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Beitrag vom 07.07.2010
Amélie Nothomb - Der japanische Verlobte
Marie Heidingsfelder
"Weil nichts Schlechtes an ihm war, mochte ich ihn sehr. Weil ihm das Schlechte so fremd war, liebte ich ihn nicht." - Amélie Nothomb in Bestform: Leicht, schnell, intelligent - und Japan-verzaubert
Ein interkulturelles Beziehungsspiel
Im Original heißt "Der japanische Verlobte" "Ni d´Eve, ni d´Adam" - weder von Eva, noch von Adam. Und tatsächlich nutzt die belgische Autorin das klassische Muster einer Liebesgeschichte im Ausland nur als Sprungbrett für ihre eigene, ebenso originelle wie melancholische Variante, die heimlich drei ProtagonistInnen verbindet: Amélie, Rinri und Japan: Nach dem Studium in Belgien erfüllt sich Amélie Nothomb ihren Traum und kehrt nach Japan zurück, in das Land, in dem sie die ersten sechs Jahre ihres Lebens verbrachte. Zwei Jahre verbringt sie dort und während sie in "Mit Staunen und Zittern" ihr vollendetes Scheitern - degradiert zur Klofrau eines japanischen Unternehmens - beschrieb, ist "Der japanische Verlobte" ihrem ersten Jahr gewidmet: Einem Jahr, in dem ihr Staunen und Zittern noch der bloßen Faszination für die wieder gefundene Kultur und ihre erste Liebe gilt.
Über eine kleine Anzeige in einem japanischen Supermarkt - "Französisch-Einzelunterricht, attraktiver Preis" - lernt die 22-jährige belgische Studentin ihren Schüler Rinri kennen. Schnell wird der immer gleich gekleidete, rätselhafte Junge aus reichem Elternhaus ihr koibito: Derjenige, an dem sie Geschmack findet. Was ihr an Rinri schmeckt, ist seine Eigenartigkeit, in der sich japanische Traditionen mit möglichst westlichen Gewohnheiten mischen. Er ist zurückhaltend, ernsthaft und höflich - aber gleichzeitig isst er lieber Salami mit Mayonnaise statt Sushi und träumt davon, ein mittelalterlicher Tempelritter zu werden.
Amélie vereint die kulturellen Gegensätze ihrer zwei Heimaten auf ebenso widersprüchliche Weise: In dem Wunsch, Kindheitserinnerungen neu zu erleben, stürzt sie sich auf alle erreichbaren Elemente der japanischen Kultur: Sie isst lebendige Tintenfische, besteigt den Fuji und beobachtet aus ihrem High-Tech-Appartement die Kirschblüte per Fernglas.
Zwischen Französisch und Japanisch entspinnt sich eine ebenso rührende wie absurde Beziehung: Amélie und Rinri genießen die japanische Kultur, die für Verliebte eine feste Infrastruktur aufgebaut hat. Wie auf einem Parcours gehen sie die "romantischen" Orte und Sehenswürdigkeiten ab, genießen das buchstäbliche Gesellschaftsspiel und beglücken sich an ihren gegenseitigen Besonderheiten.
So bringt Rinri zum gemeinsamen Abendessen einen komplett ausgestatteten Koffer für "typisches Schweizer Fondue" mit, mitsamt einem intergalaktischen Brenner, einem antihaftbeschichteten Caquelon, ein Säckchen mit Schaumstoffkäse, unvergänglichem Brot und einer Flasche mit Frostschutzweißein. Typisch japanisch ist das ungenießbare Ergebnis für ihn allein der Geste wegen der Gipfel der Romantik, während Amélie verzweifelt versucht, den käsigen Fäden mit Chili-Geschmack abzuringen und schließlich, der reinen kindlichen Neugier wegen, beide Hände in die halbgekühlten Reste taucht. Was folgt, ist die wahre Romantik ihrer Beziehung, eine verspielte, verunsicherte und rührende Variante, die sich in den Zwischenräumen der strengen japanischen Infrastruktur ausbreitet: Aus Angst, sie mit dem Messer zu verletzen kniet Rinri vor ihr und knabbert den gelben Klumpen ab, in dem ihre Hände seifenresistent verschmolzen sind.
Nie verstehen sich die beiden blind, vielmehr sind sie ständig dabei, sich zu be-wundern und neu zu entdecken. Alles könnte so leicht und verspielt bleiben, wäre nicht Rinri entschlossen, ernst zu machen...
Big in Japan
In "Der japanische Verlobte" zeigt sich ein weiteres mal die große Stärke von Amélie Nothombs Romanen: Sie sind nicht lang, aber wichtiger noch, sie haben keine Längen. Ein ständiger Hunger nach Selbstauslotung, nach Grenzerfahrungen und nach Verzückung treibt Handlung und Sprache unaufhörlich voran. Meist basiert der Plot auf einer einzigen, ausgefallenen Idee, die das Lesen zu einer wahnwitzigen Fahrt in einen Strudel von absurden Situationen und emotionalen Extrema verwandelt. Getragen wird diese Achterbahn von genauen Beobachtungen und von einer tiefen Faszination für sich selbst und andere.
"Ich lese grad ein Buch von Amélie Nothomb über ein Kind, das sich wie eine Pflanze verhält" habe ich mich einmal erstaunt begeistert sagen hören - und "Metaphysik der Röhren" dennoch ohne abzusetzen beendet.
Besonders ist, dass sie trotz der scheinbaren Unbeschwertheit nicht in den Verdacht des Leichtsinns oder der Seichtheit gerät: Amélie Nothomb beherrscht die traurigen Passagen ebenso überzeugend, wie die amüsanten - und immer spürt man ihren bloßen Spaß am Schreiben.
AVIVA-Tipp: "Der japanische Verlobte" hält, was die früheren Romane von Amélie Nothomb versprechen: Originalität, hohes Tempo, Menschenkenntnis und sprühende Intelligenz. Ein Roman, der unterhält, den Blick schärft und lange Zugfahrten verschlingt.
Zur Autorin: Amélie Nothomb wurde 1967 als Tochter eines belgischen Diplomaten in Kobe, Japan, geboren. Ihre Kindheit und Jugend verbrachte sie hauptsächlich in Fernost. Außer Japan, China, Bangladesch und Burma lebte sie in den USA, bevor sie mit 17 nach Belgien kam, wo sie romanische Philologie studierte. 1992, mit 25, veröffentlichte sie ihren ersten Roman "Die Reinheit des Mörders" - ein Debüt, mit dem ihr sofort der nationale und internationale Durchbruch gelang.
Ihrer eigenen Aussage nach schreibt Amélie Nothomb genau 3,7 Romane pro Jahr, von denen sie nur einen einzigen veröffentlicht, da die anderen daneben gegangen und unlesbar seien. Gleichsam beschreibt sie sich als "schwanger mit Romanen."
Amélie Nothomb
Der japanische Verlobte
Originaltitel: Ni d´Eve, ni d´Adam, 2007, Éditions Albin Michel
Übersetzt aus dem Französischen von Brigitte Große
Diogenes Verlag, erschienen Februar 2010
Hardcover, 162 Seiten
ISBN-13: 978-3257067460
Weitere Infos zur Autorin finden Sie unter www.diogenes.ch
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