Thomas Blubacher - Gibt es etwas Schöneres als Sehnsucht - Die Geschwister Mendelssohn - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Literatur



AVIVA-BERLIN.de im Mai 2024 - Beitrag vom 25.11.2008


Thomas Blubacher - Gibt es etwas Schöneres als Sehnsucht - Die Geschwister Mendelssohn
Silvy Pommerenke

Hineingeboren in Wohlstand und Luxus, gehörten Eleonora und Francesco zu den wohl berühmtesten und kreativsten Menschen der Weimarer Republik und vor allem "Cesco" ...




... so die Kurzform von Francesco, machte durch unzählige Skandale von sich reden.

Der Autor Thomas Blubacher hat eine unendliche Fleiß- und Recherchearbeit mit dieser Doppelbiographie vorgelegt. Allerdings liegt darin auch das Problem dieses Wälzers, denn Blubacher verliert sich häufig in unzähligen Nebensätzen, um sein Wissen der LeserIn mitzuteilen. Das liest sich oftmals zäh und verworren, beispielsweise wenn er schreibt, dass Herr A Frau B geheiratet hat, Frau B hingegen die Tochter von Herrn C und die Enkelin von Herrn D war und spätere Mutter von Frau E ist, die wiederum irgendwann mit Frau F eine Liaison eingehen wird. Dieses konzentrierte Namedropping findet sich auf fast jeder Seite, so dass das Entwirren des roten Fadens und Zuordnen in einen historischen Kontext oft über dem eigentlichen Inhalt steht.

Denn bei allem geht es doch um das Geschwisterpaar Eleonora und Franz (Francesco) Mendelssohn, die die Ur-Ur-Ur-EnkelInnen von Moses Mendelssohn waren. Dieses Wissen war den beiden zwar präsent, aber mit Philosophie oder Bankgeschäften wollten sie nichts zu tun haben. Mehrsprachig und musisch erzogen, waren sie mit den Klassikern der Weltliteratur bestens vertraut und stellten ihr Leben in den Bereich der schönen Künste. In großangelegten Festen und Orgien strebten sie ein Leben in der Bohème an. Während Eleonora sich der Schauspielerei widmete, machte sich ihr Bruder Francesco in den 20er Jahren als erstklassiger Cellist einen Namen. Aber der finanzielle Überfluss und vor allem die Drogeneskapaden sollten beiden letztendlich das Genick brechen. Auch in der Liebe schienen Bruder und Schwester nie ihr wahres Glück zu finden. Cesco hatte unzählige Affairen zu Männern (unter anderem zu Gustaf Gründgens oder Vladimir Horowitz, aber auch den einfachen Matrosen verschmähte er nicht) und trat im Berlin der Goldenen Zwanziger als exaltierter Dandy in Erscheinung. Seine Schwester hingegen war insgesamt viermal verheiratet und ihre Liebe zu Max Reinhardt und Arturo Toscanini trug krankhafte Züge.

Eleonora von Mendelssohn (1900-1951), heiratete das erste Mal mit 19, das vierte und letzte Mal mit 47 Jahren. In der Zeit dazwischen fing sie mit dem Schauspielstudium an, da ihr großes Vorbild ihre Patentante, die berühmte Schauspielerin Eleonora Duse (nach der sie auch ihren Namen erhielt) war. 1924 hatte Eleonora von Mendelssohn ihr Debut am Wiener Theater und feierte etliche Bühnenerfolge weltweit, unter anderem an der Seite von Gustaf Gründgens und Helene Thimig. Bereits Mitte der dreißiger Jahre ging sie in die USA ins Exil, wo sie viele EmigrantInnen unterstützte und zur Flucht aus Europa verhalf. Allerdings brachte das Exil auch berufliche, finanzielle und gesundheitliche Schwierigkeiten mit sich. Bereits in Europa wurde sie morphiumsüchtig, machte deswegen diverse erfolglose Entziehungskuren, litt häufig unter Depressionen und drohte bisweilen mit Selbstmord. 1951 wurde sie von ihrem Mitbewohner tot in der Wohnung aufgefunden. Die Obduktion ergab zwar keine Fremdeinwirkung, aber ob es sich tatsächlich um einen Suizid gehandelt hat, konnte nicht endgültig geklärt werden.

