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AVIVA-BERLIN.de im Dezember 2024 - Beitrag vom 23.12.2024


Dorothy Thompson – Ich traf Hitler!
Doris Hermanns

Sie war eine der ersten Auslandskorrespondentinnen und galt Ende der 1930er Jahre als einflussreichste Frau in den USA neben Eleanor Roosevelt. 1931 gelang es ihr als eine der ersten, Adolf Hitler zu interviewen. Die Reportage darüber liegt nun mit den Original-Abbildungen in neuer Übersetzung vor.




Bereits 1920 war Dorothy Thompson zum ersten Mal nach Europa aufgebrochen, von wo aus sie als Journalistin für US-amerikanische Zeitungen arbeitete, und war damit eine der ersten Auslandskorrespondentinnen. Lange pendelte sie zwischen Berlin, Budapest und Wien, war aber auch mit der politischen Situation in anderen europäischen Ländern bestens vertraut. So hatte sie auch Hitlers Machwerk Mein Kampf bereits früh gelesen. Schon seit 1923 hatte sie versuchte, Hitler zu treffen, den sie als hochmütig bezeichnete und der sich von allen Ausländern fernhielt. Eine Interviewmöglichkeit gelang ihr erst im Dezember 1931 durch die Vermittlung seines Auslands-Pressechefs Ernst Hanfstaengl. Dieser wurde zum einen von seiner Familie – seine Mutter stammte aus den USA und Dorothy Thompson kannte sie persönlich – dazu gedrängt und zum anderen waren die Nationalsozialisten zur Zeit ihres Aufstiegs daran interessiert, einen guten Eindruck im Ausland zu machen.

Und so traf sie ihn, der sie erst einmal eine Stunde warten ließ, in Berlin: "Als ich schließlich Adolf Hitlers Salon im Hotel Kaiserhof betrat, war ich der festen Überzeugung, dem künftigen Diktator Deutschlands zu begegnen. Keine fünfzig Sekunden später war ich mir ziemlich sicher, dass dies nicht der Fall war. Es brauchte nur ungefähr diese Zeit, um die verblüffende Bedeutungslosigkeit dieses Mannes zu ermessen, der die ganze Welt in Atem hielt."

Dorothy Thompson erinnert sich: "Das Interview gestaltete sich schwierig", da sie schnell feststellen musste, "man kann mit Adolf Hitler kein Gespräch führen. Er redet die ganze Zeit so, als wäre er auf einer Massenveranstaltung. (…) In jeder Frage sucht er nach einem Motiv, zu dem er loslegen kann. Sein Blick fixiert dann eine ferne Zimmerecke; ein hysterischer Unterton schleicht sich in seine Stimme, die er bisweilen fast zu einem Schreien steigert. Er vermittelt den Eindruck eines Mannes in Trance."

Es ging ihr jedoch keineswegs darum, ihn als ungefährlich darzustellen, sondern sie sah – wie später auch Hannah Arendt – die Banalität als wesentliches Merkmal der faschistischen Bewegung: "Ein kleiner Mann ist in Deutschland aufgestiegen." Und machte darauf aufmerksam, dass er ein Publikum habe, "ein breites Publikum, das nur auf ihn gewartet hat". Wie sie festhält: "Die Menschen sollten ´erwachen´, und Hitlers Bewegung sollte dafür sorgen, dass sie die Diktatur wählten! An sich eine faszinierende Idee. Man stelle sich einen Möchtegern-Diktator vor, der sich aufmacht, ein souveränes Volk dazu zu überreden, seine eigenen Rechte abzuwählen." Die Bewegung bezeichnete sie als "auf jeden Fall eine Massenflucht vor der Realität". Und hält fest, was wir auch heute noch in der aktuellen politischen Situation mit zunehmendem Populismus sehen können: "Patriotismus ist die einfachste Form der Selbsterhöhung."

