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Beitrag vom 03.01.2008
Rita Süssmuth, Dennoch. Der Mensch geht vor
Anna Tremper
Eine der ersten ganz großen Frauen in der deutschen Politik meldet sich zu Wort - die ehemalige Familienministerin fordert in ihrem neuesten Werk eine Politik, die vom Menschen her denkt
"Ich vertraue darauf, dass zukünftig der Wert des einzelnen Menschen in unserer Gesellschaft nicht mehr nach einseitigen Kriterien wie hohem Bildungsabschluss oder gar finanzieller Leistungsfähigkeit bemessen wird"
Darum geht es in diesem Buch, eine Hinwendung zum Menschen soll vollzogen werden - im Kleinen, wie im Großen. In erster Linie ist es ihr Anliegen, deutlich zu machen, dass wir uns mit den gegebenen gesellschaftlichen und politischen Zuständen nicht abfinden müssen. Es ist an uns, die Dinge auf den Weg bringen. So ist dann auch das "dennoch" die zentrale Aussage ihres Buches. "Dennoch" ist für Frau Süssmuth ein Wort, das nach Einspruch und Widerspruch klingt, es deutet eine Weigerung an, sich mit den Zuständen abzufinden.
In ihrem Buch offeriert sie Leitlinien für den Ausgang aus dem ohnmächtigen Verharren, dass sie der Bevölkerung attestiert, hin zu einem Verhalten des "dennoch". Angesichts der aktuellen gesellschaftlichen Probleme und deren Negativpotential für die Zukunft sieht sie Handlungsbedarf. So macht Rita Süssmuth Friedrich Hölderlins Ausspruch "Nicht verharren, sondern aufbrechen." zur Maxime ihrer Gesellschaftsvision. Dabei soll das Buch aber keine wissenschaftliche Abhandlung liefern, sondern lediglich persönliche Reflexionen zu gesellschaftlichen Missständen vorstellen.
Thematisch liefert sie einen gesellschaftlichen Rundumschlag. Von der Bildungsproblematik über die hohen Arbeitslosenzahlen bis hin zur viel beschrienen Politikverdrossenheit untersucht sie die Ursachen dieser Probleme und liefert mögliche Lösungsansätze. Dabei bleibt der Fokus immer auf den Menschen gerichtet. Ein zentrales Thema, dass sie auch während ihrer politischen Karriere stets begleitet hat, ist die Integration von MigrantInnen. Diese stellt sie als bedeutsam heraus, angesichts des kontinuierlich fortschreitenden Globalisierungsprozesses und der damit einhergehenden Zunahme von Migrationprozessen. Durch bessere Integration, so Rita Süssmuth, soll ein friedliches und produktives Miteinander gestaltet werden.
Mit der Desintegration greift sie ein weiteres Gesellschaftsproblem auf. Als Betroffene dieser Tendenz werden Frauen, ältere Menschen und Ausländer benannt. Frauen würde der Wiedereinstieg in den Beruf nach einer Schwangerschaft unnötig schwer gemacht, ältere Menschen würden in der Öffentlichkeit nur noch als Kostenfaktor vorgeführt und ImmigrantInnen hätten ohnehin einen schlechten Ruf. Interesse und Aufklärung sollen gegen die Tendenz zur Ausgrenzung helfen. Rita Süssmuth will Verständnis schaffen, um Desintegration vorzubeugen.
Mit "Dennoch: Der Mensch geht vor" ist ein Aufruf zu mehr Wertschätzung für sich selbst und andere entstanden. Der humanistische Grundgedanke zieht sich durch jedes Kapitel. Das Schöne an diesem Buch ist, dass solche Ideen bei Frau Süssmuth nicht wie gehaltlose Platituden daherkommen, sondern vor dem Hintergrund ihres bisherigen politischen Agierens glaubhaft wirken.
Zur Autorin: Prof. Dr. Rita Süssmuth wurde 1937 in Wuppertal geboren. Sie studierte Romanistik und Geschichte an den Universitäten Münster, Tübingen und Paris. In Erziehungswissenschaften, Soziologie und Psychologie absolvierte sie ein Postgraduiertenstudium - 1964 promovierte sie zum Dr. phil. Von 1985 bis 1988 war sie Familienministerin. Sie ist die erste Ministerin, die das Ressort Frauen auf Bundesebene zugeteilt bekam. Es folgten weitere 10 Jahre als Präsidentin des Deutschen Bundestages. Von 1986 bis 2002 hatte sie den Vorsitz der CDU Frauenvereinigung (später Frauen Union) inne. Heute bekleidet sie zahlreiche öffentliche Ämter.
Weitere Informationen zu Rita Süssmuth finden Sie unter: www.rita-suessmuth.de
AVIVA-Tipp: Rita Süssmuth weist in "Dennoch: Der Mensch geht vor" auf die gesellschaftlichen Missstände in Deutschland hin und macht klar, dass diese zwar vorhanden sind, aber nicht untätig erlitten werden müssen. Rita Süssmuth fordert eine Kultur der Entwicklung und lässt durch ihr Buch ein wenig "Packen-Wir´s-An-Stimmung" aufkommen, auch wenn der tatsächlichen Umsetzung ihrer Gesellschaftsvision etwas Utopisches anhaftet.
Dennoch: Der Mensch geht vor
Für eine Umkehr in Politik und Gesellschaft
Rita Süssmuth
Gütersloher Verlagshaus, erschienen 2007
Hardcover, 192 Seiten
ISBN: 978-3-579-06451-2
19,95 Euro