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Beitrag vom 26.09.2016
Lydie Salvayre - Weine nicht
Helga Egetenmeier
80 Jahre zurück liegt der spanische Sommer 1936, in dem ein großer gesellschaftlicher Umbruch möglich schien. Spät hat die 2014 mit dem Prix Goncourt ausgezeichnete Lydie Salvayre ihre damit verbundene Familiengeschichte kennengelernt,...
...als das Einzige, an das sich ihre demente Mutter heute noch erinnert. Das Glücksgefühl der damals 15-Jährigen, erzeugt durch die anarchistischen Freiheitsideale wie auch die Gräueltaten dieser Zeit, verarbeitet sie literarisch beeindruckend als eine Mischung von persönlicher Lebensgeschichte und historischem Zeugnis.
Die französische Autorin, die für ihren ersten Roman "La déclaration" (1990) den DebütantInnenpreis "Prix Hermès du premier roman" erhielt, hat in den vergangenen 40 Jahren über 20 Bücher geschrieben, von denen bisher drei auf Deutsch erschienen sind. Mit "Weine nicht" wagte sie sich nun in leichtem Ton an die politisch brisante, wie auch schmerzhafte Lebensgeschichte ihrer Mutter. Dafür erhielt sie 2014 den wichtigsten französischen Literaturpreis "Prix Goncourt", der damit, nachdem ihn 2009 Marie NDiaye erhielt, wieder an eine Frau ging.
Das Freiheitsgefühl, das das junge Mädchen aus einem kleinen, katholisch geprägten Dorf erlebte, als sie mit ihrem Bruder in das sommerliche Barcelona des Jahres 1936 eintauchte, ist das ausstrahlende Zentrum der Erinnerungen, die der Mutter heute noch möglich sind. Die Begeisterung für den Anarchismus und die für Frauen damit möglich erscheinende Gleichberechtigung, prägten ihr weiteres Leben, obwohl sie, schwanger von einem anderen, in eine arrangierte Heirat mit einem Kommunisten, dem Vater der Autorin, einwilligte.
Trotz der Romanstruktur bleibt die Erzählung folgerichtig fragmentarisch und verlässt dennoch durch den flüssigen Schreibstil die Ebene der Dokumentation. Sich auf einen verdrängten Teil der spanischen Geschichte beziehend, nimmt die Autorin darin den weiblichen Hoffnungsschimmer auf, den auch Almudena Grandes in ihrem historischen Roman "Inés und die Freude" beschreibt.
Die Gräueltaten des im Juli 1936 beginnenden spanischen Bürgerkriegs unterstreicht Salvayre mit eingefügten Beschreibungen aus dem erschütternden Zeugnis "Die großen Friedhöfe unter dem Mond" von Georges Bernanos. Der damals als rechtsgerichtet geltende Intellektuelle lebte mit seiner Familie zwischen 1934 und 1937 auf Mallorca. Er beschreibt in dem Buch sein Entsetzen über das mörderischen Wüten der spanischen Rechten gegen die mallorquinische Bevölkerung und deren verabscheuungswürdige Freisprechung durch die katholische Kirche.
Durch diese politische Betrachtung des beobachtenden Schriftstellers erweitert Salvayre den Blick auf die spanische Geschichte und zeigt damit die Verknüpfungen der Lebensentscheidungen der einander verbundenen Familienmitglieder mit dem grausamen Bürgerkrieg. Anhand von Generationenkonflikten und Geschlechterbildern kontrastiert sie den hegemonialen gesellschaftlichen Diskurs mit den, gegen dessen Vorherrschaft kämpfenden, politischen Ideologien.
AVIVA-Tipp: Lebendig, ernst, wie auch heiter, gelingt Lydie Salvayre anhand der Geschichte einer jungen Frau, ihrer Mutter, die unverzichtbare Darstellung der Einzelnen in Verknüpfung und Kontrast zur Gesellschaft des spanischen Bürgerkriegs. Solche Literatur gehört in den Geschichtslehrplan der Schulen, um den männlichen Kriegserzählungen die Dominanz zu nehmen.
Zur Autorin: Lydie Salvayre, wurde 1948 in Autainville, Frankreich, geboren, da ihre spanischen Eltern aus politischen Gründen emigrieren mussten und wuchs deshalb in einer Gegend auf, in der sich hauptsächlich aus Spanien geflüchtete RepublikanerInnen angesiedelt hatten. Sie studierte Literaturwissenschaft und Medizin, spezialisierte sich in der Psychiatrie, arbeitete später als Pädiaterin und begann in den 1970er Jahren mit dem Schreiben. Für "La compagnie des spectres" erhielt sie 1997 den Prix Novembre, ein Preis für nonkonformistische, französische Literatur. Ihre Romane wurden in viele Sprachen übersetzt, auf Deutsch erschienen "Milas Methode" (2006), "Die Macht der Fliegen" (2001) und "Das Gewicht der Erinnerung" (1999). Für "Weine nicht" wurde sie 2014 mit dem Prix Goncourt ausgezeichnet.
Quelle: Verlagsinformationen
Lydie Salvayre
Weine nicht
Originaltitel: Pas pleurer
Ãœbersetzerin: Hanna van Laak
Blessing Verlag, erschienen im Februar 2016
Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 256 Seiten
ISBN-13: 978-3896675644
19,90 Euro
www.randomhouse.de
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