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AVIVA-BERLIN.de im Dezember 2024 - Beitrag vom 05.04.2011


Insight: Micha Bar-Am´s Israel
Ricarda Ameling

Begleitend zur deutsch-israelischen Doppelausstellung "Insight: Micha Bar-Am´s Israel" erscheint der neue Bildband des wohl bekanntesten und wichtigsten Fotografen Israels. Ob Kriegsgeschehen oder...




... Familienidylle - seine Arbeiten sind weltweit bekannt und ein wichtiges Zeugnis der Geschichte Israels seit seiner Staatsgründung im Jahr 1948.

Jerusalem, das Leben in der Westbank, die Hoffnungen und Nöte der ImmigrantInnen, das Kibbuzleben, Festivals, das traditionell jüdische Leben, berauschende Landschaften... vor allem aber auch den Kriegsalltag: Micha Bar-Am hat wohl fast alle Nuancen des israelischen Lebens mit seiner Kamera festgehalten, einer früh beginnenden Leidenschaft, wie Bar-Am in einem Interview mit Deutschlandradio Kultur am 29. März 2011 in charmantem Deutsch beschrieb: "Und da hab´ ich von einem Freund im Kibbuz seinen Fotoapparat geborgt, und ich habe langsam angefangen zu fotografieren. Und es war mir ganz klar, dass das ist eigentlich, was ich am liebsten mache."

Jede seiner Aufnahmen spiegelt diese Liebe zur Fotografie, aber auch zum Menschen, seine Neugier, seinen Gerechtigkeitssinn und Wärme wider. Für seine 81 Jahre erstaunlich fit und humorvoll, eröffnete der geborene Berliner am 31. März 2011 nicht nur seine Retrospektive "Insight: Micha Bar-Am´s Israel" im Willi-Brandt-Haus, sondern stellte auch seinen gleichnamigen, von der Kulturwissenschaftlerin Dr. Alexandra Nocke herausgegebenen, Bildband vor.

Zeuge der Entwicklung des Staates Israel

Micha Bar-Am wurde 1930 als Michael Anguli in Berlin geboren, seine Familie zog bald darauf nach Ulm. Sein Vater, selbst Sohn von Flüchtlingen aus dem zaristischen Russland, erahnte schon früh den aufkommenden Umbruch in Europa und beschloss die Emigration nach Palästina. So erreichte Familie Anguli am 1. August 1936 auf dem Schiff Galilea den Hafen von Haifa und Bar-Am erlebte seine Kindheit und Jugend im Kibbuz Kiryat Bialik.
Jüdische Einwanderer aus dem deutschsprachigen Raum, die die deutsche Sprache und klassische Literatur in ihrem Alltag und in ihren Erinnerungen lebendig hielten – Familie Anguli entsprach dem Klischee einer typischen Jeckes-Familie. Der Versuch, möglichst viele Gewohnheiten aus dem vertrauten Geburtsland mitnehmen zu können, sich auf der anderen Seite auch in der neuen Heimat einzuleben, der Spagat zwischen Traditionen und Inkulturation in einer völlig fremden Umgebung – für Micha Bar-Am gehörten diese ambivalenten Gefühle ebenso zum Alltag wie die aus Ulm mitgebrachten Holz-Skier, die ihr Dasein im Schuppen fristen mussten.

Doch bald war auch Bar-Am von der Euphorie begeistert, welche von der sich entwickelnden jungen Nation ausging. Mit dreizehn Jahren legte er die offensichtlichsten Zeichen der Diaspora ab und nannte sich fortan nicht mehr Michael Anguli, sondern Micha Bar-Am. "Ich fühlte mich als Teil eines neuen, im Entstehen begriffenen Volkes und habe deshalb diesen Namen gewählt: ´Bar´ bedeutet im biblischen Hebräisch nicht nur ´Sohn von´ sondern auch ´wild´ und ´Weizen´, und ´am´ bedeutet ´Volk´."

Der junge Bar-Am kämpfte als Soldat im israelischen Unabhängigkeitskrieg als Mitglied des Palmach, die militärische Streitmacht der Untergrundorganisation Hagana. An der Seite der Alliierten im Zweiten Weltkrieg kämpften dessen Mitglieder in der Jüdischen Brigade, Angehörige des Palyam, der Marineeinheit des Palmach, befreiten unter Jitzhak Rabin 1945 rund zweihundert jüdische Einwanderer, die von der britischen Mandatsregierung im Flüchtlingslager in Atlit eingesperrt worden waren.
Nach seinem Militärdienst arbeitete Bar-Am in verschiedenen Berufen, bevor er sich voll und ganz der Fotografie widmete.

