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Beitrag vom 30.03.2011
Gladys Ambort - Wenn die anderen verschwinden sind wir nichts
Anna Hohle
Als 17jährige Schülerin wurde die Autorin verhaftet und verbrachte drei Jahre in argentinischen Gefängnissen. Die Biographie der mit dem Preis "Femme exilée, femme engagée" ausgezeichneten...
...Aktivistin erschien im März 2011 im LAIKA-Verlag. Die Auszeichnung wird jährlich an Frauen vergeben, die sich durch ihr Schaffen für die Menschenrechte einsetzen.
Über 30.000 Menschen wurden in den 1970er Jahren unter der argentinischen Militärdiktatur ermordet. Von Militärs und Sicherheitskräften verhaftet oder verschleppt, hielt man sie an geheimen Orten oder in den zahlreichen Haftanstalten des Landes gefangen. Viele der größtenteils jungen Frauen und Männer verschwanden spurlos – sie wurden zu Desaparecidos ("Verschwundenen"), von denen in der Hauptstadt Buenos Aires bis heute riesige Plakate mit den Fotos der tausenden von Vermissten zeugen.
Im Mai 1975 verhafteten Polizisten unter der Regierung Isabel Peróns die junge Gladys Ambort infolge ihres politischen Engagements. Eine Lehrerin ihrer Schule in der Provinz Córdoba hatte sie aufgrund einer Äußerung denunziert. Es folgte eine mehrjährige Haft in verschiedenen Gefängnissen: Zunächst im zum Frauengefängnis umfunktionierten Kloster Buen Pastor in RÃo Cuarto, ab Dezember 1975 im Gefängnis der Stadt Córdoba, sowie ab 1976 im Villa Devoto-Gefängnis der Hauptstadt Buenos Aires.
In ihren autobiographischen Aufzeichnungen schildert Ambort jene Jahre, in denen nach eigener Aussage ihre Kindheit abrupt endete. Sie berichtet von Kälte, Hunger und Schmerzen, von Bestrafung und Isolation, vom Terror der WärterInnen und vom Verschwinden vieler Mitgefangener. Sie berichtet aber auch von der jungen Gladys, die all dies erlebt - von ihren Gedanken und Hoffnungen, die lange Zeit den erbarmungslosen Bedingungen trotzten. So liest sich die Biographie nicht bloß als bedrückender Bericht jener leidvollen Jahre, sondern auch als Charakteristik einer starken und idealistischen jungen Frau.
Mehrere Wochen verbrachte die junge Aktivistin in Isolationshaft. Jenen andauernden Verlust menschlicher Gegenwart beschreibt sie als Auslöser des Zerbrechens der eigenen Identität. Die Isolation potenzierte sämtliche Leiden, ihr "gelang es, […] mir das Bewusstsein meiner eigenen Existenz zu rauben, […] mich auslöschen bis zu einem Grad, an dem ich mich […] nicht mehr der Menschheit zugehörig fühlte.".
Obwohl Ambort von Leid und Verzweiflung berichtet, sind ihre Aufzeichnungen doch nicht von Hoffnungslosigkeit geprägt. Auszüge aus Gefängnisbriefen der Siebzehnjährigen sowie Zitate bekannter AutorInnen und ZeitzeugInnen der unterschiedlichen Gewaltregimes des 20. Jahrhunderts lassen das Buch über das rein Biographische hinaus zu einer klugen philosophischen Reflexion über Identität und Gemeinschaft werden. In der Einsamkeit ging der jungen Argentinierin die Bedeutung der Präsenz anderer Menschen auf: "Meine Isolation […] machte mir bewusst, dass ich alles den anderen zu verdanken hatte, weil ich ohne sie nichts mehr war. […] [Wir alle] erfinden unsere eigene Geschichte und erzählen sie, […] aber wenn die, denen wir diese Geschichte erzählen, verschwinden, ergibt auch die Geschichte keinen Sinn mehr".
Gladys Ambort überlebte Gewalt und Isolation. 1978 wurde auf Druck von internationalen Organisationen ihrem Exilgesuch stattgegeben. Am 9. Februar desselben Jahres kam sie in Paris an. Im Rahmen einer Pressekonferenz berichtete sie dort - in Anwesenheit unter anderem Simone de Beauvoirs – von ihren Erlebnissen. Dabei wurde ihr die Unmöglichkeit der Worte bewusst, Terror und Schrecken des Erlebten zu beschreiben: "Die Worte fehlen uns. Worte, mit denen gesagt oder geschrieben werden kann, was wirklich vorgefallen ist. Wahrscheinlich existieren solche Worte nicht, […] wahrscheinlich wurde eine solche Sprache noch nicht geschaffen".
Bis zum heutigen Tag blieben einige Dinge für sie unsagbar, bekennt die Autorin. Dennoch trägt ihr Buch durch die Kombination aus ergreifender Biographie und tiefgründiger philosophischer Reflexion, aus persönlichem Erleben und Zitaten von ZeitzeugInnen dazu bei, den LeserInnen zumindest einen Eindruck des Unsagbaren zu ermöglichen. So wird ihr Werk auch zu einem Exempel für die Kraft des Schreibens.
Die Literatur war es dann auch, die Ambort half, durch die Worte anderer SchriftstellerInnen und Überlebender von Gewaltregimes eine Sprache für das eigene Erleben und letztendlich die eigene Identität wiederzufinden: "Über die Literatur war ich mit unendlich vielen möglichen Welten verbunden, […] die Literatur zeigte mir das Andere in mir und darüber auch die anderen. Sie half mir, die notwendige Einheit wiederherzustellen um sein zu können".
AVIVA-Tipp: Eine berührende Biografie, ein bedrückendes Zeitzeugnis, ein kluges, nachdenkliches Buch über die Notwendigkeit der Gegenwart Anderer für die eigene Identität: über die Bedeutung des Gegenübers, die doch letztendlich der Schlüssel zur Überwindung des Terrors und der Gewalt Mensch gegen Mensch sein könnte und müsste.
Zur Autorin: Gladys Ambort, geboren 1958, war 17 Jahre alt, als sie auf Grund der Denunziation einer Lehrerin verhaftet wurde und für drei Jahre in argentinischen Gefängnissen saß, teilsweise in Isolationshaft. 1978 wurde sie ins französische Exil entlassen. Sie studierte Philosophie und Soziologie und erwarb an der Universität in Genf, wo sie heute lebt, den Doktortitel in vergleichender Literaturwissenschaft. Am 1. April 2011 wird ihr die Auszeichnung Femme exilée, femme engagée überreicht, die seit 2001 jährlich vergeben wird. Der Preis wurde von der italienischen Menschenrechtsaktivistin Alba Viotto ins Leben gerufen. Er würdigt Frauen aller Nationalitäten, die sich durch ihr Schaffen für die Menschenrechte einsetzen.
(Quelle: LAIKA-Verlag)
Gladys Ambort
Wenn die anderen verschwinden sind wir nichts. Vom Ende meiner Jugend in einer Isolationszelle
LAIKA Verlag, erschienen März 2011
broschiert, 224 Seiten
ISBN 978-3-942281-94-2
19,90 Euro
www.laika-verlag.de
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