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Beitrag vom 04.09.2016
Gesa Kessemeier - Herrmann Gerson. Das erste Berliner Modekaufhaus
Sharon Adler
Die Mode- und Zeithistorikerin hat sich schon in ihrem Buch "Ein Feentempel der Mode oder Eine vergessene Familie, ein ausgelöschter Ort" der Unternehmens- und Familiengeschichte der Gersons gewidmet. Im Band 185 der Reihe "Jüdische Miniaturen" recherchiert sie zu den Jahren 1836-1889.
Seit nunmehr sechs Jahren forscht Gesa Kessemeier die Geschichte des einst auch weit über die Grenzen Berlins hinaus bekannten und renommierten Modehauses. Im Zuge ihrer Recherchen kam sie so in Kontakt mit dem Ur-Urenkel von Herrmann Gerson, der ihr die persönlichen Archivalien seines Ur-Urgroßvaters zur Verfügung stellte: ein Familienarchiv mit persönlichen Dokumenten, Gemälden und historischen Familienfotos. Einige dieser wertvollen Zeitzeugen sind auch in diesem Band abgedruckt und spiegeln sowohl die Entwicklung des Modekaufhauses selbst, als auch das Privatleben der Gersons: Freundschafts- und Familienbande der Familie zu anderen Größen der Textilbranche wie zu den Familien Liebermann, den Seidenfabrikanten Meyer oder den Israels vom späteren Kaufhaus N. Israel.
Das Modehaus Herrmann Gerson - ein Mythos der Berliner Konfektion
"Das geschmackvollste, großartigste und bedeutendste Manufakturwaarengeschäft in Deutschland", diesen Ruf hatte das Modehaus Herrmann Gerson bei seinen Zeitgenossen.
Die nun vorliegende mode- und zeitgeschichtliche Reise entführt die LeserInnen in die faszinierende Welt der neu entstehenden Kaufhauskultur des 19. Jahrhunderts, die Berliner Konfektion und das Alltagsleben im ersten, 1848/49 zu diesem Zweck erbauten Modekaufhaus Deutschlands. Ebenso spannend sind die Blicke in das jüdische Leben dieser Zeit. Wie viele andere jüdische Unternehmer dieser Zeit ging es den Gersons nicht nur um den eigenen Profit: Sie engagierten sich vielfach und taten sich durch Mäzenatentum hervor. Herrmann Gerson, der 1835 aus ärmlichen Verhältnissen stammend von Königsberg nach Berlin gekommen war, belieferte nicht nur die Oberschicht mit erlesener Haute Couture. Vielmehr versorgte das Modehaus die breite Bevölkerung durch ihre serienmäßige Kleiderproduktion erstmals mit konfektionierten Waren. Daneben revolutionierten sie auch – bereits lange vor der Sozialgesetzgebung durch Bismarck – die Rechte der Angestellten: Alle MitarbeiterInnen waren durch die Gersons krankenversichert und erhielten im Krankheitsfall eine Lohnfortzahlung für die Dauer von zwei Monaten.
Außerdem gab Gerson in den Jahren eine eigene Modezeitung heraus, deren Chefredakteurin die Modejournalistin Antonie von Cosmar (A.L. Klein) war, die 1855 die Zeitschrift Bazar – Erste Damen – und Modenzeitung gegründet hatte.
Das "Berliner Paradies für Damen" befand sich in unmittelbarer Nähe zum Berliner Stadtschloss. Heute erinnert kein Hinweisschild in Berlin an das ehemalige Kaufhaus Gerson. Das Grundstück, das zwischen dem heutigen Auswärtigen Amt und der Telekom-Zentrale liegt, wurde mit einem Vier-Sterne-Hotel, Apartments und Wohnungen sowie einem Bürohaus bebaut.
AVIVA-Tipp: Die Reihe "Jüdische Miniaturen" zeigt die ganze Vielfalt jüdischen Lebens in Deutschland. Der Band über Herrmann Gerson und "Das erste Berliner Modehaus" stellt ein wenig bekanntes Thema vor, das es verdient hätte, präsenter zu sein, unter anderem auch auf den Modemessen der Hauptstadt.
Die Mode- und Zeithistorikerin Gesa Kessemeier lässt mit ihrem spannenden Portrait diese außergewöhnliche Unternehmerfamilie lebendig werden und setzt ihnen mit ihren Bänden und ihrer außerordentlich akribischen Recherchearbeit ein Denkmal.
Zur Autorin: Gesa Kessemeier, geboren 1970, Mode- und Zeithistorikerin, Ausstellungskuratorin. Promotion zu Mode und Frauenbildern der 1920er Jahre. Wissenschaftliches Museumsvolontariat am Haus der Geschichte in Bonn, Assistenz am Modemuseum Palais Galliera Paris. Zahlreiche Aufsätze und Mitarbeit an Ausstellungen zu kultur- und modehistorischen Themen u.a. "Uli Richter – Eine Berliner Modegeschichte" (Kunstgewerbemuseum Berlin). Recherchen für die Präsentation "Berliner Skulpturenfund – Entartete Kunst im Bombenschutt" (Neues Museum Berlin). 2011–2014 Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Berlin. 2013–2014 Mitarbeit an der Ausstellung "Geraubte Mitte – Die "Arisierung" des jüdischen Grundeigentums im Berliner Stadtkern 1933–1945" (Stiftung Stadtmuseum), Raumkuratorin "Herrmann Gerson und die Familie Freudenberg". 2013 erschien ihr Band "Ein Feentempel der Mode oder Eine vergessene Familie, ein ausgelöschter Ort. Die Familie Freudenberg und das Modehaus ´Herrmann Gerson´", ebenfalls im Hentrich & Hentrich Verlag.
Gesa Kessemeier
Herrmann Gerson
Das erste Berliner Modekaufhaus
Hentrich & Hentrich Verlag, Reihe "Jüdische Miniaturen", Band 185
Sprache: Deutsch
86 Seiten, Broschur
21 Abbildungen
ISBN: 978-3-95565-151-0
8,90 Euro
www.edition-hentrich.de
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Es ist der erste Roman, der sich der Modeindustrie und Konfektion Berlins während der 1930er Jahre und der systematischen Enteignung jüdischer Konfektionäre annimmt. Ein historischer Roman über die Berliner Konfektion und ihren Untergang – und ein Roman darüber, wie Diktaturen den Charakter von Menschen verderben und ruinieren können. (2015)
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Quelle: Hentrich & Hentrich Verlag