Karriere als Fotograf

Zunächst begeisterter Amateurfotograf, wurde seine Leica Anfang der 1950er Jahre zu seinem ständigen Begleiter, durch welche er seine neue Heimat erkundete und kennen lernte. Im Jahr 1949 wurde Bar-Am einer der Mitbegründer des Kibbuz Malkiya an der libanesischen Grenze und er begann unter anderem das Kibbuzleben zu dokumentieren. Auch fand er eine besondere Inspiration in der Landschaft des Nordens und fühlte sich stark zu den Dörfern der Drusen und Araber in seiner Umgebung hingezogen. So entstand über Jahrzehnte hinweg die fotografische Dokumentation über das in Obergaliläa gelegene arabische Dorf Peki´in.

"Wenn du zu nahe am Geschehen bist, verlierst du die Perspektive. Es ist nicht leicht, mit den Fakten fair umzugehen und seine eigene Überzeugung aus dem Bild herauszulassen. Es ist fast unmöglich, bei einem Geschehen gleichzeitig Beteiligter, Beobachter, Zeuge und Dolmetscher zu sein."

Doch dass Bar-Am diese Kunst beherrscht, zeigt er eindrucksvoll bereits seit etlichen Jahren. Nachdem er unter anderem 1956 den Sinai-Krieg dokumentierte und sein erstes Buch, Across Sinai, veröffentlichte, erhielt er ein Angebot der Redaktion des israelischen Armeemagazins Ba-Mahaneh, für das er von 1957 bis 1967 als Fotograf und Redakteur tätig war. 1961 fotografierte er den Adolf-Eichmann-Prozess in Jerusalem. Ab 1966 arbeitete er freiberuflich und dokumentierte 1967 den Sechs-Tage-Krieg. Hier lernte er Cornell Capa kennen, einen weltweit bekannten ungarisch-amerikanischen Fotografen, der den Bildjournalismus maßgeblich prägte. Mit ihm war er Mitte der 1960er Jahre Kurator für mehrere Ausstellungen und Bücher, darunter Israel: The Reality. Von 1968 bis 1992 war er Israel-Korrespondent der New York Times, ebenfalls im Jahr 1968 unterzeichnete er den Vertrag bei der legendären, international anerkannten Fotoagentur Magnum - bis heute ist er hier das einzig israelische Mitglied. 1974 half er Cornell Capa bei der Gründung des International Center of Photography in New York. Sowohl hier, als auch für Ausstellungen des Photography Departments im Tel Aviv Museum of Art (1977 bis 1992), war Bar-Am als Kurator verantwortlich.

Micha Bar-Am auf dem Schlachtfeld, dieser Gedanke hat etwas Paradoxes an sich, man kann sich kaum vorstellen, dass dieser ausgeglichene und sehr friedlich wirkende Mann nahezu alle israelischen Kriege hautnah dokumentierte bzw. mitkämpfte, immer unmittelbar im Gefecht. Bar-Am erklärte gegenüber Deutschlandradio Kultur, er habe sich zeitlebens hinter seiner Kamera versteckt:
"Ich habe mich nie als Kriegsfotograf gesehen. Ich habe fotografiert, was geschah in meinen Kreisen. Ob das meine eigene Familie ist oder ist das mein Kibbuz oder die israelische Armee oder die Straßen von Tel Aviv. Und wenn ein Krieg ab und zu, wie bei uns jede zehn Jahre ungefähr ein neuer Krieg ist, dann bin ich dort, weil das das Geschehen der Zeit ist. Ich sehe mich vielmehr als Chronist und nicht als bewusster Kriegsfotograf."

Insight: Micha Bar-Am´s Israel ist dafür der beste Beweis. Bar-Am zeigt uns, wie er Israel wahrnimmt. Mit dramatischen und eindrucksvollen Schwarz-Weiß-Aufnahmen (er arbeitet nur sehr selten auf Farbe) zeigt er die Vielfalt des jungen Staates Israels, seiner Landschaft, BewohnerInnen, Probleme und Konflikte, aber auch seiner lebensfrohen Atmosphäre. "Ich bin ein aggressiver Optimist", so charakterisierte Bar-Am im Willy-Brandt-Haus seine Philosophie. Und diese Haltung manifestiert sich durch sein fortwährendes Bestreben, die Entwicklung in seiner Heimat fotografisch festzuhalten.