Franz (Francesco) von Mendelssohn (1901-1972) hatte die musikalische Gabe seines Urgroßonkels Felix Mendelssohn Bartoldy (1809-1847) geerbt und galt in den 1920er Jahren als großes Cello-Talent. Allerdings verbauten ihm sein ausschweifendes sexuelles Leben und seine Alkoholsucht die musikalische Karriere. Daraufhin wandte er sich ebenfalls dem Theater zu, allerdings als Regisseur, wofür er anfänglich nur wenig Beifall bekam. Erst als er am Broadway Regie bei zwei Horváth-Uraufführungen und der Dreigroschenoper führte, erhielt er beachtliche Kritiken. Aber auch hier sollte ihm seine Alkohol- und Sexsucht zum Verhängnis werden, die ihn mehrfach ins Gefängnis und in die Psychiatrie brachte. Nachdem vermutlich eine Lobotomie an ihm durchgeführt wurde, war er von seinem Wesen her völlig verändert, wodurch sich viele ehemalige FreundInnen von ihm abwandten. Etwa die letzten fünfzehn Jahre seines Lebens verbrachte er bei einer alleinstehenden älteren Dame, die sich seiner wie eines Sohnes annahm. Vom ehemaligen Dandy war nichts mehr zu spüren. 1972 starb Francesco an den Folgen einer Operation.

Diese beiden aufregenden aber auch tragischen Leben lassen sich dennoch viel kürzer zusammenfassen, denn Elisabeth Berger äußerte sich zum Tod ihrer langjährigen Freundin Eleonora: "Der schönste, edelste, vielbegabteste, vielgeliebteste, unglücklichste Mensch, dem ich je begegnet war. Die Freundin, die ich sehr geliebt hatte, und der ich nicht helfen konnte." Alice Bernoulli hingegen sagte nach dem Tod Francescos: "...die meisten seiner alten Freunde fanden ihn nach seiner gänzlichen Charakter-Veränderung zu langweilig und ließen ihn fallen. Ein trauriges Ende. Aber welch ein Kapitel in unserem Leben!!"

Weiterlesen: "Das Leben der Annemarie Schwarzenbach" und "Erika und Klaus Mann"

Zum Autor: Der promovierte Theaterwissenschaftler Thomas Blubacher, 1967 in Basel geboren, ist als Regisseur für Bühnen in Deutschland, Österreich, der Schweiz und den USA tätig. Er publizierte u.a. eine Monografie über Gustaf Gründgens, schrieb für Zeitungen wie den Aufbau und die Süddeutsche Zeitung und war Autor mehrerer Radiofeatures. 2002 war er Writer-in-residence in der Villa Aurora in Pacific Palisades (USA). (Quelle: Verlagsinformationen)

AVIVA-Tipp: Der Theaterwissenschaftler Thomas Blubacher hat mit der Doppelbiographie über Eleonora und Francesco von Mendelssohn zwei der wohl interessantesten Leben der Bohème des letzten Jahrhunderts nachgezeichnet. Dabei verliert er sich leider oftmals in unendlichen Details, die das Lesen häufig erschweren und die durchaus an vielen Stellen hätten gekürzt werden können. Auch ein Stammbaum der Familie Mendelssohn wäre zum besseren Verständnis wünschenswert gewesen. Dennoch ist das Buch – nicht nur für Theaterinteressierte – eine absolut spannende und informative Lektüre, die am Ende die LeserIn mit einem exorbitanten Wissenszuwachs belohnt.

Thomas Blubacher
Gibt es etwas Schöneres als Sehnsucht?
Die Geschwister Eleonora und Francesco von Mendelssohn

Verlag: Henschel, August 2008
Gebunden, 448 Seiten
ca. 100 S/W-Abbildungen
ISBN: 978-3894876234
29,90 Euro

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