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Beitrag vom 12.05.2009
Gabriele Beyerlein - Es war in Berlin
Britta Leudolph
Wie lebte es sich eigentlich als Frau um 1900? Gabriele Beyerlein schildert das Leben zweier junger Frauen, eine aus der oberen Schicht, eine aus der Arbeiterklasse, und zeigt die Schwierigkeiten,...
... denen sich Frauen damals stellen mussten.
Berlin am Ende des 19. Jahrhunderts: Während sich die oberen Klassen in ihren Salons treffen um sich den Darbietungen junger KünstlerInnen zu widmen, kämpfen die Menschen am anderen Ende der sozialen Leiter ums nackte Überleben. Die Frauen trifft es besonders hart, oft genug müssen sie in mühevoller Heimarbeit schuften, damit sie sich und ihre Familie durchbringen können. Für Fabrikarbeit erhalten sie nur die Hälfte des Lohnes, den ein Mann für die gleiche Arbeit erhalten würde.
Vor diesem Hintergrund regt sich erstmals Widerstand gegen die bestehenden Zustände und zwar von zwei Seiten: zum einen durch die bürgerliche Frauenbewegung, die die Lage der Frauen verbessern will, jedoch nicht das System an sich in Frage stellt. Zum anderen durch die ArbeiterInnenbewegung, die die Klassengesellschaft zu überwinden sucht und von einer sozialistischen Gesellschaft träumt.
Baroness Margarethe von Zug gehört in dieser Welt zu den Privilegierten. Als einziges Kind eines Bankiers und Reichstagsabgeordneten aus altem Adelsgeschlecht lernt sie in ihrem Leben nur die Sonnenseiten kennen. Ihre gesamte Erziehung zielt darauf hin, eines Tages einen Mann aus gutem Hause zu heiraten und ihm eine liebevolle, ergebene Ehefrau zu sein. Erst langsam, hervorgerufen durch ihr zaghaftes Engagement für eine mittelose, allein stehende Frau, regen sich in Margarethe Zweifel an dem Leben, das sie führt.
Clara Bloos, eine junge Fabrikarbeiterin, hat für derlei Gedankengänge keine Zeit. Sie muss zum Unterhalt der Familie beitragen und arbeitet Woche für Woche elf Stunden täglich in einer Spinnerei. Wenn sie nach diesem langen anstrengenden Tag die elterliche Wohnung in einer Mietskaserne erreicht, muss sie ihrer Mutter bei der Heimarbeit zur Hand gehen. Trotz dieser unmenschlichen Anstrengungen reicht es nicht für das Nötigste und die Situation wird zudem verschärft, weil der Vater seinen Lohn allzu oft in der Kneipe vertrinkt.
Auf den ersten Blick haben diese beiden Frauen nichts gemeinsam. Doch wie der Zufall es will, verlieben sie sich in den gleichen Mann, Johann Nietnagel, ein junger Dichter und Sozialist. Margarethe lernt ihn bei einem Vortrag im Salon ihrer Mutter kennen, bei dem er für einen Eklat in der feinen Gesellschaft sorgt. Johann lebt in der gleichen Mietskaserne wie Clara, er geht bei ihrer Freundin Jenny, einer überzeugten Sozialistin, ein und aus, wo auch sie ihn eines Tages kennen lernt.
Gabriele Beyerlein gibt im dritten Teil ihrer Berlin-Trilogie einen umfangreichen Einblick in die Lebenswelt der Gesellschaft vor der Wende zum 20.Jahrhundert. Die Industrialisierung ist in vollem Gange, zu tragen ist sie von den Schwächsten. In dieser Zeit haben Frauen keine Rechte, jedoch viele Pflichten und sie haben sich in allem der Männerwelt unterzuordnen. "Es war in Berlin" thematisiert den Aufbruch zweier Frauen, die auf ganz unterschiedliche Weise für ihre Freiheit und auch für Gerechtigkeit kämpfen.
Der Anhang enthält historische Erläuterungen sowie Informationen zu im Roman erwähnten historischen Persönlichkeiten.
Zur Autorin: Gabriele Beyerlein, geboren 1949 in Bayern, studierte Psychologie in Erlangen und Wien, promovierte mit einer sozialpsychologischen Arbeit und arbeitete anschließend in der Forschung. Seit 1987 arbeitet sie als freie Schriftstellerin, ist Autorin zahlreicher Jugendbücher. In ihren Romanen beschäftigt sie sich mit der Rolle der Frau im Laufe der Jahrtausende. Die Berlin-Trilogie thematisiert das Leben von Frauen im Deutschen Kaiserreich, der erste Teil "In Berlin vielleicht", die Geschichte eines Dienstmädchens, wurde mit dem Heinrich-Wolgast-Preis ausgezeichnet. Weitere Infos und Kontakt unter: www.gabriele-beyerlein.de.
AVIVA-Tipp: Gabriele Beyerlein schildert das Leben zweier sehr verschiedener Frauen mit viel Liebe zum Detail. So entsteht ein eindringliches Bild der gesellschaftlichen Hürden, denen sich Frauen vor einhundert Jahren gegenüber sahen. Auch wenn die Dialoge der ProtagonistInnen mitunter etwas gestelzt daher kommen ist "Es war in Berlin" ein spannender, lesenswerter Roman.
Es war in Berlin
Gabriele Beyerlein
Thienemann Verlag, erschienen Januar 2009
Gebunden, 718 Seiten
ISBN 978-3-522-20043-1
22 Euro
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