Dorothy Thompson hält bereits im Vorwort fest, worum es Hitler ging: "Als Programm hat er eine Mischung aus Faschismus, einer rassistischen Philosophie, die lehrt, dass ´Arier´ vor allem der ´Nordische Typus´, dazu auserwählt seien, die Welt zu beherrschen, Antisemitismus und wirrem Sozialismus."
Die Reportage über das Interview erschien in den USA erstmals im März 1932 im Magazin Cosmopolitan, im Mai gab es einen Nachdruck in Großbritannien im Nash´s Pall Mall Magazine. Im gleichen Jahr folgte dann das Buch I saw Hitler in den USA, versehen mit zahlreichen Fotos mit Begleittexten, die jetzt auch in der deutschen Ausgabe abgedruckt sind. Bis jetzt war nur der Text der Reportage auf Deutsch veröffentlicht worden und zwar in dem Band Kassandra spricht. Antifaschistische Publizistik 1932-1942" – Thompson galt als "amerikanische Kassandra", da sie bereits früh vor Hitler gewarnt hatte – der 1988 in der DDR erschien.

In der jetzt erschienenen Ausgabe folgt dieser eine zweite Reportage, in der Dorothy Thompson über ihre letzte Reise durch Österreich und Deutschland 1934 und ihre Ausweisung im August des Jahres berichtet. Es war eine Nachricht, die um die Welt ging, denn zum einen waren Ausweisungen von JournalistInnen zu dieser Zeit vollkommen unüblich – Dorothy Thompson war weltweit die erste Bekannte, der dies widerfuhr –, zum anderen war sie damals die Ehefrau von Sinclair Lewis, dem Nobelpreisträger für Literatur.

Den beiden Reportagen folgt ein ausführliches und informatives Nachwort des Literaturwissenschaftlers Oliver Lubrich unter dem Titel "Das missverstandene Missverständnis. Dorothy Thompson unterschätzt Adolf Hitler und durchschaut seine Anhänger". In diesem erklärt er deutlich, dass es sich keineswegs um einen Irrtum in der Einschätzung der Journalistin handelte, sondern dass sie im Gegenteil sogar "überaus weitsichtig" war und fasst ihre These zusammen: "Hitler ist in doppeltem Sinn ein ´Kleiner Mann´ - in seiner Unscheinbarkeit als Individuum, aber auch als Stellvertreter und Projektionsfigur für Seinesgleichen. Man darf sich von seiner persönlichen Mittelmäßigkeit nicht täuschen lassen, sondern muss seine Attraktivität für diejenigen ernst nehmen, die sich in ihm wiedererkennen. Denn er war, wie sie feststellte, ´einer von ihnen´".

An einigen Stellen des Nachworts wäre etwas genauere Recherche notwendig gewesen. So schreibt Lubrich völlig zu Recht, dass die Politik das Privatleben von Thompson bestimmte, um dann nur Sinclair Lewis zu zitieren, der einmal gesagt hatte, dass er im Falle einer Scheidung "Hitler als Mitschuldigen" benennen würde. Dass Lewis alkoholabhängig und gewalttätig war – im Januar 1933 schlug er in Wien die gemeinsame Wohnung kurz und klein und zum ersten Mal auch seine Frau – und es somit gute Gründe für eine Scheidung gab, scheint ihm nicht erwähnenswert.
Nicht erwähnenswert scheint ihm aber, dass ihre Beziehung mit der Schriftstellerin und Bildhauerin Christa Winsloe, die mit Dorothy Thompson in die USA gegangen war, unter ihrer unermüdlichen Arbeit litt. So wird Winsloe auch nur in der Zeittafel über das Leben Thompsons als "Affäre" erwähnt. Zudem fehlt auch jeglicher Hinweis darauf, dass die Journalistin sich nicht erst nach ihrer Rückkehr in die USA für ExilantInnen engagierte, sondern auch bereits vorher. So warnte sie beispielsweise Zenzl Mühsam nach der Ermordung ihres Mannes, dem Schriftsteller Erich Mühsam, dass sie gleich nach der Beerdigung von der Gestapo verhaftet worden werden sollte, und brachte sie zusammen mit Christa Winsloe im Auto außer Landes.

