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Beitrag vom 16.09.2010
Angelika Platen - Künstler
Elina Ioschpa
Mehr als fünfhundert KünstlerInnen hat Angelika Platen in Ateliers, Galerien, auf Biennalen und bei Auktionen fotografiert. Überraschende Schwarz Weiß Fotografien dokumentieren Stationen einer...
...vorsichtigen Annäherung und eines intensiven Dialogs.
Ihre erste Kamera kaufte Angelika Platen 1963, als ihre Tochter geboren wurde. Im Interview mit dem Autor Thomas Hettche für den Bildband "Künstler" verriet die Fotografin:
"[...] Die ersten zwei Jahre hab ich nur Babyfotos gemacht. Bis wir 1964 auf unsere große Wüstenreise gegangen sind – mein Mann hatte einen Auftrag vom NDR - , mit dem Bus nach Spanien und über Gibraltar nach Marokko, nach Algier und weiter in die Wüste bis In Salah und dann mit dem Lastwagen weiter nach Süden bis Tamanrasset, zu den Tuareg. [...] Mein Mann hatte seine kleine Filmkamera dabei und ich meinen Fotoapparat."
In diesen Jahren entfachte Angelika Platens Leidenschaft für das Fotografieren und bald reichten ihr die privaten Amateuraufnahmen nicht mehr, sie wollte Profi werden und begann an der Hochschule für bildende Kunst in Hamburg mit dem Studium der Fotografie. Im Keller richtete sie sich eine Dunkelkammer ein und nahm während ihres Studiums erste Aufträge an. Hauptsächlich fotografierte sie während dieser Zeit Theaterstücke und Happenings von KünstlerInnen. Der Durchbruch gelang ihr 1968 mit den Aufnahmen, die sie von der Eröffnung der Joseph Beuys Ausstellung im Van Abbemuseum in Eindhoven machte. Von dem Tag an begann Angelika Platens Karriere.
Bereits 1969 hatte sie ihre erste Einzelausstellung im Hamburger KünstlerInnenklub "Die Insel". Kurz darauf gestaltete sie bei der Wochenzeitung "Die Zeit" die Seite "Kunst als Ware" und übernahm die Leitung der Galerie für zeitgenössische Kunst von Gunter Sachs. Zwischen Mitte der 1960er- und Mitte der 1970er Jahre fotografierte sie mehr als 500 KünstlerInnen. Die spannendsten Schwarz Weiß-Aufnahmen füllen die 240 Seiten des Bildbands "Künstler". Texte des Kulturjournalisten Günter Engelhard in deutscher und englischer Sprache erläutern die Machart der Fotografien und lenken den Blick der BetrachterInnen auf besondere Details der Bilder. Jede einzelne Seite von "Künstler" überzeugt mit verblüffenden Aufnahmen von kantigen und kultigen KünstlerInnenpersönlichkeiten. Denn alle Modelle ließen sich auf das Spiel mit Angelika Platens Kamera ein.
Die Malerin Leiko Ikemura posiert in ihrem Kölner Atelier auf dem Boden liegend, entlang der unteren Kante ihres Gemäldes. Angelika Platen fing den verträumten Blickt Ikemuras ein und hielt die Künstlerin und ihr Werk als poetische Einheit fest. Dem Zufall überlässt die Fotografin nichts, kunstvoll inszeniert sie ihre Modelle. Der Objektkünstler Ben Vautier posiert hinter einem Schild mit der Aufschrift "please no photos" und Gerhard Richter lässt sich von Platen beim gemeinsamen Shooting tief in seine Augen schauen.
Mitte der 1970er Jahre, auf dem Höhepunkt ihrer Karriere, beschließt Angelika Platen, neu anzufangen. Von 1976 bis 1996 schießt sie kein einziges Foto. Sie zieht nach Paris und arbeitet als Abteilungsleiterin für Werbung und Kommunikation in der Automobilindustrie. Warum sie damals die Fotografie aufgab, wollte die heute 58 Jährige in dem Interview mit Thomas Hettche nicht verraten.
Wie sie aber wieder zur Fotografie fand, offenbarte sie ihrem Interviewpartner:
"...als ich in Paris die Bilder wieder auspackte und meinen drei Kindern zeigte, war alles wieder da. Und als dann noch eine Anfrage aus Köln kam, man bereite ein Buch zum dreißigsten Kölner Kunstmarkt vor und wolle gern meine alten Bilder, hab ich angefangen, die Negative zu sichten, hab Excellisten angelegt und alles aus diesem alten Heften hier in den Computer gebracht..."
