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Beitrag vom 24.06.2006
Ahawah heißt Liebe
Sarah Ross
Die israelische Künstlerin und Filmemacherin Ayelet Bargur erzählt die Geschichte des jüdischen Kinderheims Beit Ahawah in der Berliner Auguststraße, die zugleich die Geschichte ihrer Familie ist.
Die israelische Filmemacherin Ayelet Bargur erzählt in ihrem Buch "Ahawah heißt Liebe" nicht nur die bisher kaum bekannte Geschichte eines Berliner jüdischen Kinderheims, sondern vor allem die Geschichte ihrer Urgroßtante Beate Berger. Als die ausgebildete Krankenschwester 1922 Leiterin des jüdischen Kinder-Flüchtlingsheims Beit Ahawah (Haus der Liebe) in der Berliner Auguststraße wird, verwirklicht sie dort ein ungewöhnliches, neuartiges und rasch bekannt werdendes Erziehungskonzept, das das Heim zu einer bekannten pädagogischen Institution werden ließ. Dieses Buch ist eine historische Erzählung, "die aus einer Mischung von Interviews und Archivmaterial mit fiktiven Szenen besteht, die auf authentische Zeugnisse zurückgehen." Unter den ZeitzeugInnen ist auch Avital Ben-Chorin, die Witwe von Schalom Ben-Chorin, deren Erinnerungen an diese Zeit hier erstmals veröffentlicht werden.
Als die Autorin gerade einmal 12 Jahre alt war, bekam sie in der Schule die Aufgabe gestellt, die Geschichte ihrer Familie zu erforschen. In diesem Zusammenhang hörte sie zum ersten Mal den Namen ihrer Urgroßtante Beate Berger - und zum aller ersten Mal erzählte man ihr auch von dem Berliner Kinderheim Ahawah. Doch die eigentliche Suche nach der Geschichte dieses Heimes und seinen Kindern begann erst Jahre später, als Ayelet Bargur 2001 zum ersten Mal Berlin besuchte. Vor der Gedenktafel in der Auguststraße 14-16 stehend, schloss sich derzeit ihr Kreis: "Zwanzig Jahre, nachdem ich zum ersten Mal vom Beit Ahawah und meiner Urgroßtante gehört hatte, fand ich mich vor dem Foto jener Beate Berger wieder, deren Mut und seelische Stärke ich schon als Kind kennengelernt und verehrt hatte." Weitere zwei Jahre später ermöglichte ein Stipendium des DAAD der israelischen Künstlerin die Rückkehr nach Deutschland, wo sie begann, die Geschichte des Hauses und ihrer Verwandten gänzlich zu dokumentieren.
In den 1920er und 30er Jahren nahm Beate Berge in diesem Heim jüdische Kinder aus armen oder zerrütteten Familien und Waisenkinder aus Osteuropa auf. Die Schwester Oberin, wie Beate Berger genannt wurde, hatte nicht nur mit viel Mut und Geschick das ehemalige Armenhaus in eine Institution jüdischer Sozialhilfe und Erziehung verwandelt, das 1924 seinen Namen "Beit Ahawah - Haus der Liebe" erhielt. Auch auf den Machtantritt der Nationalsozialisten 1933 reagierte die Leiterin sehr schnell. Ihr war bewusst, dass es unter diesem Regime für ihre Zöglinge in Deutschland keine Zukunft mehr gab. So beschloss Beate Berger, das Heim nach Palästina zu verlegen. Unter größten Anstrengungen gelang es nach und nach, insgesamt 300 Kinder und Jugendliche in Sicherheit zu bringen.
Dank ihres rastlosen persönlichen Einsatzes und der Unterstützung prominenter Förderer, wie beispielsweise Martin Buber, konnte das Kinderheim Beit Ahawah in Kiriat Bialik, in der Nähe von Haifa, bereits im Jahr 1936 offiziell eröffnet werden. Vor allem aber erreichte sie, bis zu ihrem Tod 1940, die Hälfte der Berliner Ahawah-Kinder zu retten, ihnen in der neuen Heimat ein liebevolles zu Hause zu geben und die in Deutschland entwickelte Sozialarbeit für Jugendliche nach Israel zu bringen: "Darin besteht bereits seit mehr als siebzig Jahren der geheime Bund zwischen den Waisenkindern, die im Staat Israel des Jahres 2005 kein Zuhause haben, und den heimatlosen Kindern von 1934, die in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft auf der Flucht aus Nazi-Deutschland waren" so die Autorin.
Bargurs Buch gewinnt vor allem durch die Kombination historischer Fakten zur Genese des Kinderheims mit Interviews ehemaliger Heimkinder und zahlreichen Fotos aus dem Privatbesitz an Wert. Besonders die persönliche Erinnerung der heute bereits 70- bis 90-jährigen Ahawah-Kinder, gewähren einen ungeschönten Blick in den Alltag in der Auguststraße wie auch in die politischen Verhältnisse und Lebensumstände für Juden im Berlin der 30er Jahre. Ergänzt wird Bargurs Buch durch einen Essay des Kulturwissenschaftlers Joachim Schlör mit dem Titel "Eine Berliner Tiefenbohrung".
AVIVA-Tipp:
Ayelet Bargur beschreibt in ihrem Buch auf sehr persönliche und eindrucksvolle Art und Weise die Geschichte des jüdischen Kinderheims Beit Ahawah in der Berliner Auguststrasse. Parallel dazu lässt sie durch die Erinnerung noch lebender Heimkinder ein interessantes wie individuelles Porträt der Heimleiterin Beate Berger - ihrer Urgroßtante - entstehen. Mittel einer geschickten Komposition der einzelnen Buchpassagen gelingt es der Autorin, die Vergangenheit von Beit Ahawah wieder lebendig und spürbar werden zu lassen. Zudem werden die - für die damalige Zeit extrem fortschrittliche - Heimerziehung Beate Bergers, die Berliner Stadtgeschichte und die Fortsetzung und der Neuanfang zionistischer Jugendarbeit in Palästina sehr gut veranschaulicht.
Lesen Sie auch: AHAWAH. Das vergessene Haus. Eine Spurensuche in der Berliner Auguststraße. Die Publizistin, Historikerin und Herausgeberin Regina Scheer macht die vergessene Geschichte ihres einstigen Schulhauses lebendig.
Zur Autorin:
Ayelet Bargur wurde 1969 in San Francisco geboren und lebt heute in Israel. Sie studiert an der Universität Tel Aviv Film- und Kunstwissenschaften sowie Regie und Filmproduktion. Ihre Dokumentar- und Spielfilme reflektieren kritisch das tägliche Leben in Israel, sie wurden mir wichtigen Preisen ausgezeichnet und auf internationalen Festivals gezeigt. Der Kurzfilm "A Good Place To Be" lief u. a. bei den Filmfestspielen in Cannes und Mexiko. Für ihr Film- und Buchprojekt "Ahawah heißt Liebe" erhielt sie ein Stipendium des Berliner Künstlerprogramms des DAAD.
Lesen Sie auch das AVIVA-Interview mit Ayelet Bargur anlässlich ihrer Dokumentation `At the End of the Day` von 2003.
Ayelet Bargur
Ahawah heißt Liebe
Die Geschichte des jüdischen Kinderheims in der Berliner Auguststraße
dtv Premium, Juli 2006
Deutsche Erstausgabe, übersetzt von Ulrike Harnisch und Thoralf Seiffert
ISBN 3-423-24521-2
240 Seiten, mit Abbildungen
Euro 14,50