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Beitrag vom 14.07.2008
Keine Tochter aus gutem Hause – Johanna Elberskirchen, 1864-1943
Andrea Petzenhammer
Christiane Leidinger portraitiert eine der ersten feministischen und bekennend homosexuellen Schriftstellerinnen vor dem historischen Hintergrund zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus.
Die Politologin Christiane Leidinger hat es sich zum Ziel gemacht, lesbische Frauen in der Öffentlichkeit sichtbarer zu machen. Zusammen mit der freien Journalistin und Software-Trainerin Ingeborg Boxhammer arbeitet sie an ihrem No-Budget-Online-Projekt, das für mehr Transparenz in der Geschichte und im Internet sorgen soll. Im Zuge dieser Zusammenstellung veröffentlichte Christiane Leidinger 2008 eine Biographie über Johanna Elberskirchen (1864-1943), die sich Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts politisch und schriftstellerisch für homosexuelle Emanzipation im Kontext von Sexualreform und Sexualwissenschaft engagierte.
Die 1864 geborene Feministin erstritt sich trotz ihrer kleinbürgerlichen Herkunft eine schulische Ausbildung und sogar ein – wenn auch nicht vollendetes – Frauenstudium der Medizin in der Schweiz. Ihre soziale Herkunft und ihre offen gelebte Homosexualität motivierten sie zu einem engagierten Einsatz für emanzipatorische Veröffentlichungen und ließen sie für gleichwertige Bürgerrechte, unabhängig von der sexuellen Orientierung, kämpfen. Obwohl sie sich selbst als Wissenschaftlerin sah, sind ihre Publikationen von Polemik und Provokation geprägt, ihre Texte basieren auf Überlegungen zu Freiheit und sozialer Gerechtigkeit. Das Dilemma, weder den bürgerlichen Weg der Heirat wählen, noch einen Beruf anerkannt ausüben zu können, ließen sie bereits mit Anfang 20 erste Schriftstücke verfassen.
Neben ihrer publizistischen Tätigkeit arbeitete Johanna Elberskirchen trotz abgebrochen Medizinstudium auch als Naturärztin und Heilpraktikerin in Rüdersdorf bei Berlin. Ab 1933 kämpfte Elberskirchen gemeinsam mit ihrer damaligen Lebensgefährtin Hildegard Moniac um ihr wirtschaftliches und politisches Überleben. Die Umstände nach ihrem Tod in 1943 bleiben mysteriös, erst 1975 fanden und vergruben zwei Frauen heimlich die Urne von Johanna Elberskirchen im Grab ihrer letzten Partnerin. Inzwischen ehrte die Gemeinde sie mit einer Gedenktafel.
Leidinger bedient sich vieler zeitgenössischer Zitate und schriftlicher Überlieferungen, um Elberskirchens Situation so deutlich wie möglich darzustellen. Die Autorin beschreibt die teilweise verwischten Spuren der Sozialdemokratin anhand von ausführlichen Organisationsdokumentationen wie dem "Institut für Sexualwissenschaft" oder der "Weltliga für Sexualreform". Sie verfolgt auch die Spuren ihrer Mitstreiterinnen und Lebensgefährtinnen wie Anna Eysoldt, die einerseits in Konkurrenz und andererseits in enger Zusammenarbeit für feministische und grundsätzliche Rechte kämpften.
Zur Autorin: Christiane Leidinger lebt und arbeitet als freiberufliche Politologin in Berlin. Sie promovierte zu Globalisierung und Medien und arbeitet seit zehn Jahren als Lehrbeauftragte vor allem an Berliner Universitäten. Derzeit arbeitet sie neben ihrem Projekt www.lesbengeschichte.de an der Forschung zu politischen Theorien zum Widerstand im 20. Jahrhundert.
AVIVA-Tipp: Die Autorin Christiane Leidinger stellt mit "Keine Tochter aus gutem Hause" eine ausführlich recherchierte Biographie einer umstrittenen Feministin vor. Sie behält dabei stets den kritischen Blickwinkel: Immer wieder streicht sie die Schwäche Johanna Elberskirchens heraus, sich trotz aller gesellschaftspolitischer Überlegungen nicht von dem "rassenhygienischen", rechtsradikalen Gedankengut ihrer Zeit befreien zu können. Ergänzt wird dieser reflektierte, lebendige Einblick in die deutsche Geschichte durch ein umfangreiches Literaturverzeichnis, prägnante Quellenkommentierungen und einen ausführlichen Lebenslauf von Johanna Elberskirchen.
Christiane Leidinger
Keine Tochter aus gutem Hause – Johanna Elberskirchen (1864-1943)
UVK Verlagsgesellschaft, erschienen 2008
Gebunden, 480 Seiten, 67 S/W Abb.
ISBN: 978-3-86764-064-0
Euro 24,90
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