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Beitrag vom 19.09.2021
Virginia Woolf - Freiheit ist erst der Anfang. Gedanken zum Selbstvertrauen
Bärbel Gerdes
Am 21. Januar 1931 hielt Virginia Woolf ihre Rede "Professions for Women". Darin berichtet sie vom Kampf während des Schreibens, dem Möblieren des eigenen Zimmers und einem notwendigen Mord.
Forschen Schrittes betritt die Rezensentin die Buchhandlung und sieht sich um. Ihre Blicke gleiten über die Regale, ihr Herz hüpft. Die Neuübersetzung einer Rede von Virginia Woolf ist erschienen und sie, die leidenschaftliche Woolfianerin, darf sie besprechen. Doch wo suchen? Es ist kein Roman. Die Abteilung "Essay" gibt es nicht (mehr). Auch die verschämte Ecke mit der "Frauenliteratur" wurde aufgelöst. Sachbuch? Doch dann? Philosophie? Literatur?
Die Rezensentin wendet sich an die Buchhändlerin, die nach einer raschen Überprüfung im Online-Katalog davonstürmt – die Rezensentin folgt erstaunt – und bleibt erstaunt, als ihr aus der Abteilung "Geschenkbuch" besagte zweisprachige Neuausgabe ausgehändigt wird.
Ein Geschenkbuch mit dem Untertitel "Gedanken zum Selbstvertrauen" erschienen im Zürcher Arche Verlag.
Was würde Virginia Woolf denken, wenn sie sich dort wiederfände, mit diesem Untertitel?
Die Rezensentin ist hin und her gerissen. Ein netter Täuschungsversuch, der vielleicht weibliche Leserinnen zugreifen lässt, die Woolf sonst verschmähen? Eine Verballhornung von Virginia Woolfs Denken?
Aber es kommt ja bekanntlich auf den Inhalt an. "Don´t judge a book by its cover", heißt es im Englischen, doch dieses Cover, wie das ganze kleine Büchlein, ist wunderbar illustriert von der Künstlerin Aino-Maija Metsola, die für ihre Gestaltung der Virginia-Woolf-Ausgaben des britischen Penguin Verlages mit dem V & A Illustration Award for Book Cover Design ausgezeichnet wurde.
"Ich habe in diesem Augenblick, während ich mein Bad nahm, ein völlig neues Buch konzipiert – eine Fortsetzung von ´A Room of Ones Own´ – über das Sexualleben von Frauen: es soll vielleicht ´Professions for Women´ heißen – Herrgott, wie aufregend! Das sprang heraus aus meinem Vortrag, den ich Mittwoch vor Pippas Gesellschaft halten soll." (Virginia Woolf: Tagebücher 4. Frankfurt, 2003. S. 22) Dies schrieb Virginia Woolf am 20. Januar 1931 in ihr Tagebuch. Aus dem geplanten Buch entstanden zwei: The Years und Three Guineas.
Die Rede jedoch, die sie am nächsten Tag hielt, trug genau diesen Titel und wurde gehalten vor der Londoner Sektion der National Society for Women´s Services, deren Schriftführerin die Feministin und Suffragette Philippa (Pippa) Strachey war.
Auch die britische Komponistin und Woolfs Freundin Ethel Smyth hielt dort einen Vortrag. Das Publikum: "Zweihundert Menschen; gut gekleidet, scharfsinnig, & vielfach schöne junge Frauen", notiert Woolf zwei Tage später und bemerkt nebenbei, ihr Mann Leonard sei leicht verärgert gewesen, "eine interessante Beobachtung, falls sie stimmt."
Pippa Strachey hatte Virginia Woolf eingeladen, um über ihre eigene berufliche Erfahrung zu sprechen. "Aber welche beruflichen Erfahrungen habe ich? Das ist schwer zu sagen", sinniert Woolf, explizit an die jungen Frauen gewandt. Viele berühmte Frauen hätten ihren Weg geebnet: Aphra Behn, Jane Austen, George Eliot … Sie hätten bereits die größten Steine aus dem Weg geräumt. Weibliches Schreiben galt als harmlos, belastete zum Glück nicht die Haushaltskasse und machte kein Geräusch. Insbesondere der monetäre Aspekt sei der Grund, weshalb Frauen zunächst in den Schreibkünsten erfolgreich waren, bevor sie es in anderen wurden.
Woolf erzählt, wie sie bereits als junges Mädchen zu schreiben begann, ihren Text verschickte und plötzlich ihr erstes Geld verdiente – das sie für eine Katze ausgab.
Aus einer privilegierten Schicht kommend, musste sie weder Brot, Kleidung noch Miete von diesem Geld zahlen.
Ihr Kampf war ein anderer. Ihr Kampf war der jeder Frau. Denn während sie die Bücher "großer Männer" rezensierte, blickte ein Engel über ihre Schulter, The Angel in the House, um sie dazu zu verführen, gefälliger zu sein, sanft, den Autoren zu schmeicheln. "Der Schatten ihres Flügels fiel auf mein Papier", sagt sie.
