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AVIVA-BERLIN.de im Dezember 2024 - Beitrag vom 20.02.2023


Ayala Goldmann: Schabbatkind. Geschichten meiner Familie
Ellen Presser

Gut, dass Ayala Goldmann ihre rhetorische Frage "Wer braucht außer uns noch eine jüdische Familiengeschichte, gibt es nicht genug davon?" schließlich nicht negativ beschied, sondern sich auf eine dreijährige Berg- und Talfahrt von Recherchen und Entdeckungen, Emotionen und Reisen einließ und …




…das Buch schrieb, das ihr Vater sich gewünscht hatte, seit sie das Schreiben zu ihrem Beruf gemacht hatte.

Den Auftrag konnte die Tochter erst nach dem Tod des Vaters aufnehmen, mit einem großen Vorbehalt: "Ich bin Journalistin, keine Schriftstellerin."

Was bleibt: Lebenslinien und Fragmente

Wie kann man über die Leben anderer, über die man teilweise so gut wie nichts weiß, ihre Herkunftsorte, die im Zuge der Judenverfolgung entvölkert wurden, berichten? Schriftsteller und Schriftstellerinnen dürfen ihrer Phantasie freien Lauf lassen, können Dialoge und Begegnungen erfinden. In einer Romanbiographie geht es um die Wahrhaftigkeit, in der journalistischen Reportage um die akribische Recherche. Es soll ein Goldmannsches Familienarchiv gegeben haben, doch es verschwand. Was bleibt an Quellen? Immer noch vieles, nämlich die Erzählungen der Ausgewanderten, das heißt derer, die überlebten. Ferner Memoiren wie die von Lea Rabin, oder auch abgelegene Zeitungsartikel wie den "Bialystoker Boten" vom 3. Februar 1936, in dem eine ganze Räuberpistole dem Großonkel Zyle, Bruder ihrer Großmutter Judith, geborene Agajster, gewidmet ist. Goldmanns Recherchen führten nach Warschau, Neve Shaanan bei Haifa und Auschwitz.

Am Ende gibt es ihr Buch über den Vater, das "Schabbatkind". Es ist ein berührendes Kaddisch geworden. Der Untertitel "Geschichten meiner Familie" deutet das Unvollständige, Anekdotenhafte, bruchstückhaft Entdeckte an. Und doch ist es ein Familienbild – zu dem es übrigens einen schön gezeichneten Stammbaum gibt – von fragiler Vollständigkeit geworden, weil die Lücken, die bleiben, die ursprüngliche Gestalt erkennen lassen, weil das Schicksal dieser einen Familie universelle Erfahrungen birgt. In meinen Augen tausendmal nachhaltiger als Stolpersteine, Mahnmale und Gedenktafeln, die nur Momentaufnahmen ihrer Zeit sind, vom Sockel gestürzt oder beschädigt werden können, und deren notgedrungen verkürzte Inschriften oft nicht einmal wahr und schon gar nicht wahrhaftig sind.

Ayala Goldmann erzählt ihre Familiengeschichte

Ayala Goldmann hat eine Familiengeschichte, in der nichts ausgelassen ist: ostjüdisch-orthodoxer Hintergrund, Aufstieg ins gutbürgerliche Berliner Milieu, Verfolgung und Arisierung, Emigration, Pioniergeist in Eretz Israel, Lebensfäden, die abreißen oder neu geknüpft werden. Dreh- und Angelpunkt sind Judith, genannt Ides, und ihr sechzehn Jahre älterer Mann Mottel Goldmann und ihre sieben Kinder. Das jüngste ist Felix, am 21. Dezember 1935 im Israelitischen Krankenheim in Berlin-Mitte geboren, ein Schabbat- und Chanukka-Kind, weshalb ihn die Mutter auch "Lichtele" ruft. Er selbst nennt sich im Spaß Feiwusch oder Feiwel, steckt doch das griechische Wort Phoebus für Licht darin. Nach der Einwanderung in Israel kommt der Vorname Shraga hinzu.

Die Geschichte, wie Shraga Felix Goldmann (1935-2017) in sein Geburtsland zurückkehrt, Medizin studiert und an der Universität Ulm ab 1972 als Spezialist für Transplantationsimmunologie wirkt und 1992 das Zentrale Knochenmarkspender-Register Deutschlands mitbegründet, ist ebenso lesenswert wie die Begegnung mit seiner späteren Frau Sibylle in Hamburg, die aus dem Hort ihrer deutsch-arisch tickenden Mutter ausbricht und zum Judentum übertritt. Wo immer es geht, fügt Ayala Goldmann sachdienliche Informationen hinzu, wie etwa über das Untergrundarchiv OYNEG Shabes (Freude am Schabbat) im Warschauer Ghetto, über jüdisches Brauchtum rund um Begräbnis und Trauerzeit, Pessach und woher der Titel "Gegossenes Blei" für eine Operation der israelischen Armee im Gazastreifen kam.

Es ist erstaunlich, was alles in Ayala Goldmanns Memoir, auf das Wesentliche verdichtet, an ostjüdisch-berlinerischer-deutsch-israelischer Geschichte behandelt wird. Ihr Vater, der seinen Kinderglauben an Gott endgültig verlor, als er noch als Kind von den NS-Verbrechen erfuhr, glaubte an Schützenswertes in den Menschen; ob er es fand oder nicht, darüber half ihm sein unerschütterlicher Optimismus hinweg. Er wäre auf das Buch seiner Tochter – zu Recht – gewiss sehr stolz gewesen.

Zur Autorin: Ayala Goldmann, geboren 1969 in Hamburg, ist Journalistin. Sie wuchs in Ulm auf und studierte jüdische Geschichte an der Freien Universität Berlin und der Hebräischen Universität Jerusalem. Seit 2013 ist sie Redakteurin der Jüdischen Allgemeinen. sie lebt mit ihrer Familie in Berlin-Friedenau.

Ayala Goldmann
Schabbatkind. Geschichten meiner Familie

Hentrich & Hentrich Verlag, Berlin Leipzig, erschienen 2021
182 Seiten, mit 9 Abb.
19,90 Euro
Mehr zum Buch unter: www.hentrichhentrich.de



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Beitrag vom 20.02.2023

AVIVA-Redaktion