Barbara Sichtermann und Ingo Rose: Berlinerinnen. 13 Frauen, die die Stadt bewegten - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Literatur Biographien



AVIVA-BERLIN.de im März 2024 - Beitrag vom 14.04.2019


Barbara Sichtermann und Ingo Rose: Berlinerinnen. 13 Frauen, die die Stadt bewegten
Isabel Rohner

Ein Buch mit Porträts von 13 der berühmtesten Berlinerinnen von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis heute. Wenn ich heute in Berlin – ob auf dem Boulevard Unter den Linden, im Deutschen Theater oder auf dem Gendarmenmarkt – Menschen nach berühmten Berlinerinnen fragen würde: Ich bin sicher, die meisten der 13 im Buch Dargestellten würden genannt. Wetten? Probieren wir es doch aus!




Welche Frauen kommen Ihnen in den Sinn, wenn Sie an berühmte Berlinerinnen denken?

"Berühmte Berlinerinnen? Hildegard Knef, natürlich", sagt eine ältere Frau und beginnt sofort zu singen, "ich hab noch einen Koffer in Berlin!"
Ihr Mann ergänzt: "Und Marlene Dietrich – die war ja ein richtiger Weltstar."
"Aus der Politik muss ich direkt an Regine Hildebrandt denken, auch wenn die noch gar nicht so lange tot ist. Macht das was? Das war eine Sozialdemokratin, wie sie im Buche steht. Sie fehlt schrecklich."


PassantInnen bleiben stehen, wollen mitdiskutieren.

"In der Kunst muss ich an Jeanne Mammen denken. Ist die nicht auch in Berlin geboren? Die Lotte Laserstein nicht, oder? Aber zu der gibt´s gerade diese Ausstellung. Da will ich noch hin.", sagt eine hochgewachsene Mit-Zwanzigerin.
Eine ihrer Begleiterinnen wirft die Stirn in Falten. "Aber das waren Malerinnen. Denk doch an Musik! Was ist denn mehr Berlin als Nina Hagen?"
Eine weitere Frau, vielleicht die Mutter der Hagen-Kennerin, fügt an: "Ja, Hagen war ja die Godmother of Punk. Und Claire Waldoff ist die Godmother of Kabarett. Hermann heeßt er, ah, da muss ich immer wieder lachen."

"Leute denkt doch auch mal ans Theater! Das ist in Berlin ohne Helene Weigel ganz nicht denkbar. Sie war die Intendantin vom Berliner Ensemble und Mutter Courage. Ist jetzt eigentlich raus, wer die Leitung der Volksbühne kriegt? Ich bin für eine Intendantin."

Fußballerinnen werden genannt, die Bob-Weltmeisterin. Nein, die Bundeskanzlerin ist keine Berlinerin, die ist in Hamburg geboren. Ja, und aus der Literatur? Und aus der Frauenbewegung? An wen müssen Sie da denken?

"Oh, da kann ich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen", sagt eine Frau mit langen schwarzen Haaren und Kamera um den Hals. "Eine Berlinerin, die rund um das Jubiläum von 100 Jahre Frauenwahlrecht wirklich überall als Vordenkerin genannt wurde, sogar der Bundespräsident hat sie zitiert: Hedwig Dohm. Feministische Pionierin und brillante Literatin. Hat vor zwei Wochen übrigens ein Ehrengrab auf dem St. Matthäus Kirchhof in Schönberg bekommen. Ich hab Fotos gemacht."

"Ach, das mit dem Grab wurde ja langsam Zeit", stöhnt eine weitere Passantin erleichtert auf. "Mir kommt auch noch Else Lasker-Schüler in den Sinn. Inzwischen sind ihre Gedichte sogar im Schulkanon."

Sehen Sie? Ganz schön gut, oder?

Neben diesen berühmten Frauen finden sich im Buch von Sichtermann und Rose zudem noch Porträts der ersten Ärztin Berlins, Franziska Tiburtius, Sozialreformerin Alice Salomon ("Heißt nicht auch eine Hochschule in Berlin so?"), Schriftstellerin Gabriele Tergit und Tänzerin Anita Berber.

