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AVIVA-BERLIN.de im Dezember 2024 - Beitrag vom 22.03.2018


The Green Lie - Die grüne Lüge. Buch Kathrin Hartmann, Dokumentarfilm Werner Boote unter Beteiligung von Kathrin Hartmann, Kinostart: 22. März 2018
Helga Egetenmeier

Dem Greenwashing der großen Konzerne, die Nachhaltigkeit versprechen und dabei Menschenrechte verletzen, gehen Autorin Kathrin Hartmann und Regisseur Werner Boote gemeinsam auf den Grund. Der Dokumentarfilm über falsche Produktversprechen und untätige Politiker*innen hatte auf der 68. Berlinale seine Welturaufführung. Inhaltlich...




... ergänzt das im Februar 2018 im Blessing-Verlag erschienene gleichnamige Buch die im Film vorgestellten Beispiele. Damit belegen Hartmann und Boote eine erschreckende Ignoranz und Arroganz von Manager*innen und Politiker*innen gegenüber den internationalen Menschenrechten.

Nachhaltig produzierte Lebensmittel und faire Produkte versprechen ein umweltfreundliches Einkaufen, durch das wir zudem die Welt retten könnten. Dass diese, mit einer Vielzahl an Zertifikaten und Biosiegeln ausgezeichneten Waren nur knallharte Marketing-Strategien sind, um dem Profit der Konzerne zu dienen, zeigen Kathrin Hartmann und Werner Boote durch ihre ausführlichen, weltweiten Recherchen.

Kathrin Hartmann und Werner Boote

Kathrin Hartmann und Werner Boote gelten als Koryphäen in ihren Sachgebieten und so lernten sie sich im Rahmen einer Diskussionssendung zu Bootes erfolgreichem Dokumentarfilm "Plastic Planet" (2009) kennen. Dabei kam ihm die Idee, "mit DER Expertin in Sachen Greenwashing" einen Film zu machen. Als Sachbuchautorin setzt sich Kathrin Hartmann bereits seit ihrem ersten Buch, dem 2009 erschienenen "Ende der Märchenstunde", mit den Mechanismen zwischen Ökologie, Ökonomie und Menschenrechten auseinander.

Die dokumentarische Form: Unterwegs als Good Cop und Bad Cop

Für seine dokumentarische Erzählform wählte Boote ein Rollenspiel zwischen Kathrin Hartmann und sich. So macht sich die kluge und kritische Expertin als Bad Cop mit dem neugierigen Hedonisten, dem Good Cop, auf den Weg, dem Schlagwort "Nachhaltigkeit" den Begriff "Greenwashing" gegenüber zu stellen. Durch diesen personalisierten Zwiespalt greift der Film die Unsicherheiten von Konsument*innen auf und diskutiert sich widersprechende Aspekte. Und so beginnt der Film mit einer Auseinandersetzung zwischen Hartmann und Boote in einem österreichischen Supermarkt um die ausgesuchten Artikel. Was er freudig in den Wagen legt, wird von ihr bemängelt: Achte auf die unterschiedlichen Siegel auf den Verpackungen! Weißt du denn, was die Angaben der Inhaltsstoffe aussagen?

Eine auffallende Gemeinsamkeit in der Darstellungsform zwischen dem Dokumentarfilm und dem Buch ist die häufige Verwendung der Begrifflichkeit "grüne Lügen". In dieser Direktheit immer wieder auf die Marketingstrategien des "greenwashing" - der profitgeleiteten Falschaussagen über Produkte - hingewiesen zu werden, fand ich irritierend. Doch mir wurde dadurch auch klar, wie oft diese "Lügen" den westlichen Alltag schön reden.

Weltweite Auswirkungen des Betrugs mit der Nachhaltigkeit

Ihre Reise um den Globus führten den Filmemacher und die Autorin nach Indonesien zu den Palmöl-Monokulturen, in die USA zu den Nachwirkungen der Erdölkatastrophe im Golf von Mexiko, nach Deutschland zu RWEs Tagebau in Garzweiler und nach Brasilien, wo Großgrundbesitzer für ihre Fleischexporte den Dschungel vernichten und Indigene vertreiben. Vor der Kamera, wie auch im Buch (die Datenrecherche ist dort ausführlich dargestellt), kommen die Verantwortlichen der Konzerne, wie auch die von Vertreibung, Armut und Krankheit Betroffenen zu Wort.

