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Beitrag vom 26.12.2002
Marlene Streeruwitz: Partygirl
Meike Bölts
Mit "Partygirl" legt Marlene Streeruwitz ihren dritten Roman vor: Eine Familiengeschichte voller Verletzungen, Schmerz und Verlangen
Partygirl beginnt in Chicago im Jahre 2000: Madeline - eine Frau um die sechzig - arbeitet im "Crystal Cleaner", einer schmierigen Wäscherei. Der Besitzer ist ein Abbild dieser verkommenen Szenerie: Ein biersaufendes Ekelpaket, das zu nicht viel mehr fähig ist, als zappend vor dem Fernseher zu hängen und seine weiblichen Angestellten herumzukommandieren. Der Laden befindet sich direkt an einer U-Bahn-Station, die für alle nur eine Durchgangsstation ist. Auch für Madeline, denn wenn ihr Bruder Rick endlich den Schweden ausfindig gemacht hat, werden sie wieder reich sein und an ihr früheres Leben anknüpfen können. Doch ein Stück Pizza spielt Schicksal: Bevor wir es überhaupt begreifen, wird Rick an eben diesem ersticken. Während Madeline noch ruft "my brother is dying", läuft ein Dylan-Song im Hintergrund: "May you stay forever young."
Streeruwitz bedient sich eines sehr geschickten Tricks: Sie rollt die Geschichte der beiden Geschwister Madeline und Roderick Asher vom Ende her auf. Über Stationen in Havanna, Berlin, Santa Barbara, Kreta, Arezzo, Wien, Baden, Peruggia und wieder Wien verfolgen wir Madelines Leben bis zurück ins Jahr 1950 in Baden in Österreich. Die beiden Geschwister wurden von irgendeinem Erlebnis in ihrer Kindheit in die Welt hinausgetrieben. Während Rick sich über sein Studium ein - zumindest von außen betrachtet - normales Leben zurecht gezimmert hat, verweigert Madeline sich den Konventionen des Alltags.
Obwohl wir sehr intime Details über Madeline, genauer: über ihren Körper, erfahren, bleibt sie doch in einer undurchdringlichen Distanz vor uns stehen. Der Schutzpanzer, den sie sich mühsam im Laufe ihres Lebens aufgebaut hat, ist nicht zu durchbrechen. Nicht einmal von Rick. Fassungslos betrachten wir Madelines Drang, ihren Körper immer wieder in schmerzhafte, verletzende Situationen zu bringen. Passiv erträgt sie es, wenn sie benutzt oder hin- und hergeschoben wird.
Ist dieser Masochismus im Freitod ihres Vaters begründet? Dieser hatte sich das Leben genommen, als er nach dem Krieg erfuhr, dass er zu einem Viertel jüdisch war. Oder in der Krankheit ihrer Mutter? Durch Multiple Sklerose ans Bett gebunden, wird sie für lange Zeit von Madeline gepflegt. Oder gar in ihrem Verhältnis zu Rick? Eine offenbar inzestuöse Geschwisterverbindung, die durch die Eltern dadurch unterbunden wurde, dass Rick ins Internat geschickt wurde.
Der Titel und das Cover trügen also, denn Partygirl ist keine leichte Kost. Nicht umsonst sind die Parallelen zu Edgar A. Poes Der Untergang des Hauses Usher unübersehbar. Poes Krise der modernen Subjektivität erweitert Streeruwitz um die Krise der Gesellschaft und den Umgang mit Erinnerung und Vergangenheit.
Während Poe den Tod einer schönen Frau als das angemessenste Thema von Melancholie definiert, lässt Streeruwitz hingegen nur Männer, bevorzugt ältere sterben. Madeline hingegen bleibt das Girl, das Mädchen, das sesselschaukelnd vergisst, dass es schon seit Jahren erwachsen sein sollte.
Partygirl ist sperrig, schwer zu knacken, doch es lohnt sich am Ball zu bleiben.
Marlene Streeruwitz
Partygirl
S. Fischer, 2002
ISBN: 3-10-074426-8
Preis: 19,90 EUR200707526075 "