Auch die Einschätzung des Grundes für die Ausweisung bleibt im Ansatz stecken. Natürlich war Thompson den Nazis ein Dorn im Auge und verfolgten sie all ihre Veröffentlichungen. Und veranlasst hatte Ernst Hanfstengl die Ausweisung, wie erwähnt wird – genannt als Grund wird aber nur das Buch mit dem Interview. Dabei ist bekannt, dass der Grund dafür mindestens genauso sehr Dorothy Thompsons Rezension seines Buches Hitler in der Karikatur der Welt (1933) unter dem Titel "Putzis Propagandaparade" im Saturday Review of Literature war. Es war keine normale Rezension sondern ein gnadenloser Verriss, in dem sie ihm schamlose Geschichtsverfälschung vorwarf, und den Hanfstengl ihr sehr übel nahm. Diese bleibt jedoch unerwähnt und taucht weder in den zahlreichen genannten Veröffentlichung von Dorothy Thompson als auch in der Zeittafel nicht auf. Stattdessen werden unzählige Namen von Personen der Zeit erwähnt, die nicht unbedingt zur Sache tun.

Die Ausweisung wirkte sich auf die Karriere von Dorothy Thompson positiv aus: Zurück in den USA schrieb sie pro Woche drei Kolumnen für die Herald Tribune, die von zahlreichen Zeitungen übernommen wurden, und ab 1937 folgten daneben Radioprogramme und Bücher. Die Informationen über Nazi-Deutschland und ihre Warnungen vor dem Nationalsozialismus standen jahrelang im Mittelpunkt ihrer unermüdlichen Arbeit.

AVIVA-Tipp: Es ist ein sehr schön aufgemachter Band und es ist erfreulich, dass diese beiden Reportagen der einst bekanntesten Journalistin jetzt in einer deutschen (Neu-)Übersetzung vorliegen. Für das Nachwort wäre weniger Namedropping und stattdessen eine intensivere Beschäftigung mit Dorothy Thompson und den Auswirkungen ihres Journalismus jedoch wünschenswert gewesen.

Zur Autorin: Dorothy Thompson (1893-1961) war eine Pionierin des US-amerikanischen Journalismus. Mit 26 Jahren ging sie nach Europa. Als erste Frau wurde sie Auslandskorrespondentin in Wien und Berlin. Dort gelang es ihr, einen Termin mit Adolf Hitler zu bekommen, von dem sie in ihrem Buch "Ich traf Hitler!" (1932) berichtet. Hier porträtiert sie den künftigen Diktator, und sie analysiert die Sozialpsychologie seiner AnhängerInnen. 1934 wurde sie spektakulär aus Deutschland ausgewiesen. In den USA avancierte Thompson zur Star-Kolumnistin, die eindringlich vor der Gefahr des Faschismus warnte. Während des Krieges wandte sie sich im Radio an HörerInnen in Deutschland. Das Time Magazine erklärte Thompson 1939 neben Eleanor Roosevelt zur einflussreichsten Frau in den USA.

Dorothy Thompson
"Ich traf Hitler!"
Der Reportage-Essay von 1932

Originaltitel: "I Saw Hitler!"
Herausgegeben mit einem Nachwort von Oliver Lubrich
Aus dem US-amerikanischen Englisch von Johanna von Koppenfels
ISBN 978-3-903244-23-8
DVB Verlag. Das vergessene Buch, erschienen 2023
267 Seiten, Hardcover mit Lesebändchen und zahlreichen farbigen Abbildungen
Euro 26,00
Mehr zum Buch unter: www.dvb-verlag.at

Die Biographie von Dorothy Thompson auf FemBio www.fembio.org

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Literatur

Beitrag vom 23.12.2024

Doris Hermanns