Dass die Verantwortlichen für die gewinnorientierten Entscheidungen in den Unternehmen sitzen und die Politiker*innen die dazu passend Gesetze schmieden, daran lässt weder der Film noch das Buch Zweifel aufkommen. Nur damit der Profit stimmt, werden Menschenrechte bewusst verletzt und weltweit Tote durch miserable Arbeitsbedingungen, sowie Umweltverschmutzung und Klimazerstörung in Kauf genommen. Im Buch führt Hartmann das Ausmaß der Schwierigkeiten aus, die es bei der Suche nach Interviewpartner*innen bei den Unternehmen gab. So hätten sie im Film auch gern über die Mode aus Meeresplastik berichtet, doch aus der Branche erklärte sich niemand dazu bereit.

"Mit dem Versprechen, sich selbst um die Probleme zu kümmern, die sie verursachen, halten sie sich die Politik vom Hals, die den Profit durch Auflagen und Gesetze einschränken könnte." So bringt es Kathrin Hartmann in ihrem Buch "Die grüne Lüge. Weltrettung als profitables Geschäftsmodell" auf den Punkt: Die Unternehmen nutzen das Verantwortungsgefühl westlicher Kund*innen für die Ausbeutung der Menschen im Süden aus und verkaufen scheinbar ökologischen Produkten ein gutes Gewissen. Den Konsument*innen wird über ihre Kaufentscheidung eine Solidarität mit den Herstellenden suggeriert, die nur durch das Marketing der Unternehmen existiert.

Hier wird die gute Recherche und der empathische Ansatz von Kathrin Hartmann und Werner Boote deutlich. Sie benennen Organisationszusammenschlüsse und deren ökologisch-fragwürdige Selbstverpflichtungen, sowie Gesetzesentwürfe und deren Bearbeitung durch Lobbyist*innen. Damit verhindern Unternehmen in der Bundesrepublik Deutschland bis heute, dass sie sich vor Gericht für Menschenrechtsverletzungen außerhalb der Grenzen Deutschlands verantworten müssen. Aktuell greift diesen Aspekt das Kunstkollektiv "Peng!" mit der Initiative "deutschlandgehtklauen" auf.

Hartmann und Boote zeigen auch, wie leicht es ist, das Siegel der Nachhaltigkeit für das Produkt Palmöl zu erhalten. Dafür reicht allein die unternehmerische Selbstverpflichtung, keine Brandrodung zum Gewinn neuer Flächen vorzunehmen, es werdenkeine Kontrollen durchgeführt und keine Nachweise sind vorzulegen. Ein weiteres beeindruckendes Beispiel für einen bitteren "Marketing-Gag" bzw. eine "grüne Lüge" zeigt ein Auszug aus der Ansprache des RWE-Vorstands Peter Terium bei der Hauptaktionärsversammlung im April 2016, bei der Hartmann und Boote im Publikum saßen: "Meine Damen und Herren, RWE ist schon heute grüner, als viele denken...".
Drei der fünf Braunkohlekraftwerke, die europaweit am meisten CO2 ausstoßen, gehören RWE.

Solidarität ist eine Waffe - den Schneeball am Rollen halten

In den USA traf das Team neben dem Wirtschaftstheoretiker und Mitbegründer der Anti-Globalisierungsbewegung Raj Patel auch den fast 90-jährigen Noam Chomsky, einen linken Wissenschaftler und emeritierten Professor am MIT. Beide sind sich darin einig, dass nur ein Systemwechsel die Orientierung am Profit mit seiner Ignoranz der Menschenrechte überflüssig machen würde.. Dafür braucht es laut Patel eine starke Zivilgesellschaft. Chomsky spricht sich für ein Gemeinwohl für Alle statt Gewinn für Wenige aus.

