilten sie die Bevölkerung in Gruppen mit unterschiedlichen Rechten. Diejenigen, die in die sogenannte "Deutsche Volksliste" aufgenommen wurden, erhielten die deutsche Staatsangehörigkeit bzw. ein späteres Anrecht auf sie. Diejenigen, die nicht aufgenommen wurden, hatten während des Krieges aufgrund von Repressalien und Deportationen kaum eine Überlebenschance.
Smechowski beschreibt, wie sie erst lange Zeit nach ihrer Migration von diesem Tabu-Thema erfuhr, dass ihr Urgroßvater - wie bis 1942 über drei Millionen männliche Polen, die mit den Deutschen kollaborierten - die "Deutsche Volksliste" unterschrieben hatte. Dadurch erhielt ihre Familie das Recht, als sogenannte "Aussiedler" nach Deutschland zu migrieren. Unter "Aussiedler" wurde bis Ende 1992 im amtlich-deutschen Sprachgebrauch ein "Zuwanderer deutscher Abstammung" verstanden, die meisten davon kamen bis Ende der 1980er Jahre aus Polen und Rumänien.
Als Frau mit polnischem Migrationshintergrund und als kritische Journalistin greift die Autorin immer wieder die Frage nach der Bedeutung der nationalen Identität des Herkunftsortes für die Migration auf. In ihrer Selbstwahrnehmung war sie nach kurzer Zeit für ihre Mitmenschen nicht mehr als Geflüchtete erkennbar und wurde deshalb nicht ausgegrenzt. In der heutigen Migrationsdebatte sieht sie die Gefahr eines wachsenden Rassismus anstatt der Zunahme von Mitmenschlichkeit in einer globalisierten Welt.
AVIVA-Tipp: Emilia Smechowski schreibt engagiert gegen eine empathiearme Migrationsdebatte an, die die dazugehörigen Menschen mit ihren Schicksalen ignoriert. Entlang ihrer Biografie und Erfahrungen reflektiert sie selbstkritisch, eingängig und humorvoll, wie wichtig es ist, sich Rassismus und Ausgrenzung zu widersetzen.
Zur Autorin: Emilia Smechowski, 1983 in der Nähe von Danzig geboren, migrierte mit ihrer Familie 1988 nach Westberlin, studierte Operngesang und Romanistik in Berlin und Rom und entschied sich dann, als Journalistin zu arbeiten. Sie war Redakteurin der tageszeitung, arbeitet heute als freie Autorin und Reporterin u.a. für Geo, Süddeutsche Zeitung und Die Zeit. Für ihren in der taz erschienen Essay "Ich bin wer, den du nicht siehst" über die große und zugleich kaum wahrgenommene Einwanderungsgruppe aus Polen wurde sie 2015 mit dem Deutschen Reporterpreis, 2016 mit dem Konrad-Duden-Journalistenpreis und dem Deutsch-Polnischen Tadeusz-Mazowiecki-Journalistenpreis ausgezeichnet.
Emilia Smechowski im Netz: twitter.com/emilia_owski
Emilia Smechowski
Wir Strebermigranten
Hanser Berlin, erschienen Juli 2017
Hardcover, gebunden mit Schutzumschlag, 224 Seiten
ISBN-13: 978-3-446-25683-5
22,00 Euro
Mehr Infos zum Buch unter: www.hanser-literaturverlage.de
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Weitere Informationen unter:
www.reporterforum.de
PDF-Dokument des im Mai 2015 in der taz erschienen Essays "Ich bin wer, den du nicht siehst", für den Emilia Smechowski mit mehreren Preisen ausgezeichnet wurde.