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Beitrag vom 05.04.2011
Friederike Mayröcker - vom Umhalsen der Sperlingswand, oder 1 Schumannwahnsinn
Sonja Baude
Die große Wiener Meisterin setzt abermals kraft ihrer Sprachvirtuosität eine neue Welt in die Welt. Ihre unnachahmliche Prosa hält das Leben, die Liebe und den Tod in einer spannungsreichen Schwebe.
"ach! die Waage zu finden zwischen den Lustgärten der Sprache und den Schluchten der Sprache oder Schluchzen der Sprache auch Ginsterwald." Dieser Satz könnte eine mögliche Annäherung an das Schreiben, an die Form der großen Wortkünstlerin Friederike Mayröcker sein. Das Gewicht der Wörter lotet sie auch in ihrem neuen, nur wenige Seiten umfassenden, Prosawerk aus. Chimären und Aussparungen werden ebenso sichtbar wie die "speichelnasse Manschette um den Schneeglöckchenstrausz" im Frühling.
Mayröcker schreibt sich ein in die Welt von Clara und Robert Schumann und der Titel kündigt es an, wir treiben hinein in einen Wahnsinn, auch einen Liebeswahnsinn, angeführt von der Inspiration der Dichterin. Das Sichtbare und das Nichtsichtbare werden immer gleichberechtigt wahrgenommen, das eine ist ohne das andere nicht denkbar. Es ist ein poetischer Assoziationsreigen, den sie uns vorführt und mit dem sie verführt. Die Tanzenden darin sind das MusikerInnenpaar Schumann und das SchriftstellerInnenpaar Mayröcker und Jandl. Es wäre kaum hilfreich, eine logische Narration suchen zu wollen. Vielmehr lädt uns die Dichterin ein, ihr zu folgen in eine Welt, in der neue Zeit- und Raumverhältnisse geschaffen werden: Wir befinden uns in einem Traum, in einer komponierten Traumklarheit, fern der Vernunft.
Tod und Leben schließen bei Mayröcker ein wundersames Bündnis, das bei ihr so klingen kann: "dasz ich mich letzten Endes VERDUFTE mit den 1. Magnolien dieses Frühlings, so der Komponist". Sie singt auch ein romantisches Lied auf die Welt als Ganzes, so als atmete sie sie ganz ein. Jaques Derrida ist, wie so oft, ein wichtiger Begleiter und Ratgeber im Gefühl für die feinen Ungleichheiten dieser Welt und der Worte. Und auch Beckett oder Joyce streut Mayröcker ein in ihr Sprachflimmern.
Ähnlich wie Schumanns Symphonische Etüden op.13, die sich der Komponist von Clara auf dem Klavier vorgespielt wünscht, erzeugt Mayröcker eine eigenwillige Stimmung aus Melancholie und Euphorie, die es vermag, die LeserInnen in eine verstörende Aufregung zu versetzen.
AVIVA-Tipp: Erneut hat Friederike Mayröcker eine sehr reiche Augenblickswelt geschaffen. Es ist eine Lust, in sie einzutauchen und fern aller Konventionen, das phantastische Sprach- und Lebensspiel mitzuspielen, auch wenn es zuweilen ganz unbegreiflich erscheint. Dieses Schreiben ist eine große Schönheit.
Zur Autorin: Friederike Mayröcker wurde 1924 in Wien geboren, wo sie noch heute lebt. Sie war vier Jahrzehnte lang die Lebensgefährtin des Dichters Ernst Jandl bis zu dessen Tod. Seit 1956 veröffentlicht sie Gedichte, Prosa und Hörspiele. Für ihr umfangreiches Werk wurde sie mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Zuletzt erhielt sie 2001 den Georg-Büchner-Preis, 2009 den Hermann-Lenz-Preis, 2010 den Peter-Huchel-Preis und 2011 den Bremer Literaturpreis.
Friederike Mayröcker
vom Umhalsen der Sperlingswand, oder 1 Schumannwahnsinn
Suhrkamp Verlag, erschienen 21.02. 2011
Gebunden, 41 Seiten
ISBN 978-3-518-42198-7
14,90 Euro
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