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AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 16.06.2010


Nino Haratischwili - Juja
Miriam Hutter

Die Theaterregisseurin Nino Haratischwili hat sich für ihren Debütroman "Juja" eine wahre Begebenheit vorgenommen, die sie zu einem spannenden Werk verarbeitet. Die Geschichte der mythischen...




... Gestalt Danielle Sarréra wird von Haratischwili in einer kunstvollen Mischung von verschiedenen Zeitebenen, Erzählweisen und Perspektiven neu erzählt..

Das Buch "Arsenikblüten" der Französin die sich 1949 mit siebzehn Jahren selbst umgebracht haben soll, zog den Selbstmord einiger junger Frauen nach sich.

"Es geht um den Mythos des einsamen Mädchens, das die Welt vernichten will und stattdessen sich selbst umbringt", wird in "Juja" ein unbestimmt bleibendes Erzählerinnen-Ich sagen.

In einer Pariser Dachkammer entdeckt, wurden die Schriften Sarréras 1974/76 unter den Namen "Oeuvre" und "Journal" veröffentlicht, woraufhin Sarréra in KünstlerInnen- und feministischen Kreisen aufgrund ihrer gewaltigen Sprachmacht als weiblicher Rimbaud gefeiert wurde.

"Ihre Worte sind kraftvolle Werkzeuge gegen gewaltige phallische Metaphern, die sie Wort für Wort zu vergewaltigen drohen", schrieb Manuela Reichart in der Zeit zur deutschen Erstveröffentlichung von Sarréras Schriften. Reichart schlug vor, diesen gewaltigen Sprachfluss, der in seiner Ungeordnetheit sinnauflösend, vernichtend ist, als Frauensprache im Sinne Luce Irigarays zu deuten.
Ausgestattet mit Zeichnungen der feministischen Medienkünstlerin Valie Export wurde das Buch von frauenbewegter Seite aus mit großer Begeisterung aufgenommen.

Die Autorin selbst ist jedoch nie in Erscheinung getreten, ein Beweis ihrer Existenz konnte nie erbracht werden, so dass Sarréras Verleger Frédérick Tristan die Autorschaft für sich beanspruchte. Die Identität der Verfasserin bleibt bis heute ungelöst.

"Ich nehme fremde Geschichten, um meine zu finden"

In "Juja" hat Haratischwili die Suche nach der Identität der Verfasserin eines Buches namens "Eiszeit" in den Mittelpunkt gestellt. Auszüge aus "Eiszeit" zeigen die wütenden literarischen Ergüsse einer jungen, Jeanne Saré genannten Frau, die Bezug nehmen auf eine machtvolle Natur und mythische Gestalten, wie die Ophelias.
Es bleibt nicht nur bei ihrem Buch, auch Saré selbst wird von einer undefinierten Erzählerinstanz beschrieben, die sich dabei allerdings rein auf ihre Phantasie zu stützen scheint: "Sie hatte kurze, nein lange Haare, dunkelbraun und spröde."

Die verschiedenen Romanfiguren werden hinsichtlich ihres Verhältnisses zu dem Buch "Eiszeit" und dessen Geschichte charakterisiert. Längere Dialoge, welche die Theaterherkunft Haratischwilis nicht verleugnen können, folgen auf Fließtexte, die in einer einfachen, unpräzisen Sprache geschrieben sind.
Dabei erzählt die Autorin die unterschiedlichen Geschichten der ProtagonistInnen in kurzen Kapiteln, die nicht chronologisch aufgebaut sind. Aus ihnen kristallisieren sich Bezüge zu den Geschichten der anderen nur zögerlich heraus, so dass sich den LeserInnen der Handlungszusammenhang erst nach und nach erschließt.

Was alle ProtagonistInnen miteinander gemeinsam haben, ist ihr Unglück, das entweder durch das Lesen der "Eiszeit" hervorgerufen wird, oder aber Folge eines traumatischen Erlebnisses ist.
Die einzige nicht weiter identifizierte Figur ist eine junge Frau, die aus einem "exotischen Land" kommt und schreibt und deren Kapitel mit "Ich" überschrieben sind. Nahe gelegt wird damit, dass sie die Urheberin von "Juja" ist, die diese Geschichte aufschreibt, um ihr Leben zu erleichtern.

"Ich habe meinen Spaß an Alkohol und Kunst verloren. Es wäre ganz gut, einen neuen Sinn zu finden, der alte ist mir irgendwie abhanden gekommen."

Alle Romanfiguren Haratischwilis sind in irgendeiner Weise auf der Suche nach einem Sinn, und diese Sinnsuche führt sie letztlich alle zu diesem Buch und dessen Verfasserin. Diese geben den Fragen nach der eigenen Identität, nach Fiktionen und einem authentischen Leben eine neue Bedeutung.
Gibt es eine wahre Geschichte? Oder geht es letztlich nur darum seine eigene Geschichte zu leben?

AVIVA-Tipp: Durchgehend spannend zu lesen, geht es in "Juja" um die Schwierigkeiten der zwischenmenschlichen Kommunikation, um Geschichten, die Menschen miteinander verbinden können, um Verlusterfahrungen und die Notwendigkeit, das eigene Leben zu leben.

Zur Autorin: Nino Haratischwili wurde 1983 in Tiflis, Georgien geboren und lebt heute in Hamburg. Sie hat von 1998-2000 eine freie zweisprachige Theatergruppe (Fliedertheater) geleitet, mit der sie nicht nur Auftritte in Georgien, sondern auch in Deutschland hatte. Sie studierte Regie in Tiflis und Hamburg und schreibt Prosatexte und Theaterstücke. Sie hat zusammen mit Philipp Löhle 2009 den Autorenpreis des Heidelberger Stückemarktes erhalten.
2001 ist ihre Erzählung "Der Cousin und Bekina" erschienen und 2009 "Georgia / Liv Stein: Zwei Stücke" (Quelle: Verlagsinformation).


Nino Haratischwili
Juja

Verbrecher Verlag, erschienen: März 2010
Hardcover, 299 Seiten
ISBN-13 978-3940426482
24 Euro


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Beitrag vom 16.06.2010

AVIVA-Redaktion