Während dieser Engel unzählige Frauen davon abhielt, ihren eigenen Gedanken zu folgen, ihre eigenen Wünsche zu realisieren, nahm Virginia Woolf den Kampf auf – und siegte nach einem harten, immer wiederkehrenden Gemenge. "Er hat mich viel Zeit gekostet, die ich besser damit verbracht hätte, griechische Grammatik zu lernen oder die Welt zu bereisen und Abenteuer zu erleben."
Doch der Kampf mit diesem Engel ist, laut Woolf, Teil der Arbeit von Schriftstellerinnen.
Eine weitere Auseinandersetzung bahnte sich beim Schreiben von Romanen an. Tranceartiges Schreiben, vollkommene Versunkenheit wurden jäh unterbrochen, wenn sie über den Körper, über Leidenschaft schrieb. "Das Wissen darum, wie Männer über Frauen sprechen … holt sie aus dem künstlerischen Zustand des Unbewussten."
Woolf räumt ein, diesen zweiten Kampf nicht gemeistert zu haben.
Doch sie hofft. Sie hofft, auf die jüngere weibliche Generation, die vor ihr sitzt und die endlich im Besitz eines eigenen Zimmers ist, in einem Haus, das bislang ausschließlich von Männern besessen wurde. An diesen Frauen läge es nun, das Zimmer zu möblieren.
Freiheit sei erst der Anfang. Die Gestaltung derselben, die Frage, mit wem sie geteilt werden sollte und unter welchen Bedingungen, seien Fragen von "größter Wichtigkeit und Bedeutung".
Ganz zufrieden war sie mit ihrer Rede nicht. Das jedenfalls klingt in einem Brief an, den sie Ethel Smyth am 24. Januar 1931 schrieb. Die Feministin und Pazifistin Vera Brittain indes nannte die Veranstaltung in der Nation vom 31. Januar 1931 eine "köstliche Unterhaltung" von zwei "ausgelassen ernsthaften" Rednerinnen.
AVIVA-Tipp: Ein kleines, feinsinniges und kluges Kleinod hat der Arche-Verlag zum Vorschein gebracht. Die zweisprachige Ausgabe ermöglicht es der Leserin, der subtilen Woolf´schen Ironie zu folgen und sie der gelungenen Übersetzung Isabel Bogdans gegenüber zu stellen. Die wunderbare Gestaltung des Buches und der niedrige Preis macht es dann wohl doch zu einem "Geschenkbuch".
Zur Autorin: Virginia Woolf, geboren am 25. Januar 1882 in London, gestorben am 28. März 1941 bei Rodmell in Lewes. Woolf war eine der bedeutendsten Schriftstellerinnen, Kritikerinnen und feministischen Denkerinnen der Moderne. Zudem war sie als Verlegerin in ihrem eigenen Verlag, der Hogarth Press tätig. Zu ihren Werken gehören "Mrs Dalloway" (1925), "Zum Leuchtturm" ("To the Lighthouse", 1927), "Orlando" (1928) und "Die Wellen" ("The Waves", 1931). Ihre feministischen Essays "Ein Zimmer für sich allein" ("A Room of One´s Own", 1929) und "Drei Guineen" ("Three Guineas", 1938) wurden im Zuge der Neuen Frauenbewegung der Siebziger Jahre neu entdeckt.
Zur Übersetzerin: Isabel Bogdan, geboren 1968 in Köln, studierte Anglistik und Japanologie in Heidelberg und Tokyo. Sie verfasste zahlreiche Übersetzungen, u.a. von Jane Gardam, Nick Hornby, Ayelet Waldman, Dagmara Dominczyk, Jonathan Safran Foer und Megan Abbott. 2011 erschien ihr Buch, "Sachen machen". 2016 folgte der Roman "Der Pfau", 2019 der Roman "Laufen". 2006 erhielt sie den Hamburger Förderpreis für literarische Übersetzung und 2011 den Hamburger Förderpreis für Literatur. Isabel Bogdan lebt in Hamburg. (Verlagsinfos)
Zur Illustratorin: Aino-Maijo Metsola, geboren 1983, studierte an der Hochschule für Kunst und Design in Helsinki. Sie arbeitet als freiberufliche Illustratorin und Designerin. Für ihre Gestaltung der Virginia-Woolf-Ausgaben des britischen Penguin Verlages wurde sie mit dem V & A Illustration Award for Book Cover Design ausgezeichnet. Außerdem erhielt sie den Finlandia Junior-Preis. Ihre Kinderbücher wurden in 21 Sprachen übersetzt. Aino-Maijo Metsola lebt in Helsinki.
Virginia Woolf
Freiheit ist erst der Anfang. Gedanken zum Selbstvertrauen
Originaltitel: Professions for Women
Aus dem Englischen von Isabel Bogdan. Mit Illustrationen von Aino-Maija Metsola.
Arche-Verlag, erschienen am 23. Juli 2021
48 S.
ISBN 978-3716028056
Euro 10,00
Zum Buch: www.w1-media.de
Virginia Woolf Society of Great Britain: www.virginiawoolfsociety.co.uk
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