Lehrerin und Aktivistin Sonia Bone Guajajara, Sprecherin der Bewegung der Indigenen Brasiliens erzählt von den beschwerlichen Kämpfen gegen die Fleischindustrie und die Großgrundbesitzer*innen. Sie ist zu einer Versammlung von zwei Stämmen eingeladen, um zu beraten, wie sie das Land zurückholen können, das ihnen verfassungsmäßig zusteht. Damit endet der Film bei einer großen solidarischen Gemeinschaft an Widerständigen, die durch ihren Kampfgeist und ihre Lebensfreude dem Film einen optimistischen Abschluss geben.

AVIVA-Tipp: Film wie Buch gelingt es detailreich und sorgfältig die "grünen Lügen" der Konzerne aufzudecken und damit an die Solidarität der Konsument*innen zu appellieren. Trotz der brutalen Realitäten heben Hartmann und Boote nicht den moralischen Zeigefinger, sondern belegen, wem die Empörung gelten muss: den Manager*innen und Politiker*innen, die die Menschenrechte verletzen und unser Ökosystem zerstören. Und sie zeigen auch, dass es notwendig sein wird, sich noch auf längere Zeit den "grünen Lügen" gemeinsam zu erwehren.

Zur Autorin: Kathrin Hartmann, 1972 in Ulm geboren, studierte Kunstgeschichte, Philosophie und Skandinavistik in Frankfurt/Main. Nach einem Volontariat bei der Frankfurter Rundschau arbeitete sie dort als Redakteurin für Nachrichten und Politik und von 2006 bis 2009 als Redakteurin bei Neon. Mit "Ende der Märchenstunde" erschien 2009 ihr erstes Buch über die Vereinnahmung der Lifestyle-Ökos durch die Industrie, 2012 folgte mit "Wir müssen leider draußen bleiben. Die neue Armut in der Konsumgesellschaft" ihr zweites Buch. In "Aus kontrolliertem Raubbau. Wie Politik und Wirtschaft das Klima anheizen, Natur vernichten und Armut produzieren" von 2015, greift sie ebenfalls die Themen Ökonomie, Ökologie und Armut auf, die in ihrem neuesten Buch "Die grüne Lüge. Weltrettung als profitables Geschäftsmodell", 2018, gleichfalls ihre Auseinandersetzung bestimmen.
Sie erhielt 2016 den Siegfried-Pater-Preis, der publizistische Projekte fördert, die das Ziel haben investigativ und/oder partizipativ Sprachrohr für mehr Gerechtigkeit zu sein.
Die Autorin im Netz:
Kathrin Hartmann bei facebook
Der Blog von Kathrin Hartmann: www.ende-der-maerchenstunde.de

Zum Regisseur: Werner Boote, geboren 1965 in Wien, fing als Kabelhalter beim ORF an und studierte Theaterwissenschaft, Publizistik und Soziologie an der Universität Wien sowie an der Filmakademie. Seit 1993 macht er, eigene Filme, bereits sein erster, "Austria of Contrasts", gewann zahlreiche Preise bei internationalen Festivals. Es folgten mehrere preisgekrönte Industriefilme, die darauf folgenden Filme richteten sich zunehmend auf sozialpolitische und gesellschaftskritische Themen. 2009 startete "Plastic Planet" in den österreichischen Kinos und wurde in über 80 Ländern gezeigt, er zählt mittlerweile zu den erfolgreichsten Dokumentarfilmen überhaupt und gewann, neben weiteren Auszeichnungen, die "Goldene Romy" in der Kategorie "Bester Kinodokumentarfilm". Für "Population Boom" (2013), der mit dem Vorurteil der Überbevölkerung aufräumt, erhielt er den "Green Me-Award" für den besten grünen Dokumentarfilm. 2015 erschien "Alles unter Kontrolle" über die erschreckende Selbstverständlichkeit der Überwachung.
Der Regisseur im Netz:
www.wernerboote.com

Der Dokumentarfilm:



Die grüne Lüge

Originaltitel: The Green Lie
Österreich, Deutschland, Brasilien, Indonesien, USA 2018
FSK: ab 0
Regie: Werner Boote
Drehbuch: Werner Boote, Kathrin Hartmann
Recherche: Daniela Kretschy, Thomas Köttner, Myriam Loukili
Mit: Kathrin Hartmann, Noam Chomsky, Raj Patel, Sonja Guajajara, u.a.
Verleih: Little Dream Entertainment
Lauflänge: 97 Minuten
Kinostart: 22.03.2018
www.thegreenlie.at