Alle diese Berlinerinnen werden in ca. 10-seitigen informativen biografischen Abrissen dargestellt, ergänzt von einem Bild. Herausgekommen ist ein hübscher Band mit – wie immer bei Büchern von ebersbach & simon – auffallend guter Haptik. Ein ansprechendes Buch, das frau gern zur Hand nimmt.

Die Texte selber können natürlich nur anteasern und neugierig machen auf die Frauen, die hier kurz vorgestellt werden. Diese Kürze hat natürlich Nachteile: Vieles kann nur angesprochen, aber nicht weiter erklärt oder in Kontext gesetzt werden, das ist oft unbefriedigend. Über einige Stellen bin ich dabei mehr als nur gestolpert, z.B. über diese: "Schließt man ferner von den Romanfiguren aus Hedwig Dohms Trilogie Schicksale einer Seele auf die Autorin und ihr Leben, so muss man resümieren, dass ihre Ehe unglücklich war. Aber die Irrtumswahrscheinlichkeit ist hoch." Ja, möchte ich als Leserin da ausrufen, dann lasst doch bitte auch diese unhaltbaren und von der Forschung seit langem widerlegten, literaturwissenschaftlich echt hoch bedenklichen Behauptungen.

Zudem fällt im Buch auf, dass einige Frauen auch im Erwachsenenalter noch hemmungslos geduzt werden – Else, Anita, ja sogar Hildegard –, die Autorin und der Autor sich das bei anderen aber offensichtlich dann doch nicht trauten. Glück gehabt, Regine Hildebrandt… Ich überlege gerade, aber ich kann mich tatsächlich an keine Goethe-Biografie erinnern, wo es heißt, dass "Wolfgang schließlich nach Weimar gezogen ist"…

Zur Herausgeberin: Barbara Sichtermann, Publizistin und Schriftstellerin (1943 in Erfurt geboren), gilt als eine der Intellektuellen der 68er-Generation, 2015 erhielt sie für ihr Lebenswerk den Theodor-Wolff-Preis. Ebenfalls bei ebersbach & simon sind ihre Bände Wie Männer sich die Frau von morgen wünschen und Sternstunden verwegener Frauen sowie die Bücher "Ich rauche Zigarren und glaube nicht an Gott" und "Ein freies Frauenzimmer".
Mehr Infos unter: www.barbarasichtermann.de

Zum Herausgeber: Ingo Rose studierte Wirtschaftswissenschaften und arbeitet als Sachbuchautor und Trainer. Seine Themen sind Wirtschaft, Kommunikation und das Geschlechterverhältnis. Gemeinsam mit Barbara Sichtermann hat er zahlreiche erfolgreiche Sachbücher veröffentlicht. Ingo Rose lebt in Berlin.

AVIVA-Tipp: Diese 13 Berlinerinnen muss frau/man einfach kennen. Sie sind Kanon. Daher eine wunderbare kleine Geschenkidee für alle Bekannten, die in die Hauptstadt ziehen wollen – von der Studentin bis zur schwäbischen Familie. Für eine tiefergehende Beschäftigung sind jedoch ausführlichere Biografien zu empfehlen.

Barbara Sichtermann und Ingo Rose
Berlinerinnen. 13 Frauen, die die Stadt bewegten

ebersbach & simon, Reihe: blue notes Nr. 78, erschienen 27. Februar 2019
144 Seiten, Fadengeheftet. Einband: Halbleinen
18 Euro

Mehr zum Buch unter: www.ebersbach-simon.de
Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:

Barbara Sichtermann (Hg.): Wie Männer sich die Frau von morgen wünschen
"Anders wird sie sein, das ist gewiss, sehr viel anders, die Frau von morgen (...)" - nach allen Seiten offen, ein wenig ratlos schreibt Stefan Zweig anno 1929 auf Aufforderung eines Schriftstellerkollegen. Die Aufgabe lautete: "Die Frau von morgen wie wir sie wünschen"...( 2019)