Bar-Am bewegt sich mit seinen Zeitzeugnissen auf die menschliche Ebene des Konflikts im Nahen Osten. Ob er nun ängstliche Kinder in Luftschutzbunkern, arabische Kriegsgefangene, zerstörte und verlassene Dörfer, israelische SoldatInnen in ihrem Kriegsalltag oder PalästinenserInnen auf der Flucht fotografierte: Bar-Am zeigte immer die Schattenseite und das Leiden auf beiden Seiten.

Dabei halfen ihm seine Sprachkenntnisse, einfühlsam auf die Menschen zuzugehen. Der Fotograf lernte Hebräisch, Englisch, Französisch und Hocharabisch in der Schule, das gesprochene Arabisch auf seinen Streifzügen als Junge in Haifa.

"Was am wichtigsten ist, ist ein Herz mitzubringen. Nicht nur abstrakte Ideen, die in der Welt rumschweben. Sondern eine Möglichkeit mitzufühlen und manchmal auch den Ego-Trip ein bisschen niedriger zu halten. Leider lehrt man heute viel zu viel Theorie, philosophiert zu viel in Fotografie. Für meinen Geschmack. Und Philosophie ist fantastisch und sehr wichtig. Aber nicht immer bildschaffend."

Das Projekt Insight: Micha Bar-Am´s Israel

Die Kuratorin Dr. Alexandra Nocke hat Bar-Am vor einigen Jahren in Israel kennengelernt und wünschte sich seitdem, seine Fotos zu präsentieren: "Aus dieser Idee ist ein ganz konkretes Projekt geworden. Und es ist uns nur gelungen, dieses Projekt zu realisieren, weil zwei Institutionen ihre Kräfte vereint haben, einmal die Open Museums in Israel und einmal der Freundeskreis Willy-Brandt-Haus e. V.. Es war eine riesige Herausforderung, in einem Archiv von ungefähr 500.000 Einzelstücken eine Ausstellung von circa 200 Exponaten zusammenzustellen."

Zeitgleich mit der Retrospektive des Gesamtwerks von Micha Bar-Am in Berlin wird es auch in Tel Chai, im Norden Israels, eine Micha Bar-Am - Ausstellung zum Thema Familie geben. Mehr als zwei Jahre haben Deutsche und Israelis auf diese Werkschauen hingearbeitet.

Israel und das Werk Micha Bar-Am´s hängen unmittelbar miteinander zusammen, dies wird in der Berliner Ausstellung als auch im sehr informativen Bildband deutlich. Durch die eigene Biographie auf das Engste mit der Entwicklung Israels verbunden, wurde Micha Bar-Am bei der Eröffnung seiner Ausstellung gefragt: "Wie würden Sie das Israel Heute ins Bild setzen?" Seine Antwort: "Wie fotografiert man Hoffnung?"

AVIVA-Tipp: Bar-Am ist ein Geschichtenerzähler. Mit Hilfe seiner Fotos dokumentiert er das alltägliche, manchmal dramatische und manchmal normale Leben in Israel. Seine Fotos zeigen eine tiefe Verbundenheit zum Menschen, egal welcher Religion und Nationalität. "Insight: Micha Bar-Am´s Israel" zeigt eine Vielzahl von bislang unveröffentlichtem Archivmaterial und von bereits international bekannten Arbeiten - eine großartige Chronologie der Geschichte Israels.

Insight: Micha Bar-Am´s Israel
Monographie
Herausgeberin: Dr. Alexandra Nocke
Beiträge von Simon Schama, Thomas L. Friedman, John le Carré, Herlinde Koelbl, Yoram Kaniuk u.a.
Koenig Books, erschienen April 2011
Hardcover, 336 Seiten mit 204 (37 farbigen) Abbildungen
Text in deutscher und englischer Sprache
ISBN: 978-3-86560-982-3
29,80 Euro

Der Bildband "Insight: Micha Bar-Am´s Israel" kann im Onlineshop der Buchhandlung König bestellt werden:
www.buchhandlung-walther-koenig.de

Informationen zur Fotoausstellung "Insight: Micha Bar-Am´s Israel", noch zu besichtigen bis 21. Mai 2011, finden Sie unter:
www.willy-brandt-haus.de

Weitere Informationen zu Micha Bar-Am finden Sie unter:

www.michabaram.com

www.alexandranocke.de

www.magnumphotos.com

www.dradio.de

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Literatur

Beitrag vom 05.04.2011

AVIVA-Redaktion