Das Buch:



Kathrin Hartmann
Die grüne Lüge. Weltrettung als profitables Geschäftsmodell

Blessing Verlag, erschienen Februar 2018
Paperback, Klappenbroschur, 240 Seiten
ISBN-13: 978-3896676092
15,00 Euro
Mehr zum Buch unter: www.randomhouse.de

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Deutschland scheint es gut zu gehen: die Arbeitslosenquote sinkt, die Wirtschaft wächst - aber auch die Schere zwischen Arm und Reich vergrößert sich, während die Mittelschicht schrumpft und immer weniger Menschen von ihrer Arbeit leben können. In genauen Analysen beschreiben die zwei Autorinnen, wie hierzulande und weltweit nach dem neoliberalen Motto "Jeder Mensch ist seines Glückes Schmied" die soziale Verantwortung der Armutsbekämpfung auf den Einzelnen abgegeben wird und wie einige wenige davon profitieren. (2012)

Weitere Informationen finden Sie unter:

www.wernerboote.com
Auf der Webseite von Werner Boote befinden sich unter der Rubrik "Schulveranstaltungen" Materialien für die Einsetzung des Films in der Schule. Die Jugendmedienkommission empfiehlt "Die grüne Lüge" als "besonders wertvoll", "ab 0 Jahren = uneingeschränkt" und "Empfehlenswert als Diskussionsfilm ab 10 Jahren". Auch für seine vorherigen Filme liegen Schulmaterialien bereit.

www.deutschlandgehtklauen.de
Das Kunstkollektiv "Peng!" steckt hinter dieser Kampagne, mit der es dazu aufruft, bei den Supermarktketten Lidl, Edeka, Aldi und Rewe bestimmte Gegenstände zu stehlen und das Geld dafür direkt an die Erzeuger zu bezahlen. Den Grund für ihre Kampagne benennt das Kollektiv so: "Unsere Forderung ist eine gesetzliche Regelung für Menschenrechtliche Sorgfaltspflicht, damit Unternehmen in Deutschland für Menschenrechtsverletzungen verklagt werden können. Ohne sie werden täglich in den Lieferketten und in den Supermärkten Menschenrechte verhandelt. Aber Menschenrechte sind per se nicht verhandelbar!"

www.chomsky.info
Webseite von Noam Chomsky, emeritierter Professor für Linguistik am Massachusetts Institute of Technology (MIT) und weltweit führender Kapitalismuskritiker

www.general-assembly.net
Kathrin Hartmann ist Abgeordnete der Generalversammlung, die durch die Organisation von Milo Rau und dem International Institute of Political Murder vom 3.-5. November 2017 in der Berliner Schaubühne tagte. In fünf Plenarsitzungen fragten die Abgeordneten, wo wir als Weltgemeinschaft stehen und was zu tun ist - sozial, ökologisch, technologisch, politisch.

www.oxfam.de
Unter dem Titel "Acht Männer besitzen so viel, wie die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung" benennt Oxfam acht Milliardäre, die 2016 mit 426,2 Mill US-$ genauso viel Geld besaßen, wie die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung mit 409,1 Mill. US-$.

www.ci-romero.de
Die Christliche Initiative Romero wirft in diesem PDF-Dokument dem TÜV-Rheinland vor, Prüfstandards zu vernachlässigen, sie bezeichnet die millionenschweren Firmenkontrollen als wenig aussagekräftig und gibt ihnen die Bedeutung eines "modernen Ablasshandels". Der TÜV-Rheinland ist ein gutes Beispiel dafür, wie ein privates Unternehmen durch seine Prüfsiegel Konzerne aus ihrer Verantwortung für abhängig Beschäftigte und die Qualität ihrer Produkte befreit. (Siehe auch Katrin Hartmann in ihrem Buch.)



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Beitrag vom 22.03.2018

Helga Egetenmeier