Simone Frieling - Rebellinnen. Hannah Arendt, Rosa Luxemburg und Simone Weil
Drei Denkerinnen porträtiert die Biografin, Malerin und Autorin Simone Frieling in ihrem neuen Buch. Viele Gemeinsamkeiten einten diese drei Persönlichkeiten, die sich nie begegneten, gleichwohl aber voneinander wussten und aufeinander Bezug nahmen. (2019)

Irmgard Keun – Das Mädchen, mit dem die Kinder nicht verkehren durften. Irmgard Keun – Kind aller Länder
Ihre gesellschaftskritischen Romane, "Gilgi, eine von uns" (1931) und "Das kunstseidene Mädchen" (1932) machten sie schlagartig berühmt. Der Star der Literaturszene der Dreißiger Jahre, deren Werke wegen ihres messerscharfen Satire-Stils und Gesellschaftskritik von den Nazis verboten und verbrannt wurden, geriet in den 1950er Jahren in Vergessenheit. Erst durch eine Veröffentlichung im "Stern" im Jahr 1977 wurde Irmgard Keun wieder in das Bewusstsein der literarischen Öffentlichkeit gebracht. (2017)

Gabriele Tergit – Käsebier erobert den Kurfürstendamm
Als der Volkssänger Käsebier 1931 zum Megastar wird, ist Berlin ist eine aufregende und dynamische Stadt, eine Stadt vieler Kulturen und Identitäten. Der satirische Gesellschaftsroman der als Elise Hirschmann geborenen Schriftstellerin und Gerichtsreporterin erschien 1931 erstmals im Rowohlt Verlag. In den Folgejahren wurde das Werk über das Berlin der späten Weimarer Republik in verschiedensten Verlagen veröffentlicht, geriet schließlich in Vergessenheit, bevor er nun, im Frühjahr 2016, im Schöffling Verlag von Nicole Henneberg herausgegeben und mit einem Nachwort versehen wurde. (2016)

Die Romanbiographie: Sylvia Roth – Claire Waldoff. Ein Kerl wie Samt und Seide
Vor 60 Jahren, am 22. Januar 1957 starb die Kabarettistin mit den feuerroten Haaren, die "Revolverschnauze" von Berlin, die mit ihrem Verbleib als Künstlerin in Nazi-Deutschland nicht unumstritten ist. Die Musikwissenschaftlerin Sylvia Roth hat ihr eine sprachmelodiöse Romanbiographie gewidmet. (2017)

Hedwig Dohm - Feuilletons 1877-1903. Herausgegeben von Nikola Müller und Isabel Rohner
1873 forderte Hedwig Dohm das Stimmrecht für Frauen und setzte sich in ihrem umfangreichen Gesamtwerk Zeit ihres Lebens für die politische, soziale und ökonomische Gleichstellung von Männern und Frauen ein: Brillante Texte, die bis heute nichts von ihrer Frische und Aktualität verloren haben. (2016)

Der blaue Reiter ist gefallen. Else-Lasker-Schüler-Jubiläumsalmanach. Herausgegeben von Hajo Jahn
Zu ihrem 25-jährigen Bestehen hat die Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft ihren elften Almanach herausgebracht. Er versammelt die Beiträge vom XX. ELS-Forum, das 2014, zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren stattgefunden hat. (2015)

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Der Blaue Reiter" war nicht allein zu Ross: "Der Sturm", Herwarth Waldens legendäre Zeitschrift und publizistische Heimat der Berliner Avantgarde, stand von Beginn an unter starkem weiblichen Einfluss. Kunsthistorikerin Karla Bilang versammelt nun die Biographien der prägendsten Vertreterinnen der "Sturm-Gruppe" in einem Band. (2013)

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In ihren autobiographischen Aufzeichnungen beschrieb Alice Salomon ihre Jugendjahre, ihre Berufung zur Sozialen Arbeit, die Arbeit für die internationale Frauenbewegung und die Jahre im Exil. (2009)



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Beitrag vom 14.04.2019

AVIVA-Redaktion