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Beitrag vom 08.12.2022
Luise F. Pusch: Gegen das Schweigen – Meine etwas andere Kindheit und Jugend
Silvy Pommerenke
Die Sprachwissenschaftlerin Luise F. Pusch erzählt in ihrer Autobiografie von ihrer Kindheit und Jugend Mitte der 1940er bis Mitte der 1960er Jahre in Ostwestfalen. Als lesbischer Teenager und junge Frau musste sie in dieser Zeit ihre sexuelle Orientierung verheimlichen und war "zum Schweigen verurteilt".
Luise F. Pusch schildert ihre bedrückende und enge Kindheit im Nachkriegsdeutschland, ihre Minderwertigkeitsgefühle und den schweren Kampf, als Mädchen in einer Jungen- und Männerwelt zu existieren, obgleich sie fast immer Klassenbeste war und durch ausgezeichnete schulische Leistungen glänzte. Diese wurden durch ein Stipendium belohnt, aufgrund dessen es sich ihre alleinerziehende Mutter leisten konnte, sie auf das Gymnasium zu schicken. Eine klassische Bildung erhielt die junge Luise F. Pusch durch das akademische Elternhaus einer Schulfreundin - die auch ihr erster großer Schwarm war - und eignete sich autodidaktisch einen Literaturkanon an. Nicht auszudenken, was beruflich aus ihr geworden wäre, wenn sie diese Bildungsmöglichkeiten nicht bekommen und ergriffen hätte. Die intensive Beschäftigung mit Sprache und Grammatik führte später bei ihr zum Studium der Anglistik, Latinistik, und Allgemeinen Sprachwissenschaft und zur Tätigkeit als Linguistik-Dozentin und Professorin. Sie ist Vorreiterin der feministischen Linguistik und ihr Buch "Das Deutsche als Männersprache" gilt längst als Standardlektüre an den Universitäten.
Luise F. Pusch erzählt von ihren ersten Verliebtheiten zu Mädchen und Frauen. Ein absolutes No-Go in den 1950er und 1960er Jahren, "eine todeswürdige Untat kosmischen Ausmaßes für eine Frau [...], wenn sie statt eines Mannes eine Frau liebt."
Das Versteckspielen und ein Doppelleben hatte für die spätere Linguistin angefangen. Die Liebe zu Mädchen hielt sie lange geheim, es blieb bei unerfüllter und unglücklicher Liebe, bei grenzenloser Schwärmerei, die nach ihrer Aussage bis zur Besessenheit ging und sich lediglich in "romantischer, quasi fleischloser Sehnsucht" kanalisierte. Erst "im Laufe der 80er Jahre [kam sie] im Schneckentempo aus dem Lesbenversteck hervorgekrochen". Die Auswirkungen langen geheimen Lebens als Lesbe führte bei Luise F. Pusch zu einer "Selbstverachtung und einer jahrzehntelangen schweren Angststörung".
Neben der persönlichen Biografie von Luise F. Pusch erfährt die Leser*in sehr viel über die Lebensumstände der Menschen in der deutschen Nachkriegsgesellschaft. Von der Ungleichbehandlung und Unterdrückung von Mädchen und Frauen, von mühseliger Heimarbeit, harter körperlicher Arbeit auf Bauernhöfen und in der Industrie, von Hunger und Not, von beengten Wohnsituationen und ärmlichen Wohngegenden, von ökonomischem und gesellschaftlichem Gefälle, von ungewollten Schwangerschaften bis hin zu sexueller Gewalt. Aber auch von starken Frauen, die sich gegen die gesellschaftlichen Normen stellten und ihren eigenen Weg gingen, die aufbegehrten und ihren Träumen folgten. Allen voran Luise F. Pusch, die sich durch unermüdlichen autodidaktischen Einsatz, Fleiß, Beharrlichkeit und Enthusiasmus aus dem ihr scheinbar vorgegebenen Weg herauskämpfte. Oder, wie sie das Geheimnis ihres Erfolges nennt, mit "Sitzfleisch!" und "Dranbleiben!"