Eins ergab das andere und die Fotografin stellte 1999 ihre besten Aufnahmen im "Museum für Moderne Kunst" in Frankfurt aus. Sie ging zurück nach Deutschland und begann wieder zu fotografieren. Inzwischen hat sie 20.000 neue Fotos gemacht. Auf den aktuellen Arbeiten sind viele von den KünstlerInnen zu sehen, die Platen bereits vor Jahren als junge Newcomer zu Beginn ihrer Karrieren und nun nochmals im Alter fotografiert hat. Auf das Vertrauen, das die Porträtierten ihr einst entgegenbrachten, kann sich Platen auch heute noch immer verlassen.
Das sieht man ihren Fotografien der Konzeptkünstlerin Hanne Darboven an. Bereits 1971 posierte sie für Angelika Platens und blickte als junge Frau anmutig und etwas scheu in die Kamera. Auf Millimeterpapier hatte sie auf ihrer Schreibzeit-Wand zeichnerisch Zeitabläufe festgehalten und galt in den 1970er Jahren bereits als eine der wichtigsten VertreterInnen der Konzeptkunst. Fünfunddreißig Jahre später besucht Angelika Platen Hanne Darboven in ihrem Bauernhaus in der Nähe von Hamburg und macht Fotos von der gealterten und von ihrer Krebserkrankung gezeichneten Künstlerin. Darboven steht vor einer blühenden Orchidee in einem streng geschnitten Herrenanzug mit Zigarette. Von ihrer einstigen Scheu ist nichts mehr zu sehen, ihr Anmut ist aber nach wie vor auf den Bildern zu spüren.
Platen gelingt es immer im richtigen Augenblick, auf den Auslöser zu drücken. Die Fotografien verblüffen durch ihre ungekünstelte Offenheit und erfassen präzise und eindringlich das Wesen der porträtierten KünstlerInnen. Im Interview offenbart Angelika Platen, worauf es ihr beim Fotografieren der MalerInnen, BildhauerInnen und AktionskünstlerInnen wirklich ankam: "Ich war nur die, die ihnen ins Gesicht und in die Seele schauen wollte." Der Bildband "Künstler" ist der beste Beweis, dass Platen dies meisterhaft gelungen ist.
Zur Fotografin: Angelika Platen wurde 1942 in Heidelberg geboren. Sie lebte in Ludwigshafen, Marl, Hamburg und New Jersey. 1968 begann sie ihr Studium der Fotografie an der "Hochschule für bildende Künste" in Hamburg. Bereits 1969 hatte sie ihre erste Einzelausstellung im Hamburger KünstlerInnenklub "Die Insel". Von 1970 bis 1976 arbeitete sie für die Wochenzeitung "Die Zeit" und leitete die Galerie für zeitgenössische Kunst von Gunter Sachs in Hamburg. 1976 beendete sie ihre Karriere als Fotografin und siedelte nach Paris über, wo sie als Abteilungsleiterin für Werbung und Kommunikation in der Automobilindustrie arbeitete. Erst 1997 begann sie wieder zu fotografieren. Es folgten Einzelausstellungen im "Museum für Moderne Kunst" in Frankfurt am Main, dem "Museum für Kunst und Gewerbe" in Hamburg, dem "Fries Museum" in Leeuwarden, dem "Goethe-Institute" Paris und Washington, der "Galleria d´arte Moderna" in Bologna und dem "Martin Gropiusbau" in Berlin. Angelika Platen lebt heute in Berlin und Paris. (Quelle: Verlagsinformationen)
Mehr Infos finden Sie auf der Homepage der Fotografin: www.angelikaplaten.com
AVIVA-Tipp: Den Aufnahmen der 1960er und 1970er Jahre von Angelika Platen stehen die neu entstandenen Fotografien in Nichts nach. Platens Schwarz Weiß-Portraits beeindrucken nach wie vor durch den direkten Blick in die Augen der KünstlerInnen. Über das Genre der Portraitfotografie hinaus stehen sie als Zeitdokumente der internationalen und postmodernen Kunstszene.
Angelika Platen
Künstler
Herausgegeben von Günter Engelhard
Mit Beiträgen von Thomas Hettche, Heinz Peter Schwerfel und Christina Weiss
Hatje Cantz Verlag, erschienen 2010
Gebunden, 240 Seiten, 230 Abbildungen
ISBN: 978-3-7757-2653-5
49,80 Euro
Deutsch, Englisch
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Loredana Nemes – Beyond (2010)
Iona Rozeal Brown(2010)
Female Trouble - Die Kamera als Spiegel und Bühne weiblicher Inszenierungen(2008), herausgegeben von Inka Graeve Ingelmann
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