Luise F. Pusch hat bereits 1981 einen autobiografischen Roman veröffentlicht: "Sonja – Eine Melancholie für Fortgeschrittene". Damals allerdings noch unter dem Pseudonym Judith Offenbach, da sie aufgrund der lesbischen Thematik negative berufliche Konsequenzen befürchtete. Seit 1982 sammelt sie außerdem Daten und Informationen für eine Frauenchronik, um Frauen sichtbarer zu machen. Die Chronik ist auf der Internetseite Fembio einzusehen.
Auch mit knapp achtzig Jahren denkt Luise F. Pusch längst nicht daran, sich zur Ruhe zu setzen, wie sie am 24.11.2022 im Interview bei DLF-Kultur erzählt. Dort sprach sie unter anderem über ihr neues Buch "Gegen das Schweigen" und ihre große Stärke wird sichtbar: Geschlechterungerechtigkeit mit Humor und Ironie bekämpfen, was auch in ihren zahlreichen Glossen nachzulesen ist. Beispielsweise in "Die Eier des Staatsoberhaupts und andere Glossen", das 2008 erschienen ist.
AVIVA-Tipp: Mit ihrem autobiografischen Buch "Gegen das Schweigen" schildert Luise F. Pusch nicht nur die homophoben Zeiten der 1950er und 1960er Jahre, sondern sie hilft damit auch den heranwachsenden jungen Frauen der 2020er Jahren. Denn auch wenn heutzutage sicherlich vieles besser ist als damals, so bedeutet es für viele lesbische Mädchen und Frauen eine Gratwanderung, zu ihrer lesbischen Identität zu stehen.
Zur Autorin: Luise F. Pusch wurde 1944 in Gütersloh geboren. Sie studierte Anglistik, Latinistik und Allgemeine Sprachwissenschaft und habilitierte sich 1978 für Sprachwissenschaft. Zusammen mit Senta Trömel-Plötz und Marlis Hellinger begründete sie die feministische Sprachwissenschaft in Deutschland. 2004 wurde sie vom Branchenverband Bücherfrauen e.V. als "BücherFrau des Jahres" geehrt und erhielt 2016 den "Luise-Büchner-Preis für Publizistik".
Neben ihrer Tätigkeit als Dozentin und Professorin verfasste sie zahlreiche Bücher. Unter anderem "Das Deutsche als Männersprache" (1984) oder "Die dominante Kuh" (2008). 1982 hat sie die Datenbank FemBio ins Leben gerufen, in der Informationen von bedeutenden Frauen versammelt sind. Seit 1987 gibt sie den Kalender "Berühmte Frauen" heraus und ist außerdem Herausgeberin zahlreicher frauenbiografischer Sammelbände. 2005 und 2010 veröffentlichte sie zusammen mit ihrer Lebenspartnerin Joey Horsley die beiden ersten in deutscher Sprache zum Thema Historische Frauenpaare.
Luise F. Pusch lebt in Hannover und Boston. Sie ist seit 1986 mit der US-amerikanischen Germanistin und Frauenforscherin Joey Horsley liiert, die sie 2021 heiratete.
Luise F. Pusch im Netz www.fembio.org
Luise F. Pusch – Gegen das Schweigen – Meine etwas andere Kindheit und Jugend
AvivA Verlag, erschienen 09/2022
Hardcover m. Leseband, 272 Seiten
ISBN 978-3-949302-09-1
Euro 22,00
Mehr zum Buch unter: www.aviva-verlag.de
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Luise F. Pusch - Die dominante Kuh. Neue Glossen Gendern für Fortgeschrittene: Wie tief Sexismen tatsächlich in unserer Sprache verankert sind, zeigt die Linguistin amüsant und pointiert in ihren Abhandlungen und fordert die "Entjunkerung" der holden Männlichkeit - zumindest, solange auch die "Entjungferung" Bestand hat. (2013)
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